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Hochwasserschutz Der Iller-Polder

Das Pfingsthochwasser von 1999 traf das Allgäu ganz besonders. Allein im Iller-Tal entstanden Schäden in Millionhöhe. Die Lehre daraus: Man baute einen Polder nahe Immenstadt.

Stand: 03.06.2016 | Archiv

Seifener Becken (Computeranimation) | Bild: Wasserwirtschaftsamt Kempten

Das Pfingsthochwasser von 1999 schockte vor allem auch das Allgäu. Bis zu 300 Liter Regen prasselten damals innerhalb 24 Stunden auf einen Quadratmeter. So mancher Landwirt war in seiner Existenz bedroht. Allein im Iller-Tal entstanden Schäden in Höhe von 60 Millionen Euro. Um so etwas künftig zu verhindern, wurde in diesem Gebiet eines der größten Schutzprogramme Bayerns umgesetzt: das Projekt "Obere Iller".

"Riesige Badewanne"

Hochwasser will man dort unter anderem durch einen Polder in den Griff bekommen. Stauplatz im Allgäu ist eine gletschergeformte riesige Wiesenmulde: der Polder Weidachwiesen am Seifener Becken nahe Immenstadt. 2007 wurde das Projekt fertig gestellt.

Polder

Ein Flutpolder ist ein sogenanntes Retentionsgebiet: ein vom Fluss getrenntes, teils deichgeschütztes Gelände, das niedriger als seine Umgebung liegt, und bei Hochwasser geflutet wird.

Nach Angaben von Helmut Weis, stellvertretender Leiter des Wasserwirtschaftsamtes Kempten, wurde der natürliche Polderraum durch Baumaßnahmen so erweitert, dass er nun über eine Einstautiefe von sieben Metern verfügt. Früher waren es lediglich zwei Meter.

Damit kann das Becken im Notfall sechs Millionen Kubikmeter Wasser zwischenspeichern. "Wir lassen praktisch eine riesige Badewanne volllaufen", so Weis. Für das Projekt wurde sogar die Iller auf einer Länge von mehr als einem Kilometer um 100 Meter verlegt.

Deutliche Flusspegel-Absenkung

Video

Seifener Becken (Computeranimation) | Bild: Wasserwirtschaftsamt Kempten zum Video Computer-Animation Ein Polder lässt sich volllaufen

Die Animation zeigt, wie im Allgäu bei Hochwasser bis zu 6,3 Millionen Kubikmeter in den Polder Weidachwiesen rechts von der Iller abgeleitet werden. (Ausschnitt aus dem Film "Gezähmtes Wasser", der 2007 im Auftrag des Wasserwirtschaftsamtes Kempten entstand) [mehr]

Der Zwischenspeicher im Seifener Becken ist ein sogenannter gesteuerter Flutpolder: Kommen die Fluten, passieren sie zunächst das Einlassbauwerk - das kappt die Hochwasserspitze. Mit sieben Einlässen lässt sich die Menge des "abgefangenen" Wassers dosieren. Über eine Flutrinne läuft es dann in den etwa zwei Kilometer langen und 900 Meter breiten Polder Weidachwiesen östlich der Iller. Innerhalb von etwa acht Minuten ist er voll. Der Flusspegel kann damit um bis zu 50 Zentimeter gesenkt werden. Ein Auslassbauwerk hält das Wasser zurück und gibt es dosiert wieder an die Iller ab. Der Polder soll Jahrhundert-Hochwasser wie jene von 1999 oder 2005 bewältigen können. Die Unterlieger, die Einwohner von Kempten oder Neu-Ulm, blieben damit künftig vor derartigen Katastrophen verschont - so der Plan.

Bund Naturschutz wenig euphorisch

Seifener Becken, Pfingsten 1999: Iller-Hochwasser

Der Bund Naturschutz (BN) zeigt sich von einem derartigen Großprojekt dennoch nicht übermäßig begeistert - schon allein wegen des massiven Eingriffs in die Landschaft und des Gewässer-Regimes. Zwei Millionen Kubikmeter Erdreich wurden an der oberen Iller bewegt.

Bildergalerie

Christine Margraf, Leiterin der BN-Fachabteilung München, kritisiert grundsätzlich das Polder-Prinzip: Fließendes Wasser könne nicht natürlich über eine Auenlandschaft gebremst werden, sondern werde künstlich gestoppt und müsse längere Zeit stehen. Dadurch erwärmt es sich und wird sauerstoffärmer, was Absterbeprozesse nach sich ziehe. Zudem seien Niederschlags-Vorhersagen nicht so genau zu treffen, dass man das Hochwasser punktgenau steuern könne. So könnten weitere, nicht prognostizierte Wassermassen herabdonnern, obwohl der Polder schon voll ist - und die Einwohner von Kempten oder Neu-Ulm blieben doch nicht verschont.

Grundsätzlich, so Margraf, müsse man Hochwasser dort bekämpfen, wo es entsteht: im Gebirge. Man müsse den Bergwald besser schützen, Moore renaturieren und weniger Flächenfraß zulassen.

Bayern plant weitere Polder

Das Iller-Programm kostete insgesamt etwa 100 Millionen Euro. Die Summe teilten sich EU, Bayern, Kommunen, der Landkreis Oberallgäu und der Bund. Die Staatsregierung plant den Bau diverser weiterer Polder in Bayern. Ein Knackpunkt dabei ist häufig, dass die als Polder auszuweisenden Flächen Eigentum von Bauern sind und landwirtschaftlich genutzt werden. Eine früher ins Spiel gebrachte Enteignung von Bauern soll es nicht geben, so die Staatsregierung. Die Flächen sollen möglichst weiter landwirtschaftlich genutzt werden, bei Überschwemmungen sollen die Landwirte Entschädigungen erhalten. Viele Bauern befürchten jedoch, dass diese nicht angemessen sein werden.

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