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Zu geizig? Contergan-Opfer streiten sich mit Stiftung

Das Schicksal der Contergan-Kinder hat in den 60er Jahren ganz Deutschland berührt. Heute soll die Contergan-Stiftung für sie sorgen. Doch viele Betroffene sind unzufrieden.

Von: Christian Stücken

Stand: 29.06.2016

Contergan | Bild: pa/dpa/Frank Leonhardt

Die Contergan-Stiftung ist dafür zuständig, dass die Betroffenen heute ein selbstständiges Leben führen können. Doch Betroffene fragen sich, warum die Stiftung gegen sie arbeitet. Immer wieder verwehrt sie die Kostenerstattung für wichtige Hilfsmittel, den sogenannten spezifischen Bedarf. Darunter fällt auch das neue Bett von Christiane Ortel - ein sogenanntes Box-Spring-Bett, höhenverstellbar, mit Motor und Federkernmatratze. So hatte es ihr Arzt verordnet.

"Mit dem alten Bett und der alten Matratze hatte ich es nachts oft so, dass ich wach wurde. Ich war  total verspannt und verkrampft. Ich war nicht mehr in der Lage, mich zu drehen. Ein paar Mal habe ich schon gedacht, ich wäre jetzt gelähmt. Dann musste ich meinen Mann wecken, dass er mich ganz vorsichtig wieder aus meiner Lage heraus gedreht hat."

Christiane Ortel, Betroffene

Die Rechnung für das Bett über 5.000 Euro hat Christiane Ortel mit ihrem ärztlichen Attest an die Contergan-Stiftung geschickt. Die Geschädigten bekommen je nach Behinderung eine monatliche Rente. Dazu stehen 30 Millionen Euro im Jahr für den spezifischen Bedarf der Geschädigten bereit. Das Ziel: Sie sollen ein möglichst selbstständiges Leben führen.

"Alles, was man mit den Händen macht, kann man sagen, ist bei den meisten Contergan-Geschädigten nicht voll funktionstüchtig. Gerade da braucht man Hilfe - beim Anziehen, beim Ausziehen, beim Waschen. Lassen Sie es mal so heiß sein wie die letzte Woche: Ich habe keine Chance alleine aus meinen Sachen zu kommen."

Christiane Ortel

30 Millionen Euro pro Jahr

Alle Contergan-Geschädigten brauchen Hilfe. Deswegen wurde die Stiftung nach einem jahrelang andauernden Prozess 1972 gegründet. Die Geschädigten haben im Gegenzug auf alle ihre Ansprüche gegen die Contergan-Firma Grünenthal verzichtet. Jetzt sind sie auf die Stiftung angewiesen. Nachdem Christiane Ortel um Kostenerstattung für ihr Bett gebeten hatte, bekommt sie Post von der Stiftung. Das Bett sei reines Wohnmobiliar, heißt es in dem Schreiben. Die Kosten würden nicht erstattet.

Auch die 54-jährige Toni ist eine Betroffene. Nach zwei Schulter- und drei Hand-Operationen hatte sie Schwierigkeiten die Rollläden raufzuziehen oder sie runterzulassen. Deswegen hat sie die Stiftung gebeten, die Kosten für einen Motor zu übernehmen.

"Wo wir das Haus gebaut hatten, da ging es mir noch gut, da konnte ich das. Aber dass das so rapide abnimmt, gerade mit der Kraft und dass diese ganzen Folgeschäden dazukommen, das wusste ich damals nicht."

Toni, Betroffene

Toni hat den Motor einbauen lassen. Die Stiftung hat die Kosten nicht übernommen. Das sei eine Umbaumaßnahme, hieß es. Für die Betroffene war das überhaupt nicht nachvollziehbar. Sie dachte, "diese Leute müssten einfach einen Tag in unserer Situation verbringen, mit unseren Schäden". Toni ist davon überzeugt, dass dann manch einer von seinem Schreibtisch aus anders urteilen würde.

Von den 30 Millionen Euro, die im Jahr für den spezifischen Bedarf der Geschädigten zur Verfügung stehen, werden bei der Stiftung nur 2,5 Millionen abgerufen. Trotzdem werden immer wieder Anträge auf Hilfsmittel abgelehnt.

"Ich muss prüfen, ob das, was beantragt wird wirtschaftlich ist, angemessen ist, und passend ist für denjenigen. Und das wird bei jedem Einzelfall geprüft."

Marlene Rupprecht, Contergan-Stiftung

Streit vor Gericht

Andreas Meyer kann nicht verstehen, warum das alles so bürokratisch ist. Er ist der Vorsitzende vom Bund der Contergan-Geschädigten. Für ihn und viele andere Betroffene ist das Verhältnis zur Stiftung schwierig. "Es gibt kein Verhältnis der Stiftung zu den Geschädigten. Die Stiftung hat den Auftrag, für die Bundesregierung Geld zu sparen. Und das ist der Punkt", sagt er.

Bei der Stiftung will man das nicht so stehen lassen und überlegt, ob man das Geld an die Betroffenen nicht pauschal auszahlen sollte.

"Ich habe verschiedene Modelle für die Stiftung berechnen lassen, ob man das in Form einer Pauschale an jeden ausreicht, und der kann sagen, ich spar mir das für einen Bad-Umbau, oder der andere sagt, hab ich schon, aber ich will jedes Jahr zur Kur."

Marlene Rupprecht, Contergan-Stiftung

Doch das ist noch offen. Christiane Ortel ist vor Gericht gegangen, um die Kosten für das Box Spring-Bett doch noch erstattet zu bekommen. Das Verwaltungsgericht in Köln hat in ihrem Sinne entschieden und klar gemacht: Die Stiftung muss das Bett zahlen. Dafür ist sie da.

