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Blick in die Weltpresse Kein Kampf

In Deutschland hält die kommentierte Neuedition von Hitlers Hetzschrift "Mein Kampf" die öffentliche Diskussion seit Monaten in Atem. Und im Ausland? Wie nimmt die Welt das Thema auf? Erstaunlich gelassen. Ein Überblick

Von: Ariane Stürmer

Stand: 05.01.2016 | Archiv

Screenshots: Internationale Berichterstattung zu Hitlers "Mein Kampf" | Bild: The Guardian, Haaretz, Le Monde, France 24, Politiken, The Express Tribune; Montage: BR

Weltweit hat die Neuauflage der berühmtesten deutschen Hetzschrift "Mein Kampf" ihr Echo in den Medien gefunden. Von Norwegen bis Südafrika und von Japan bis in die USA haben Zeitschriften, Zeitungen und online-Publikationen über die deutsche kommentierte Neuauflage berichtet. Es wäre ein Thema, an dem sich die Kommentatoren abarbeiten hätten können. Sie hätten mit Deutschland einmal mehr ins Gericht gehen können, hätten die Entscheidung als verantwortungslos brandmarken können oder als längst fälligen Schritt feiern.

Bemerkenswerte Randnotizen der Weltpresse

Die meisten Medien aber haben sich damit begnügt, Meldungen internationaler Presseagenturen wie Reuters und Associated Press abzudrucken. Das ist durchaus bemerkenswert: Während griechische Karikaturen von Kanzlerin Merkel in Nazi-Pose noch vor wenigen Monaten weltweit für Aufsehen sorgten, reagieren die Medien auf die Neuedition der Nazi-Bibel weitgehend unaufgeregt. Ein Grund dürfte sein, dass "Mein Kampf" in vielen Ländern problemlos erhältlich ist und sich die deutsche Aufregungen um die Neuausgabe aus der Entfernung nicht recht erschließen mag.

Drei Ereignisse hat die gesamte Weltpresse nachrichtlich wahrgenommen: Zum Einen den Fakt an sich, dass das Copyright des Buches nach 70 Jahren ausläuft und es fortan von jedem nachgedruckt werden kann. Zweitens die Ankündigung, dass Münchner Historiker eine kommentierte Ausgabe herausgeben werden und drittens die Überlegungen von Bundesbildungsministerin Wanka, die Edition im Schulunterricht einzusetzen. Doch mehr als eine Randnotiz waren alle drei Tatsachen den wenigsten Medien Wert.

Analytische Ausnahmen literarischer Größe

Wirklich tiefgründig und analytisch haben sich nur wenige Journalisten an das Thema gewagt - das allerdings umso beeindruckender. Sprachlich könnte so mancher Artikel mit der literarischen Romanhaftigkeit eines Bestsellers mithalten. Es sind bemerkenswerte Ausnahmen, die einen Blick auf Deutschland werfen, auf die bayerische Staatsregierung, auf das Münchner Institut für Zeitgeschichte, distanziert, analytisch, kommentierend - und nie verurteilend:

Was die internationale Presse meint

Dänemark - Politiken

Die dänische Tageszeitung näherte sich am 22. Januar 2015 als eine der ersten dem Thema - mit einer historischen Rezension von "Mein Kampf". Der Artikel erschien 1930, drei Jahre vor der Machtergreifung Hitlers. Der Redakteur warnte bereits damals vor dem "gefährlichen Mann" und analysierte das Machwerk. Die Zeitung druckte den Artikel im Zusammenhang mit einem Feature ab, das das Ende des Copyrights 70 Jahre nach dem Tod des Autors thematisiert.

Australien - The Age

"Es ist nur ein Buch. Es kann nicht töten oder verstümmeln. Wenn man es aus einem Flugzeug wirft, wird es nicht kurz vor dem Aufschlag explodieren und eine Stadt einebnen. Es ist nur ein Buch. Und doch forderten seine Seiten 80 Millionen Tote, einen riesigen Ozean aus Elend, Zerstörung und Verlust." Der Journalist Warwick McFadyen beginnt seinen Artikel in der australischen Tageszeitung "The Age" wortgewaltig. Er stellt die Frage: Sollte das Buch in Deutschland neu publiziert werden? Unbedingt, so seine Antwort nach umfangreicher Analyse. Denn "es erneut in Deutschland zu publizieren bedeutet, das Böse ans Licht zu bringen".

Frankreich - Le Monde

Die gleiche Frage wie The Age stellt auch Frankreichs Le Monde: Sollte man "Mein Kampf" neu editieren? Über mehrere Seiten analysiert der Journalist die Geschichte des Buches und seine Bewertung durch zahlreiche Historiker und die Kontroverse um die Ausgabe. Der Artikel gleicht eher einer akademischen Rezension denn einem journalistischen Feature. Die Antwort bleibt er schuldig.

Großbritannien - The Economist

"Was der Führer heute für Deutsche bedeutet." So überschrieb die britische Zeitschrift "The Economist" ihren Beitrag zum Thema. Die Frage sei nicht, was man mit "Mein Kampf" tun sollte, sondern was Hitler für das heutige Deutschland bedeute. Es ist ein Blick von außen auf Deutschland, auf seine Gesellschaft. Der Artikel spannt einen bemerkenswerten Bogen von der deutschen Gesellschaftsgeschichte der Fünfziger Jahren bis heute: das große Schweigen der Nachkriegsjahre, die Rebellion in den Sechziger Jahren, der Umgang mit der Vergangenheit in den Siebzigern bis zur Gegenwart. Hitler sei heute ein Marketing-Werkzeug geworden, ein Satire-Objekt. Jetzt, zum Zeitpunkt des Copyright-Endes, sei die deutsche Gesellschaft so komplex wie nie zuvor. Deutschland bleibe wachsam, wenn nicht gar ziemlich paranoid. Ausgesprochen bemerkenswert aber ist ein Satz am Ende des mehrseitigen Features: "Wenn man jemals von einem Land behaupten konnte, dass es gut sei, dann kann man das heute von Deutschland."

Großbritannien - The Guardian

Die Journalistin Kate Conolly wählte in der britischen Tageszeitung "The Guardian" die kulturelle Annäherung an das Thema: "Mein Kampf: Seltsame Märchen vom gefährlichsten Buch der Welt", so der Titel. Die Märchen sind zwei Berliner Theaterstücke, die die Hetzschrift zur Grundlage haben. Conolly rezensiert sie und erklärt am Beispiel der beiden Stücke den Diskurs, den Deutschland über die Neuedition führt.

Und Israel?

Die Reaktionen in der jüdischen Presse sind betont unemotional - zumindest jene, die im Netz in englischer Sprache verfügbar sind. Die israelische Tageszeitung Haaretz etwa berichtet nachrichtlich über die Diskussion unter Deutschlands Lehrern, die kommentierte Ausgabe von "Mein Kampf" in den Lehrplan aufzunehmen. Einen Kommentar über die israelisch-jüdische Sicht der Dinge sucht man vergeblich. Allein die Sorgen der in Deutschland lebenden Juden bildet die Zeitung in einem Artikel sachlich berichtend ab.

Fest steht: Hitler ist auch 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs kontinenteübergreifend ein Begriff, dem die Medien Platz einräumen. Fest steht aber auch: Der gewaltige Widerhall in deutschen Medien mit Kommentaren, Analysen, Features und Rezensionen findet weder in Europa noch anderen Ländern weltweit eine ähnliche Entsprechung. Man könnte sagen, Hitlers Weltenbrand ist auf dem Weg in die Fußnoten der Weltgeschichte.


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