NSU-Prozess


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Tagebuch der Gerichtsreporter Falsche Verdächtigungen in Serie

Heute ging es im NSU-Prozess um den Mordfall Turgut 2004 in Rostock. Wieder einmal zeigte sich das Versagen bzw. mangelnde Gespür der Ermittler. Durch falsche Verdächtigungen wurde nicht nur ein Freund des Opfers in Mitleidenschaft gezogen, sondern sogar der Vater in der Türkei.

Author: Ina Krauß

Published at: 23-10-2013 | Archiv

Ina Krauß | Bild: BR/Julia Müller

23 Oktober

Mittwoch, 23. Oktober 2013

Verwirrung um den Namen des fünften Opfers des NSU: Die Anklage spricht von Yunus Turgut, dabei wurde der junge Mann als Mehmet Turgut in der Türkei geboren. Der Fehler liegt bei den türkischen Behörden. Sie hatten einst die Namen zweier Kinder der Familie Turgut vertauscht. Der junge Türke Mehmet, alias Yunus Turgut, hatte erst wenige Monate in Deutschland gelebt, als er am 25. Februar 2004 in Rostock erschossen wurde.

"Sie wollten einfach nur töten"

"Die Menschen, die hier reingegangen sind, die wollten nicht rauben, sondern einfach nur töten", so schilderte am 49. Verhandlungstag ein für die Spurensicherung zuständiger Kripo-Beamter aus Rostock seine Eindrücke vom Tatort. Fast hätten die Anwesenden die Bemerkung des Kripo-Beamten überhört, als er seine Erkenntnisse vom Tatort in dem Satz zusammenfasste: "Sie haben ihn überwältigt, fixiert und getötet". Das Opfer muss auf dem Boden gelegen haben, als die Mörder schossen, denn nur auf dem Boden fanden sich Blutspritzer. Es gab auch sonst keine Anzeichen für einen Kampf oder eine Abwehr des Opfers. Die Tassen, die Kaffeemaschine, das frischgeschnittene Gemüse für den Dönerverkauf - alles lag an seinem Platz. Der Mord glich einer Hinrichtung.

Zunächst Imbiss-Inhaber verdächtigt

Gefunden wurde der als Mehmet Turgut geborene junge Mann vom Besitzer des "Mr. Kebab-Grill"; der Inhaber muss wenige Minuten nach der Tat eingetroffen sein. Er wollte seinen Imbiss gleich aufschließen, war aber etwas spät dran. Turgut sei bei ihm "zu Gast" gewesen, sie stammen beide aus demselben Dorf in der Türkei. Der "Gast" half wohl öfters auch mit. Der Imbiss-Inhaber schilderte vor Gericht, wie er den blutenden Turgut hinter der Tür des Imbisses liegend fand, ihn hochhob und versuchte, die Blutung an seinem Hals zu stoppen. Das Opfer starb kurze Zeit später im Notarztwagen. Der Inhaber des Döner-Imbisses betrat den Tatort nie wieder. Das Geschäft gab er auf. Zunächst stand er selbst unter Verdacht, das bestätigte der damalige Leiter der Rostocker Mordkommission. Auch die Familie des Opfers wurde intensiv überprüft. Die Polizei vermutete Kontakte zur Mafia. Die Ermittler schickten sogar eine Pressemitteilung an die türkische Presse, in der ein ausländerfeindlicher Hintergrund der Taten explizit ausgeschlossen worden war.

Opfer-Vater musste umziehen

Zwei Brüder des Opfers kamen heute zu der Verhandlung nach München, einer davon ist der mit dem vertauschten Namen. In seinem Pass steht noch heute der Name des Ermordeten Mehmet Turgut, doch seine Familie nennt ihn Yunus. Er erhoffe sich Gerechtigkeit von dem Prozess, sagte der Bruder, der im NSU-Prozess als Nebenkläger vertreten ist. Ihn empört auch heute noch, wie deutsche Ermittler in den Dörfern seiner türkischen Heimat die Nachbarn befragten. Die Dorfbewohner bedrängten die Familie daraufhin viele Jahre lang. Der Vater musste schließlich in ein anderes Dorf umziehen, um sich den falschen Verdächtigungen zu entziehen.

Mordfall weist auf Ortskenntnisse hin

Zurück nach Rostock: Klar wurde heute, dass die Täter in Rostock einige Ortskenntnis besaßen. Der Kiosk, in dem Turgut erschossen wurde, war eigentlich nur bei Anliegern bekannt. Er lag an einer Sackgasse, die nur von Bewohnern des Viertels frequentiert wurde. Für Nebenklage-Vertreter Detlef Kolloge stellt sich deshalb die Frage, wie die Mörder ausgerechnet auf diesen Kiosk stießen. Die Frage nach Unterstützern vor Ort ist immer noch eine der großen offenen Fragen des NSU-Verfahrens. Sie beschäftigt vor allem die Nebenkläger, also die Angehörigen der Opfer mit ihren Anwälten.

Schlag für Nebenkläger-Familie Simsek

Eine Niederlage erfuhren die Nebenkläger heute aber an ganz anderer Stelle: Ein Antrag der Familie Simsek, dem sich viele Nebenkläger angeschlossen hatten, wurde heute abgelehnt. Es geht dabei um 35 Aktenornder, die den hessischen Verfassungsschützer Andreas T. betreffen. T. war bei dem Mord an Ismail Yozgat in einem Kasseler Internetcafé anwesend, meldete sich auch anschließend nicht als Zeuge. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl begründete seinen Beschluss mit den Worten: "Die Aufklärungspflicht des Gerichts erfordert es nicht, die 35 Akten beizuziehen." Die Sache ist noch nicht ausgestanden. Seda Basay, die die Familie Simsek als Nebenkläger vertritt, kündigte für morgen eine Erklärung an.


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