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Die Griechin Ioanna Kinazidou "Meine Deutschkenntnisse machen mir Angst"

Statt als Sozialwissenschaftlerin zu arbeiten, musste die Griechin Ioanna in München staubsaugen und Fenster putzen. Den Optimismus der 24-Jährigen bremsen momentan Zweifel: Ist ihr Deutsch gut genug für den Job?

Von: Annette Walter

Stand: 05.08.2013 | Archiv

Die Griechin Ioanna | Bild: BR

30 Euro - davon kann man in München zu zweit günstig Essen gehen. So wenig Geld hätte die Griechin Ioanna Kinazidou im Monat vom Arbeitsamt bekommen, wenn sie in Korinth geblieben wäre. In der griechischen Stadt hat die 24-Jährige einen Bachelor in Sozialpolitik abgeschlossen. Mehr wird Akademikern nicht gezahlt, die nach dem Studium keinen Job finden. Und dass sie nichts finden, ist wahrscheinlich. In Griechenland ist fast jeder zweite junge Mensch ohne Arbeit.

Angst vor einer Bewerbung

Deshalb ist Ioanna vor eineinhalb Jahren nach München gekommen. Sie ist eine fröhliche und sehr höfliche Frau. Fast nach jedem Satz lacht die Griechin mit den langen schwarzen Haaren und der schlanken Figur. Und schiebt sofort eine Entschuldigung hinterher, dass sie zu schlecht Deutsch spricht.

Dabei sind ihre Sprachkenntnisse in den 18 Monaten, die sie bisher in Bayern wohnt, so gut, dass sie eine Stunde am Stück erzählen kann. Zum Beispiel von den Büros, die sie am Anfang ihrer Zeit in München geputzt hat - vom Teppichbödensaugen, Fensterputzen, Staubwischen. Von der Bäckerei, die ihrer Tante gehört, und in der sie jetzt arbeitet. Von der Angst, die sie momentan davon abhält, eine Bewerbung zu verschicken, um einen Job als Sozialwissenschaftlerin zu bekommen. Vielleicht im Migrationsbüro der Inneren Mission, wo sie momentan ein Praktikum absolviert. Und von der Miniwohnung in Laim, 450 Euro für 20 Quadratmeter. Immerhin ihre eigenen vier Wände, auch wenn es dort nicht so idyllisch ist wie in Korinth, als sie für weniger als die Hälfte ein Apartment mit Blick auf das Meer bewohnte.

Ihr kleiner Bruder will wieder weg

Uni-Absolventin Ioanna mit ihren Kommilitoninnen in Korinth

Aber wenigstens muss sie nicht mehr bei ihren Verwandten schlafen, die sie am Anfang ihrer Zeit in München unterstützen. Deshalb ist sie auch nach München gekommen, hier war die Familie, hier hatte sie Anschluss.

Ihr kleiner Bruder ist ihr gefolgt. Er möchte aber lieber wieder nach Griechenland. Vielleicht zurück zu den Eltern nach Thessaloniki. Die Stadt mit rund 320.000 Einwohnern liegt wunderschön am Meer. Dort ist die Kulisse ein Traum, aber wer nicht im Tourismus oder der Gastronomie unterkommt, hat es schwer.

Vorurteile gegen Griechen mag Ioanna nicht hören. Als faule Steuerhinterzieher wurden die Bürger ihres Heimatlandes in deutschen Boulevardzeitungen bezeichnet. "Pleite-Griechen" titelte die Bild-Zeitung hämisch, vom hoffnungslosen Sanierungsfall war die Rede.

"Die Menschen bei mir daheim sind so nett und gastfreundlich - und natürlich zahlen wir Steuern."

Ioanna Kinazidou

Gekommen, um zu bleiben

Viele ihrer Freundinnen haben auch keine Perspektive in Griechenland, erzählt Ioanna.

Dass sie in den kommenden Jahren in ihr Heimatland zurückkehrt, glaubt Ioanna nicht. Denn die Menschen in Bayern haben sie freundlich empfangen. Negative Erlebnisse, daran erinnert sie sich kaum. Nur einmal, als sie mit einer Freundin eine Wohnung suchte, schlug ihr unverhohlen Ignoranz und Dummheit entgegen. "Die Frau am Telefon hat einfach aufgelegt, als meine Freundin auf Englisch nach der Wohnung fragte." Als Ioanna ein paar Minuten später selbst anrief und sich auf Deutsch nach der Wohnung erkundigte, war die Frau auf einmal freundlich.

"Ich kann mir vorstellen, lange in München zu bleiben."

Ioanna Kinazidou

Doch da war noch etwas: Eine Bekannte telefonierte in der U-Bahn mit der Familie in der Heimat. Das passte einer Münchnerin, die in der Nähe saß, überhaupt nicht.

"Eine Frau sagte zu meiner Bekannten: Reden Sie Deutsch hier! Wir sind in Deutschland."

Ioanna Kinazidou

Vernünftig Arbeiten - auch an sich

Trotzdem lässt sich Ioanna nicht beirren. Sie möchte ihr Deutsch verbessern, dann am liebsten noch einen Master an der Uni dranhängen und dann endlich in dem Beruf arbeiten, in dem sie von ihrem Studium der Sozialarbeit profitiert. Ihr Ziel ist es, sich nicht mehr mit Aushilfstätigkeiten über Wasser halten zu müssen. Bayerischen Pragmatismus hat sie schon verinnerlicht: "Schaun mer mal", sagt sie auf die Frage, wo sie sich in einem Jahr sieht.

Wünsche für die Zukunft

Immer höflich, immer freundlich zu den Gästen: der Barista Andrea Lo Giudice aus Sizilien

Ioannas Latte-Macchiato-Glas ist leer. "Wünschen Sie noch etwas?", fragt der Barista Andrea. Der jungen Griechin würde so einiges einfallen. Nur mit den Wünschen und Träumen ist das halt so eine Sache ...

Wie es für Ioanna, Andrea und Irantzu weitergeht in München oder ihren Heimatländern, erfahren Sie regelmäßig auf BR.de/nachrichten.


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