NSU-Prozess


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Tagebuch der Gerichtsreporter Knaller am 36. Verhandlungstag

Knaller, notiert der Kollege neben mir auf der Pressetribüne des Sitzungssaals A 101 im Münchener Strafjustizzentrum. Steht auf und geht zur Tür. Mittagspause im NSU-Prozess, diesmal nicht wegen eines neuen Befangenheitsantrags gegen das Gericht.

Von: Eckhart Querner

Stand: 19.09.2013 | Archiv

Eckhart Querner | Bild: BR

19 September

Donnerstag, 19. September 2013

Gerade hat Rechtsanwältin Doris Dierbach, Vertreterin der Nebenklage im Kasseler Mordfall Yosgat, einen Beweisantrag gestellt. Auf einmal ist es still. Zu hören ist nur das Klappern der Laptops. Jeder schreibt mit, so schnell er kann, in dieser Situation ist mein Tablet hoffnungslos unterlegen.

Dierbach kündigt eine neue Zeugin an. Diese habe Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt 2006 in Dortmund beobachtet, zusammen mit einer vierten Person, vom Typ her bullig, ein Skinhead sei es gewesen. Zusammen hätten die vier im Nachbargarten gestanden. Das ganze nur wenige Tage vor dem Dortmunder Mord an Mehmet Kubasik.

Ein Jahr zuvor will die Zeugin beobachtet haben, wie wieder ein Skinhead - derselbe wie 2006? - nachts Gruben auf dem Grundstück gegraben hätte, wochenlang.

Und in den Jahren 2004/2005 habe die Zeugin häufig ein Wohnmobil auf der Grundstückseinfahrt gestanden, das Kennzeichen habe die Buchstaben Z, C und A aufgewiesen.

Ich bin nicht der einzige, der jetzt unter Strom steht. Gedanken schießen durch den Kopf: Könnte diese Zeugin leisten, was ein Schwachpunkt der Anklage ist? Kann jetzt endlich der Nachweis erbracht werden, dass die Hauptangeklagte Beate Zschäpe doch vollwertiges Mitglied des NSU war und nicht nur diejenige, die zu Hause in Zwickau 'den Jungs den Haushalt geführt hat, wie Dierbach es nennt. War Zschäpe also voll in die Planung und Durchführung der ausländerfeindlichen Morde eingebunden?

Und wäre die Zeugenaussage nicht auch eine Bestätigung für die Position der Bundesanwaltschaft, die davon ausgeht, dass der NSU Helfer in der Neonazi-Szene vor Ort hatte?

Aber es kommen auch die zweifelnden Fragen: Warum meldet sich die Zeugin erst knapp zwei Jahre nach dem Tod von Böhnhardt und Mundlos und der Festnahme von Zschäpe? Hat sie solange mit sich gerungen, mit ihren Beobachtungen an die Öffentlichkeit zu gehen? Oder ist die Zeugin einer jener Menschen, die versuchen, mit plausiblen, aber leider doch nur erfundenen Geschichten berühmt zu werden? Wieso kann sich die Dortmunderin noch fünfeinhalb Jahre nach ihren Beobachtungen darin erinnern, wie drei Gestalten aussahen, die in der Abenddämmerung im Nachbar-Garten gestanden hätten?

Trotzdem, der Kollege hat recht: es ist ein Knaller. In der Mittagspause mache ich Interview nach Interview, dann fahre ich zurück in den Sender. Im Taxi telefoniere ich mit einem WDR-Kollegen, wir verabreden, Material zu tauschen: so wird mein Interview mit Doris Dierbach nach Dortmund überspielt, ich bekomme dafür die Bilder von dem Grundstück im Dortmunder Osten, wo sich Zschäpe und ihre Komplizen aufgehalten haben sollen.

Für uns Journalisten, die oft über den x-ten Befangenheitsantrag berichten, ist das heute ein guter Tag. Nicht ein Blockade-Tag mit juristischen Spiegelfechtereien. Nein, es scheint voran zu gehen im Staatsschutzverfahren gegen Zschäpe und Mitangeklagte.

Spricht man mit Bundesanwälten oder Anwälten der Nebenklage, spürt man ihre Vorsicht. Auch manch einer von ihnen hat seine Zweifel. Dass die Zeugin demnächst vor Gericht ihre Aussage wiederholen wird, steht wohl außer Frage. Ob diese Aussage dann aber noch ein Knaller ist - schau mer mal!


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