NSU-Prozess


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66. Verhandlungstag Wie aus Zschäpe Lisa Dienelt und Susann E. wurde

Wieder so ein Tag, der die Gerichtsreporter ziemlich ratlos machte. Was wohl gewesen wäre, wenn ein Zwickauer Polizist die junge Frau aus der Polenzstraße 2 nicht nur "komisch", sondern verdächtig gefunden hätte?

Von: Ina Krauß

Stand: 09.12.2013 | Archiv

Ina Krauß | Bild: BR/Julia Müller

09 Dezember

Montag, 09. Dezember 2013

Die Polizei war den untergetauchten Terroristen des NSU beinah auf den Fersen - ohne es zu wissen. Im Jahr 2007 klingelte ein Zwickauer Polizeibeamter an einer Wohnungstür im Erdgeschoss der Zwickauer Polenzstraße 2 bei "Dienelt". Es ging um einen Wasserschaden in der darüber liegenden Wohnung. Was der Polizist nicht wusste: Hier wohnte nicht der offizielle Mieter M. Dienelt, sondern die drei untergetauchten Rechtsterroristen Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt.

Zschäpe - komisch, aber nicht verdächtig genug

Dienelt hatte den dreien - auf Vermittlung des Neonazis André E. - die Wohnung überlassen. Als der Polizist klingelte, stand ihm Beate Zschäpe gegenüber, davon geht die Bundesanwaltschaft heute aus. Der Polizist dachte, er habe Lisa Dienelt vor sich. Die Frau korrigierte ihn, Lisa sei bloß ihr Spitzname, in Wirklichkeit heiße sie Susann E. Der Polizist fand die Sache "komisch". Als die angebliche Susann E. zwei Tage später zur Vernehmung auf dem Polizeirevier erschien, überprüfte er ihre Personalien nur oberflächlich. Weil ihre Aussage in dem Fall nicht weiterführte, hakte er die Sache ab. Der bekennende Neonazi André E. und seine angebliche Ehefrau verließen das Polizeirevier, ohne deshalb noch einmal belangt zu werden.

Was der Polizeibeamte nicht wusste - und heute von dem Nebenklage-Vertreter Yavuz Narin erfuhr: André E. wurde zu diesem Zeitpunkt vom sächsischen Verfassungsschutz beobachtet. Doch auch hier kam der angeblichen Susann E. niemand auf die Spur.

Den Prozess bringt die Aussage des Zwickauer Polizeibeamten dennoch wenig weiter. Denn im Gerichtssaal erkennt der Polizeibeamte weder Beate Zschäpe als die damalige Zeugin wieder, noch André E., der sie damals aufs Polizeirevier begleitet haben soll und der heute neben Beate Zschäpe auf der Anklagebank sitzt.

Plauderei im Gefängnistransporter

Wenig neue Erkenntnisse brachte auch die Aussage einer BKA-Beamtin, die Zschäpe am 25. Juni 2012 von Köln-Ossendorf nach Thüringen in einem Polizeibus auf dem Weg zu einem Besuch bei Zschäpes Großmutter begleitete. Zschäpe sei damals offen und gesprächsbereit gewesen und habe das Gespräch selbst bestimmt. Die Verteidigung Zschäpes widersprach der Verwertung der Aussagen dieser Beamtin. Zschäpe sei damals nicht bewusst gewesen, dass die lockere Plauderei im Prozess gegen sie verwertet würde. Die BKA-Beamtin blieb dabei, Zschäpe darüber richtig belehrt zu haben.

Kleine Randnotiz: Jene BKA-Beamtin sichtete im Mai 2012 die Schulzeugnisse von Beate Zschäpe, die unter einer Scheune vergraben worden waren. Danach war die Hauptangeklagte eine aufgeweckte, lebendige Schülerin mit besonderen Fähigkeiten in Deutsch und Sport, und weniger guten Leistungen in Mathe und Russisch.

50 Euro für ein Terroristen-Handy

Auch eine andere Zeugin konnte über Zschäpes Persönlichkeit Auskunft geben. Beatrix J., alleinerziehende Mutter und damals Hartz-IV-Empfängerin, wohnte zwei Stockwerke über Beate Zschäpe in der Zwickauer Polenzstraße. Sie erlebte die Nachbarin als kinderfreundlich und hilfsbereit. Mehrmals lieh Zschäpe, die sich ihr gegenüber als Lisa oder Susann ausgab, kleinere Geldbeträge. Für 50 Euro unterschrieb Beate J. den Vertrag für ein Prepaid-Handy, das Beate Zschäpe viele Jahre im Untergrund benutzte. Die Nachbarin will sich dabei nichts gedacht haben; genau wie die damals 17-jährige Schülerin Janine S., die ebenfalls einen Handy-Vertrag für Beate Zschäpe unterschrieb. Sie hatte Zschäpe in der Zwickauer Innenstadt angesprochen und erzählt, sie habe ihren Ausweis vergessen. Auch der 17-Jährigen bezahlte Zschäpe für den Dienst 50 Euro. Auch sie hat weiter keine Fragen gestellt.


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