NSU-Prozess


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136. Verhandlungstag, 4.9.2014 "Ab dem Tag verschwunden"

Der 26. Januar 1998 war Mittelpunkt dieses Verhandlungstages. Damals stand die Polizei kurz vor der Festnahme des Neonazi-Trios. Doch dem gelang die Flucht.

Von: Tim Aßmann

Stand: 04.09.2014 | Archiv

Tim Aßmann | Bild: BR

04 September

Donnerstag, 04. September 2014

Jürgen D. hat die Geschichte schon oft erzählt - in den Untersuchungsausschüssen des Bundestages und des Landtages in Thüringen. 1998 leitete der Mann vom Landeskriminalamt (LKA) Thüringen die sogenannte Ermittlungsgruppe "Tex". Ziel war, die Personen zu finden, die hinter dem Fund mehrerer Bombenattrappen in Jena standen. Für die Ermittler war klar: Die Täter sind Neonazis. Ins Visier gerieten die rechtsradikale Kameradschaft Jena und Ihr Führungszirkel, zu dem auch Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe gehörten. Aber die Ermittlungen liefen zunächst nicht rund.

Verfassungsschutz observierte erfolgreicher als LKA

Mehrere Durchsuchungen ergaben nichts und auch die Observation von Mundlos und Böhnhardt durch ein mobiles Einsatzkommando des Landeskriminalamts führte nicht weiter. Nach nur drei Tagen musste die - eigentlich für einen Monat geplante - Beschattung wegen Personalmangels eingestellt werden. Da kam Ermittlungsleiter Jürgen D. auf eine unkonventionelle Idee, die er bis heute als "opportun" bezeichnet. Er bat den Verfassungsschutz um Amtshilfe. Das Thüringer Landesamt übernahm die Observation und war deutlich erfolgreicher als das LKA. Nach ebenfalls nur drei Tagen Beschattung nannten die Verfassungsschützer drei Garagen, die von Mundlos und Böhnhardt aufgesucht worden waren.

Pannen rund um entscheidende Durchsuchung

Die Durchsuchungen am 26. Januar 1998 aber liefen nicht glatt. In einer der Garagen fanden die Beamten zwar Rohrbomben, sie trafen zeitweise sogar auch auf Uwe Böhnhardt. Ihm gelang aber die Flucht. Und das ganze Trio konnte schließlich abtauchen. Die Ausstellung der Haftbefehle zog sich unnötig in die Länge. "Der Staatsanwalt war temporär nicht erreichbar", sagt Jürgen D. nun als Zeuge im Gerichtssaal. Außerdem reichten damals der Anklagebehörde die Beweise nicht aus, weil der Verfassungsschutz seine Observationsergebnisse zunächst als geheim einstufte und nicht freigab. Das geschah erst nachdem die Polizei Druck machte. Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe seien dann "ab dem Tag auch verschwunden" gewesen, erklärte Ermittlungsleiter Jürgen D. im Zeugenstand.

Wollte der Verfassungsschutz eine Quelle schützen?

Für die Nebenklage wirft die Vernehmung von Jürgen D. weitere Fragen auf. Warum war der Verfassungsschutz bei seiner Observation so viel erfolgreicher als das Landeskriminalamt? Und warum wurden die Ergebnisse als geheim eingestuft? Opferanwalt Sebastian Scharmer und andere Nebenklagevertreter haben eine Vermutung:  Wurde wirklich observiert oder hatte der Verfassungsschutz eine Quelle, die ganz dicht dran war am Neonazi-Trio und die der Dienst nicht offenbaren wollte?

Prominenz auf der Zuschauertribüne

Grünen-Chef Cem Özdemir verfolgte die Zeugenvernehmung von Jürgen D. von der Zuschauertribüne aus. Özdemir lobte anschließend das Gericht, betonte aber die Aufarbeitung im Gerichtssaal reiche längst nicht aus. Angesichts vieler Fragezeichen rund um die NSU-Morde hält Özdemir eine weitere politische Aufklärung für unerlässlich. Er fordert unter anderem einen weiteren Untersuchungsausschuss des Bundestages und die erstmalige Einrichtung eines solchen Gremiums in Baden-Württemberg, um die Ermittlungen rund um den Mordfall Kiesewetter zu untersuchen.


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