NSU-Prozess


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NSU-Prozess: Gerichtssaal-Protokoll 79. Verhandlungstag, 28.01.2014

Im Zentrum dieses Prozesstages steht die Frage, wer die Tatwaffe des Trios beschafft hat. Zwei Zeugen werden dazu vernommen, wobei der erste (Andreas S.) die Aussage verweigert. Die Vernehmung des Zeugen Frank L. bleibt ohne neue Erkenntnisse.

Von: Tim Aßmann

Stand: 28.01.2014 | Archiv

NSU Prozess Gerichtsprotokoll | Bild: BR

Der erneut geladene Zeuge Frank L. will nichts von einem Waffenverkauf mitbekommen haben. L.s Kollege Andreas S. soll aber im Zwickauer Szene-Laden "Madley" die Tatwaffe an den Angeklagten Carsten S. - nach dessen eigener Aussage - verkauft haben.

Zeugen:

  • Andreas S. (Herkunft Tatwaffe Ceska)
  • Frank L. (Umfeld Angeklagte)

ARD-Reporter über das Geschehen im Gerichtssaal

(Tim Aßmann, BR)
Beginn 11.30 Uhr
Götzl stellt Präsenz fest.
Andreas S. kommt und wird wegen Verspätung gefragt.
S: "Habe meinen Anschlusszug in Saalfeld verpasst"
Dunkler Pullover, olivgrüne Weste drüber.
Er will zu Verkauf der Waffe weiter keine Angaben machen und beruft sich auf Paragraph 55.
Zeuge entlassen.

Antrag Rechtsanwalt Schön (Nebenklage Keupstr.):
Beweisen, dass Zschäpe Wohnung in Schomerusstr. in Jena hatte. Sachbearbeiter der Jena Wohn-GmbH befragen. In dem Wohnzimmer am 26.01.98 Zwille, Wurfstern, Armbrust, Buschmesser, Machete, Morgenstern, Co2-Pistole, Luftgewehr, Messer mit Hülle gefunden, teils an der Wand hängend. Über Bett Wurfanker mit Seil. Wir beantragen die Vernehmung der Beamten LKA Thüringen dazu und außerdem noch dazu, dass an anderer Wand zwei Bilder hingen, eins mit Hakenkreuz, und eins mit Reichskriegsflagge. Im Kellerraum der Wohnung war Paket Dämmstoff. Materialvergleich nötig mit Dämmwolle aus der Rohrbombe Ernst-Abbee-Stadion. Unter Sofa in Wohnzimmer wurde am  26.01.98 "Pogromly"-Spiel gefunden - Beweiserhebung wird ergeben: "Pogromly" ist "Monopoly" nachgeahmt. (nun beschreibt Schön episch, wie das Spiel aussieht - das wurde alles vor Monaten bereits ins Verfahren eingeführt.) Daraus ergibt sich, dass Zschäpe schon vor ihrem Abtauchen rassistische, fremdenfeindliche Ideologie hatte. Unveränderte Ansichten 1998 und 2011 zwingen zu dem Schluss, dass die Angeklagte auch dazwischen keine anderen Ansichten vertreten hat - unabhängig davon, ob sie an einem der Tatorte anwesend war. Zahlreiche Nebenklage-Anwälte schließen sich diesem Antrag an.

Antrag  Rechtsanwalt Kienzle (Nebenklage Yozgat):
Nachermittlungen zu dienstlichen Tätigkeiten Kiesewetter. Begründung: Sind geboten, denn vordringliche Frage ist, welche Motivation des NSU stand hinter der jeweiligen Opferauswahl. Warum Yozgat oder Kiesewetter ausgewählt wurden ist nach wie vor nicht aufgeklärt. Offenkundige Ermittlungsansätze im rechtsextremen Spektrum wurden und werden nicht mit gleicher Intensität verfolgt wie bei den Opferangehörigen. Bei Kiesewetter drängt sich auf, dass die Tat in Zusammenhang mit dienstlicher Tätigkeit steht. Anklage geht von Zufallsopfer aus. Es drängt sich aber auf, dass nicht irgendein Opfer, sondern Kiesewetter getroffen werden sollte. Wurde bisher nicht verfolgt, muss nun nachgeholt werden. Kiesewetter nahm an zahlreichen Einsätzen gegen Rechtsextreme teil.

