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EU-Gipfel nach Brexit Auf der Suche nach einer gemeinsamen Linie

Was wird denn nun aus der EU und Großbritannien? So richtig weiß das keiner, auch nach dem gestrigen Abend nicht. Während die britische Regierung planlos zu sein scheint, versucht der Rest der EU, eine gemeinsame Linie zu finden, wie mit dem Abtrünnigen umzugehen sei

Von: Sabine Hackländer

Stand: 29.06.2016

Cameron und Merkel beim Brexit-Gipfel | Bild: REUTERS/Phil Noble

Gut ist, dass sich offenbar alle - von den Mitgliedsstaaten bis zu den EU-Institutionen - einig sind, Großbritannien ab sofort keine neuen Zugeständnisse mehr zu machen.

Verheiratet oder geschieden, nichts dazwischen

In ist in und out ist out oder wie Luxemburgs Ministerpräsident es so treffend ausdrückte: Wir sind verheiratet oder geschieden, aber nicht irgendwas dazwischen. Diese Klarheit muss Europa aufbringen, wenn es nicht zur Lachnummer verkommen will. Das heißt: Kein weiteres Angebot für speziell britenfreundliche Reformen, um das Land vielleicht doch noch umzustimmen und erst recht keine Verhandlungen über den künftigen Status Großbritanniens wenn der Austritt nicht zuvor besiegelt ist.

Beratungen erstmals ohne Cameron

Nach dem Brexit-Votum gibt die EU Großbritannien bis September Zeit, um offiziell den Austritt aus der EU zu erklären. EU-Ratspräsident Tusk erklärte in der Nacht nach dem Gipfel, die Staats- und Regierungschefs hätten zwar Verständnis dafür, dass etwas Zeit nötig sei, dennoch hofften alle weiter, dass die Austrittserklärung so schnell wie möglich erfolge. Bundeskanzlerin Merkel sagte, der Brexit sei unumkehrbar. Alle täten gut daran, die Realitäten zur Kenntnis zu nehmen. Heute Früh treffen sich die EU-Staats- und Regierungschefs zum ersten Mal ohne den britischen Premier Cameron.

Denn besser könnte man Europakritiker in anderen EU-Staaten nicht ermutigen, dasselbe zu tun. Hier hart zu bleiben hat nichts mit einem vermeintlichen Racheakt zu tun, sondern ist reiner Überlebenstrieb. Den sollte die EU auch an den Tag legen, wenn es darum geht, Lehren aus dem Brexit-Votum zu ziehen. Was tun, um die EU wieder attraktiver, um nicht zu sagen liebenswerter zu gestalten? Doch in diesem Zusammenhang gilt bisher munter weiter das Prinzip der Selbstzerfleischung: Jeder gegen jeden und alle gegen die EU, wenn es nur der eigenen Sache dient.

Tsipras: EU fehlt Transparenz und Solidarität

So ist Griechenlands Ministerpräsident Tsipras der Ansicht, dass es in der EU neben Transparenz und Demokratie an sozialem Zusammenhalt und Solidarität fehle. Dabei schweben ihm ganz offensichtlich deutlich mehr die Probleme seines eigenen Landes als die Sorgen der Briten vor, die sich ja eigentlich gerade gegen Werte wie Solidarität und sozialen Zusammenhalt ausgesprochen haben.

Und dennoch führt er das Brexit-Votum ohne Umschweife auf eben diese vermeintlichen Mangelerscheinungen zurück. Die Visegrad-Staaten also Polen, Slowakei, Ungarn und Tschechien wollen dagegen als Reaktion auf das Brexit-Votum dagegen deutlich weniger Gemeinschaft, die Befugnisse der EU-Kommission müssten beschnitten werden, und stattdessen die Mitgliedsländer wieder mehr Macht bekommen. Italien denkt an Konjunkturprogramme und ans Schuldenmachen, während Deutschland vor allem auf die Stärkung von Wirtschaft und Wettbewerbsfähigkeit setzt.

Frust über mangelnde Umsetzung von Beschlüssen

Dass ein Großteil des Frustes über die EU der mangelnden Umsetzung von Beschlüssen geschuldet ist - man denke nur an die Flüchtlingskrise - wird zwar gerne erwähnt, doch Besserung ist nicht in Sicht, trotz permanent wachsender Europaskepsis. Solange diese fundamentale Schwäche aber nicht behoben ist, wird Europa sicher nicht besser, sondern bleibt vor allem eines: ein idealer Sündenbock.



