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Die ersten Jahrzehnte Beten im Hinterhof

Die ersten sogenannten Gastarbeiter gingen in der Regel selbst nicht davon aus, dass sie bleiben werden. Ihr Privatleben, vor allem die Religionsausübung bei Muslimen, war für die Mehrheitsgesellschaft jahrzehntelang nicht sichtbar.

Stand: 30.12.2009 | Archiv

Weg zu einer türkischen Moschee in München-Sendling | Bild: BR / Ernst Eisenbichler

Deutschland holte sich ab Mitte der 1950er-Jahre Millionen Menschen aus dem Ausland, die helfen sollten, das "Wirtschaftswunder" zu stemmen.

Karlstadt am Main: Moschee im Schatten einer Zementfabrik

Vor allem Arbeitskräfte für gering qualifizierte Tätigkeiten rekrutierte man aus Griechenland, Jugoslawien, Spanien usw. Der Theorie nach sollten sie hier vorübergehend ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen, aber nicht dauerhaft bleiben - daher der Begriff "Gastarbeiter". Diese stammten nun nicht nur aus katholischen Ländern wie Italien oder Portugal, sondern auch aus Marokko oder der Türkei. Sie brachten damit eine fremde Religion mit: den Islam.

Wer nicht bleibt, baut nicht

Wer ein Haus baut, will bleiben, sagt ein Sprichwort. Doch die ersten Gastarbeiter gingen selbst gar nicht davon aus, dass sie bleiben werden. Ihre Existenz glich einem Provisorium. Mit der Aussicht auf bessere Verdienstmöglichkeiten als zu Hause wollten sie einige Jahre in Deutschland arbeiten, um dann wieder zurückzukehren. 

Ingolstadt: Schlichtes Gebäude als islamisches Gebetshaus

Angesichts dieser Perspektive hatte es nicht erste Priorität, hier große Moscheen mit Kuppeln und Minaretten wie in den Herkunftsländern zu bauen. Nebenbei: Hätten das die Muslime damals gewollt, wäre das sicher nicht ohne schwere Konflikte einhergegangen, wie viele heutige Beispiele zeigen.

Muezzin-Ruf in Deutschland selten

Gebetsruf des Muezzin vom Minarett - in Deutschland selten erlaubt

Doch wo kamen die Gläubigen dann ihrer religiösen Pflicht nach, fünf Mal pro Tag sich Allah zu widmen? Wo fand das Freitagsgebet statt, der wichtigste Gottesdienst der Woche? Antwort: Meist in schlichten Räumen im Verborgenen.

Für die Muslime war das zwar alles andere als optimal, aber der Islam schreibt weder vor, dass in einer klassischen Moschee gebetet werden muss, noch dass sie über Kuppel und Minarett verfügen muss.

Verpflichtend ist nur die Reinheit des Ortes der rituellen Gebete. Der Betende muss sich außerdem gen Mekka richten. Dazu bedarf es keiner Moschee; es genügt ein Gebetshaus oder Gebetsraum, am besten ausgelegt mit Teppich oder Matte.

Gebetsteppiche, ausgerichtet nach Mekka in Saudi-Arabien

Auch der Gebetsruf des Muezzin muss nicht unbedingt vom Minarett herunter erschallen; in Deutschland ist er wegen möglicher Ruhestörung ohnehin in den meisten Städten nicht außen erlaubt, sondern nur innerhalb der Moschee.

Die "fünf Säulen des Islam"

Das rituelle Gebet ist eine der sogenannten fünf Säulen des Islam:

  • Glaubensbekenntnis (keine Gottheit außer Allah, Mohammed ist der Gesandte Allahs)
  • Rituelles Gebet, fünf Mal täglich
  • Fasten im Monat Ramadan
  • Sozialabgabe (Almosensteuer)
  • Pilgerfahrt nach Mekka (arabisch: hajj, türkisch: hac)

München-Freimann - erste Moschee Bayerns

Moschee in München-Freimann

Dementsprechend schlicht waren die ersten Gebetsstätten: Extra-Stuben in Fabriken, umgestaltete Lagerhallen, angemietete Dachgeschosse - Orte fern vom Stadtzentrum, weit draußen in der Vorstadt. Der Begriff "Hinterhofmoschee" machte die Runde, denn zur Ausübung ihrer Religion mussten sich die Muslime in der Regel mit Gewerbegebieten begnügen.

Ungewollt im Fokus

Jahrzehnte lang sei man als Muslim nicht beachtet worden. Erst wenn es um den Bau einer Moschee geht, stehe man plötzlich im Mittelpunkt. Das beklagte ein Muslim aus dem schwäbischen Wertingen, wo eine Bürgerinitiative einen Moschee-Bau verhinderte.

Sie lebten in einer "Parallel-Gesellschaft", wie man das später nannte. Um ihre Integration kümmerte sich niemand, sie hatten anfangs ein mühevolles und einsames Leben in der Fremde. Noch 1972 waren 89 Prozent der Migranten Männer. Muslime - de facto Bürger zweiter Klasse am Rand der Gesellschaft.

So überrascht es wenig, dass auch die ersten "richtigen" Moscheen der Bundesrepublik am Stadtrand entstanden: 1957 Hamburg-Stellingen, 1959 Frankfurt-Sachsenhausen. 1973 folgte München-Freimann als erste Moschee in Bayern. Auch dieses islamische Gotteshaus wurde an der Peripherie gebaut. Es liegt im Münchner Norden direkt an der stark befahrenen Bundesstraße 11 nach Freising - gegenüber einer großen Kläranlage.

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