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Wende im G36-Skandal Heckler & Koch schießt zurück

Der Rüstungskonzern Heckler & Koch wollte negative Berichterstattung über die Pannen beim Sturmgewehr G36 durch den Militärische Abschirmdienst verhindern lassen. Als der Geheimdienst das ablehnte, hat H&K die Staatsanwaltschaft Bonn eingeschaltet – mit ausdrücklicher Ermittlungsermächtigung des Verteidigungsministeriums.

Von: Von Daniel Harrich, Patricius Mayer und Katja Beck

Stand: 07.07.2015 | Archiv

Ein Mann hält ein Sturmgewehr G36 von Heckler und Koch in die Höhe am 07.05.2015 in Oberndorf (Baden-Württemberg) in der Firmenzentrale. | Bild: picture-alliance/dpa

Am 20. November 2013 wandten sich die Geschäftsführer des Waffenherstellers Heckler & Koch an den Präsidenten des Militärischen Abschirmdienstes (MAD). Ihr Anliegen: Seit April 2012 gab es in den Medien vermehrt Berichte über die mangelnde Qualität des Sturmgewehres Typ-36, die sich auf „Vertraulich“ eingestufte Dokumente des Verteidigungsministeriums bezogen. Die Geschäftsführer von Heckler & Koch wollten ermitteln lassen, wer die Quelle im Verteidigungsministerium ist. Sie fürchteten um den Ruf des Rüstungsunternehmens, nachdem bekannt wurde, dass es erhebliche Zweifel an der Treffgenauigkeit des Sturmgewehrs G36 gab.

Der Präsident des MAD, Ulrich Birkenheier, lehnte ein Eingreifen kategorisch ab. Detlef Selhausen, damaliger Abteilungsleiter beim Verteidigungsministerium, versuchte den MAD-Chef zwar noch schriftlich umzustimmen, jedoch machte dieser in einem Schreiben – datiert auf den 23.12.2013 – deutlich: Er sehe „keine begründete Besorgnis einer Gefahr für ein Schutzgut des MAD. (…) Ein Tätigwerden des MAD in dieser Angelegenheit verbietet sich daher.“

Staatsanwaltschaft wird für Heckler & Koch tätig

Am 28.11.2013, wenige Tage nach der Absage des MAD, stellte H&K bei der Staatsanwaltschaft Bonn Anzeige gegen Unbekannt: Wer ist der Whistleblower im Verteidigungsministerium? Im Rahmen der Verfahrensprüfung erbat die Staatsanwaltschaft beim Verteidigungsministerium eine „Entscheidung über die Erteilung der zur Verfolgung der Straftat erforderlichen Ermächtigung.“ Diese Zustimmung ist laut § 353b Absatz 4 Nr. 4 StGb. zwingend notwendig, um Ermittlungen zu führen, die Geheimnisverrat in einem Bundesministerium betreffen.

„VS-Geheim“ eingestufte Unterlagen, die dem Rechercheteam von SWR und BR exklusiv vorliegen, belegen, dass der mit der Prüfung beauftragte Referatsleiter, Ministerialrat Dr. Christian Raap, Staatssekretärin Frau Dr. Suder „eine Erteilung der Ermächtigung zur Strafverfolgung“ dringend empfahl. Die Begründung zeigt, wie eng die Verflechtung zwischen Ministerium und Rüstungsfirma zu sein scheinen.

Das Ministerium befürchtete, eine Ablehnung könnte „bei der Firma Heckler & Koch zu Irritationen führen, die als Vertragspartnerin der Bundeswehr durch die Veröffentlichung der Vorlage ebenfalls geschädigt wurde.“ Außerdem „besteht im BMVg ein erhebliches Interesse daran, einen möglichen Geheimnisverrat im eigenen Haus bzw. nachgeordneten Bereich aufzuklären, um mögliche Sicherheitslecks zu schließen und künftige Taten durch Abschreckung zu verhindern.“

BR-SWR-Recherche

Zustimmung des Verteidigungsministeriums

Am 26.1.2015 stimmte Staatssekretär Gerd Hoofe der Erteilung der Ermächtigung zur Strafverfolgung zu. Frau Staatssekretärin Dr. Katrin Suder zeichnete das Dokument ebenfalls am gleichen Tag ab. Das BMVg unterstützt somit aktiv Ermittlungen gegen einen Whistleblower, der vor möglichen Gefahren mangelhafter Waffen der Firma Heckler & Koch gewarnt hat.

Auf die Frage, ob Heckler & Koch mit den Anzeigen eine kritische Berichterstattung über das G36 unterbinden wollte, antwortete das Unternehmen nicht gegenüber SWR und BR. Das Verteidigungsministerium wollte sich nicht näher dazu äußern, betonte aber, dass es grundsätzlich im Interesse des BMVg liege, mögliche Straftaten im eigenen Haus bzw. nachgeordneten Bereichen aufzuklären. Ministerin Ursula von der Leyen war nicht über diesen Vorgang informiert.

Hinweise auf Mängel des G36

G36 - als Standard-Sturmgewehr überall im Einsatz

Dieter Jungbluth, ehemaliger Mitarbeiter der Bundeswehr Beschaffungsbehörde, hat in der Vergangenheit ebenfalls auf Mängel am G36 und anderen Waffen hingewiesen. Bei Vorgesetzten und Kollegen fand er keine Unterstützung, stattdessen fühlte er sich gemobbt. Auch direkte Schreiben an hohe Beamte und den damaligen Verteidigungsminister Thomas de Maizière blieben ohne Reaktion. Pflichtbewusste Mitarbeiter, die auf Mängel am G36 aufmerksam machen wollten, hatten keine andere Wahl, als zum Whistleblower zu werden, so Jungbluth. "Erst als die Medien quer durch die Republik sich mit dem Thema beschäftigten, wurde man endlich auch innerhalb der Behörde tätig“.

Rund drei Wochen nach der Ermächtigung genehmigen Ministerialrat Dr. Christian Raap und Staatssekretärin Frau Dr. Katrin Suder noch eine zweite Strafverfolgung. Grund: Auch ein vertraulicher Bericht des Bundesrechnungshofs, der sich ebenfalls mit der G36 Problematik beschäftigt, wurde weitergegeben. Die Staatsanwaltschaft Bonn hat bestätigt, seit Beginn des Jahres in zwei Fällen wegen Geheimnisverrats gegen Unbekannte zu ermitteln.


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