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christl, Mittwoch, 29.Juni 2016, 13:24 Uhr

7. Gleiches Recht für alle!

Immerhin durften die Briten abstimmen, welch ein glückliches Land!

  • Antwort von Zwiesel, Mittwoch, 29.Juni, 13:43 Uhr

    @christl:
    Und, was habe sie jetzt davon? Die Verantwortlichen für die Volksbefragung, allen voran Cameron, halten sich nicht daran. Sehen Sie das so nach dem Motto, "aber gfrogt hams uns"? Warum schimpfen Sie nicht auf Cameron, dem der Wille des Volkes anscheinend egal ist?

Roland B., Mittwoch, 29.Juni 2016, 13:00 Uhr

6. Juncker ist KEIN Europäer

Europa besteht aus über 40 Ländern. In der EU Organisation sind aktuell 28 bzw 27 Länder. Es gibt ein Leben in der EU-Organisation und ein Leben außerhalb der EU-Organisation. Beides funktioniert! Genauso kann man in der NATO sein oder außerhalb der NATO sein.

Eine Mutter liebt alle ihre Kinder. Wahre Europäer lieben alle Länder - die in der EU sind, genau so wie die außerhalb der EU.

Juncker ist KEIN Europäer. Juncker ist ein EU-Funktionär. Länder die nicht in der EU sind sollen nach Junckers Meinung bestraft werden. Das zeigt sein wahres Gesicht. Das machen Ideologen aber keine wahren Europäer. Dieser Kommentar wurde von der BR-Redaktion entsprechend unseren
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  • Antwort von Zwiesel, Mittwoch, 29.Juni, 13:27 Uhr

    @Roland B.:
    Woraus schließen Sie, dass Juncker Länder, die nicht in der EU sind bestrafen will? Bin ganz neugierig auf Ihre Erklärung, lerne gerne dazu.

basti, Mittwoch, 29.Juni 2016, 12:39 Uhr

5. Tsipras: EU fehlt Transparenz und Solidarität

Der Hauptnehmer beklakt sich über Solidarität.
Zuviel griechischer Wein:-))
Klare Linie und Transparenz bei Merkel? Da kann er lange suchen bzw. muss erst Umfragewerte abwarten.

  • Antwort von Zwiesel, Mittwoch, 29.Juni, 13:29 Uhr

    @basti:
    Ihrem Kommentar entnehme ich, dass Sie in Bezug auf Transparenz mit Tsipras einer Meinung sind.

Agan, Mittwoch, 29.Juni 2016, 12:22 Uhr

4. Konsequenzen

Dem britischen EU-Referendum-Act haben 2015 über 500 Abgeordnete des britischen Unterhauses zugestimmt. Es kann doch nicht sein, dass sich keiner Gedanken gemacht habe, wie es nach dem Referendum weiter geht. Im Moment sieht es so aus, dass keiner Konsequenzen ziehen will.

Für Europa - gegen Merkels EU, Mittwoch, 29.Juni 2016, 11:48 Uhr

3. Leichtsinnige Äusserungen der Brexit-Gegner

Scheinbar meinen Merkel, Juncker, Hollande, Schulz und viele andere, der mögliche Austritt von Großbritannien sei kein Problem für die Europäische Union und nur das Vereinigte Königreich hätte massive Probleme zu erwarten. Und die EU könne einfach so weitermachen mit ihrer besitzergreifenden Politik der Entmachtung der Nationen und Bürger. Statt Großbritannien zum Bleiben zu überzeugen, schütten hochrangige EU-Bürokraten mächtig Öl ins Feuer, verhandeln schon mit Schottlands Premierministerin, als sei Großbritannien schon auseinander gebrochen, Juncker sagt "draußen ist draußen" und Merkel sieht keinen Weg zurück. Damit entlarven sich Merkel und ihre engstirnigen EUkraten als die eigentlichen Probleme für Europa. Merkel steht nämlich nur für ein Europa der Konzerne, Wirtschaftsbosse und der Gewinner. Die vielen Arbeitslosen in Griechenland, Italien, Spanien und in Osteuropa sind Merkel egal, Hauptsache sie und ihre EUphilen haben Macht, Geld und Karriere. Dieser Kommentar wurde von der BR-Redaktion entsprechend unseren
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