"Dieses Bett ist für mich ein medizinischer Bedarf und auch ein Hilfsmittel. Das lindert meine chronischen Schmerzen, ich hab das Bett ja jetzt zwei Jahre. Es hat mir ja unheimlich viel geholfen. Ich kann wieder alleine aufstehen, was ich vorher nicht konnte."

Christiane Ortel

Das Gericht hat dabei klargestellt, dass der spezifische Bedarf bei Contergan-Geschädigten sehr viel weiter zu fassen ist. Doch freuen kann sich Christiane Ortel noch nicht. Die Contergan-Stiftung will gegen das Urteil Berufung einlegen.


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Bruno Peters, Freitag, 01.Juli 2016, 18:27 Uhr

24. Ein Bahnhof, ein Flughafen und noch ein Großprojekt

"Contergan" hat zu jeder Zeit unserer Gesellschaft den Spiegel vorgehalten. Ein Ruhmesblatt war das nur selten. So auch im Jahr 2016. Die Politik beklagt Akzeptanzprobleme? Bei den vielfältigen Merk-Würdigkeiten rund um die Contergan-Stiftung könnte man sehen, woher diese kommen. Wenn man sehen möchte. Dort wo der Staat dem Bürger - hier einer Vielbeschworenen Schicksalsgemeinschaft - entgegentritt, kommt Demokratie auf den Prüfstand. Und er scheitert bei dieser Aufgabe, wenn die Reprsantanten der Demokratie mit Winkelzügen der Machtausübung agieren. Das hinterlässt Menschen, für die gespürte Ohnmacht zur realen Erfahrung wird. Geld, das medienwirksam ausgelobt und dann mit viel Personalaufwand einbehalten wird, ist hier nur ein Symbol. Das Problem liegt tiefer. Unter dem Strich hat der Pharmakonzern mehr Interessenvertretung erfahren, als die Opfer, denen man zwar wortreich für die erbrachte Lbensleistung dankt, aber nicht bereit ist, dafür zu zahlen - um im Bild zu bleiben.

George3, Freitag, 01.Juli 2016, 02:07 Uhr

23. Die Bundesregierung muss sich entschuldigen

Dass die Geschädigten über viele Jahrzehnte mit Minirenten von ungefähr 100 bis 450 DM auskommen mussten, lässt sich auf den ersten Blick kaum erklären, denn jedem, der sich für das Conterganverbrechen interessierte, war bereits Mitte der 1960er Jahre klar, dass die Bundesregierung eine Hauptverantwortung für das Leid der Conterganopfer trägt, denn Contergan konnte in Deutschland rezeptfrei verkauft und mit Sprüchen wie "Contergan - So harmlos wie ein Zuckerplätzchen" beworben werden, obwohl dieses hochgefährliche Medikament in den USA längst verboten war und in Österreich (unter dem Namen Softenon verkauft) der Rezeptpflicht unterlag. Ich hoffe daher, dass sich Marlene Rupprecht als Vorsitzende der Conterganstiftung bei der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel sowie der Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig dafür einsetzt, dass sich die Bundesregierung offiziell bei allen Contergangeschädigten und ihren Eltern für dieses unfassbare Versagen der Politik entschuldigt.

Stefanie Meissner, Donnerstag, 30.Juni 2016, 22:25 Uhr

22. Opfer sollten gerecht behandelt werden

Bei den verschiedenen Pauschalen, die die Vorsitzende der Conterganstiftung, Marlene Rupprecht, veröffentlicht hat, wurde leider folgendes übersehen:

4 Jahre lang (2013 bis 2016) sind insgesamt 110 Millionen Euro wieder zurück in den Staatshaushalt überwiesen worden, weil der Fond der spezifischen Bedarfe von den Opfern aus verschiedensten Gründen nicht genutzt werden konnte. Es macht mich zutiefst betroffen, dass ausgerechnet die Conterganopfer, die 50 Jahre lang vom Staat im Stich gelassen wurden und nur mit symbolischen Minibeträgen abgespeist wurden (in den ersten 10 Lebensjahren gab es keinen Pfennig und die durchschnittliche Conterganrente lag zum Beispiel 1990 bei umgerechnet zirka 35 Euro monatlich) wieder einmal auf für sie wichtige finanziellen Hilfen verzichten sollen.

Es sollte meiner Auffassung nach eine Selbstverständlichkeit sein, dass die oben genannten 110 Millionen Euro nun für eine deutliche Erhöhung der geplanten Pauschalzahlungen verwendet werden.

  • Antwort von Stefanie Meissner, Freitag, 01.Juli, 09:37 Uhr

    Ein kleiner Tippfehler hat sich eingeschlichen. Es muss natürlich heißen:
    "...und die durchschnittliche Conterganrente lag zum Beispiel 1990 bei umgerechnet zirka 135 Euro..."

Klein Manuela , Donnerstag, 30.Juni 2016, 21:58 Uhr

21. Contergan Opfer streiten sich mit der Stiftung

"Ich beantrage, es zu prüfen, WIE Frau Marlene Rupprecht prüft, ob das angemessen menschlich ist"

Andrea Kornak, Donnerstag, 30.Juni 2016, 21:21 Uhr

20. Danke !

Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich beim BR bedanken, dass er das Thema Contergan nicht bergessen hat, sondern weiter verfolgt ! Das ist gute öffentlich-rechtliche Berichterstattung, dass man Probleme nachhaltig verfolgt und nicht immer nur Brandaktuellen Kathastrophen oder Oberflächlichem hinterherläuft.

Vielen Dank und bitte weiter so !!!!!!