Kienzle zählt nun zahlreiche Einsätze mit Datum auf, darunter u.A. Einsätze in Pforzheim, Waiblingen, Göttingen und Friedrichshafen.
Kienzle: Zusammenhang zwischen Einsätzen in Göttingen und örtlicher rechter Szene denkbar (nicht weit von Göttingen nach Kassel und Kienzle vertritt die Eltern des Kasseler Mordopfers Halit Yozgat). Bisher nur marginal in diese Richtung ermittelt. Ermittler G. übernahm ohne eigene Ermittlungen die Erkenntnisse, dass es keine Probleme mit rechter Szene gab. Statt stichhaltig zu ermitteln, wurde lediglich Pauschalvorsatz übernommen und als Ermittlungsergebnis dargestellt. Muss jetzt gemacht werden.
Auch diesem Antrag schließen sich zahlreiche andere Opferanwälte an. Bundesanwalt Diemer kündigt Stellungnahmen für morgen an.
Mittagspause bis 14 Uhr

(Tim Aßmann, BR)
Weiter um 14.06 Uhr.
Zeuge Frank L. ist da.
Götzl: Da weiter machen, wo letztes Mal stehen geblieben. Durchsuchung bei Ihnen?
L: Vor zwei Jahren
G: Warum durchsucht?
L: Wegen dieser Sache
G. hält aus pol. Vernehmung vor: Stelle, wo es um Beschaffung Waffe geht. Erinnerung?
L: Nicht direkt
G. hält vor: Vorwurf im Verfahren an Wohlleben scharfe Waffe nebst Munition übergeben zu haben.
L: Nicht direkt
G. hält vor: Wohlleben ging zunächst zu L. und der verwies an Andreas S.
L: Irgendwas stand da drin, aber direkt weiß ich es nicht mehr.
G. hält vor: L. kam zur Polizei, um noch Angaben im Zusammenhang mit der Durchsuchung zu machen: "Mir ist eingefallen, dass noch öfter Personen kamen, um nach Waffen zu fragen."
L: Ich kam ja wieder rein (zur Polizei), weil ich darum gebeten wurde.
G: Welche Waffe hatten sie im Auge?
L: Keine. Es kann sein, dass er mich gefragt hat (er ist Wohlleben). Ich weiß es einfach nicht mehr.
G. stöhnt: Tja
G. hält nochmal die Stelle mit Wohlleben vor und sagt: !Mir geht's darum wahrheitsgemäße Angaben zu machen. Ich hab Sie schon mal belehrt.!
L: Ich weiß es nicht mehr. Das liegt über 15 Jahre zurück.

G. hält vor aus Gerlach-Vernehmung: "Wohlleben hat mir gesagt, er hat Frank L. angesprochen, ob er eine Waffe besorgen könne. Der habe ihn an seinen Partner verwiesen."
L: Ich weiß dazu nichts.
G: Hat Wohlleben Sie angesprochen?
L: Kann ich mich nicht dran erinnern. weiß ich nicht mehr.
Rechtsanwalt Kuhn (Nebenklage Keupstr.): Vernehmung 25.2.12: "Es war mir bekannt, dass Andreas S. Kontakt zu Serben oder Kroaten hatte, der im Kosovo gekämpft hat, Waffen besorgen kann." Erinnern Sie sich an diese Aussage?
L: Ja, zum Teil. An konkreten Wortlaut nicht.
Kuhn: Kroate oder Serbe. Ja oder nein?
L: Ja
K: Hat er damit geprahlt, dass er Waffen besorgen kann?
L: Geprahlt, ja
K: Modell "Scorpio" gefallen?
L: Ja
K: Wieso behaupten Sie dann hier, dass mit "Waffen" Schreckschusswaffen gemeint sind?
L: Dass, was gefragt wurde und was andere Leute geprahlt haben sind Unterschiede.
K: Geht darum, was Sie in der Vernehmung gemeint haben.
L: Alle Waffen.
K: Sie wollten uns doch eben erzählen, dass Schreckschusswaffen gemeint sind.
L: Das war allgemein.
K: Gut. Sie sind über Wahrheitspflicht hier belehrt worden. Ich hoffe, dass damit entsprechend umgegangen wird.
Zeuge wird kurz darauf entlassen.

Hinweis

Diese Texte sind eine Auswahl der Mitschriften der Reporter der ARD und des BR während der zentralen Verhandlungstage im sogenannten "NSU-Prozess", eines beispiellosen Verfahrens der deutschen Rechtsgeschichte. Wir dokumentieren diesen "Originalton", weil es in der deutschen Praxis des Strafprozessrechts, selbst bei derartig wichtigen Verfahren, kein offizielles und umfassendes Gerichtsprotokoll gibt. Wir erfüllen damit unsere Informationspflicht, um allen, die keinen der begehrten Sitzplätze im Gerichtssaal erhalten haben, einen - durchaus auch subjektiven - Eindruck der Prozessereignisse zu vermitteln. Die Zusammenfassungen der sogenannten "Saalinfos" unserer Reporter sind redaktionell bearbeitet, zum Teil gekürzt. Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben und es kann natürlich auch keine Gewähr für die Richtigkeit jedes einzelnen Wortes gegeben werden. Die Redaktion distanziert sich ausdrücklich von den Inhalten der Aussagen der Prozessteilnehmer.


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