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Produktion von Billig-Antibiotika Tausende Kinder sterben durch multiresistente Keime

Die Nachfrage nach billigen Medikamenten steigt. Doch die Antibiotika-Produktionsbedingungen einer indischen Firma hinterlassen derart verschmutzte Abwässer, dass sich multiresistente Keime massiv verbreiten.

Von: Jeanne Turczynski

Stand: 19.10.2016

Petrischale mit Keimen | Bild: colourbox.com

Die Nachfrage nach billigen Medikamenten weltweit steigt. Zum einen für Schwellen- und Entwicklungsländer, die günstige Nachahmerpräparate, also Generika, brauchen, weil die Originalprodukte zu teuer sind. Aber auch bei uns sind Medikamente zu niedrigen Preisen begehrt. Hauptproduzent für billige Nachahmerpräparate ist Indien. Das Land liefert 70 Prozent des Weltmarktes. Nun enthüllt ein britischer Bericht, dass die Antibiotika- Produktionsbedingungen der indischen Firma Aurobindo derart verschmutzte Abwässer hinterlassen, dass sich dort multiresistente Keime massiv verbreiten.

Medikamentenrückstände in Wasserproben

Als die Mitarbeiter der britischen Umweltstiftung "Changing Markets" in diesem Sommer in Indien unterwegs waren, haben sie etwas ganz Bestimmtes gesucht. Sie entnahmen Wasserproben an 34 Stellen, immer in der Nähe von Pharmaunternehmen, die Antibiotika produzieren. Frühere Studien hatten bereits gezeigt, dass dort oft Medikamentenrückstände zu finden sind. Deshalb suchten die Umweltaktivisten dieses Mal gezielt nach Bakterien. Was sie dann fanden, hat sie trotzdem überrascht:

"Wir haben an 34 Stellen Proben entnommen und haben uns besonders auf die Region um Hyderabad konzentriert, weil dort ein Zentrum der Medikamentenproduktion ist. Von diesen 34 Proben haben wir in 16 Bakterien gefunden, die resistent gegenüber Antibiotika waren."

Natasha Hurley, Changing Markets

In vier der Proben fand man sogar multiresistente Keime, die gegen drei Hauptgruppen von Antibiotika resistent sind. Und ihr besonderes Augenmerk richteten die Umweltschützer auf eine Wasserprobe nahe dem Produktionswerk der Firma Aurobindo, 80 Kilometer südlich von Hyderabad. Dort fanden sie Darmbakterien, die gegen insgesamt sechs Antibiotika resistent waren. Tim Eckmanns vom Robert-Koch-Institut in Berlin, Deutschlands oberster Seuchenbehörde, erklärt das Problem:

"Bakterien im Abwasser ist unangenehm, denn Abwasser wird zu Trinkwasser. Die Erreger können ins Trinkwasser kommen, zu den Tieren kommen, und über das Trinkwasser und die Tiere können die Erreger auch zum Menschen kommen."

Tim Eckmanns, Robert-Koch-Institut Berlin

Tausende sterben in Indien durch multiresistente Keime

In Indien sind Antibiotikaresistenzen bereits ein riesiges Problem. Eine Studie des britischen Lancet zufolge sterben dort jedes Jahr allein 60.000 Babys durch multiresistente Keime. Die schmutzige Produktion von Antibiotika verschärft die Situation.

"Der Weg ist: Das Antibiotikum wird produziert, in der Fabrik. Das wird 'rausgeleitet und dann sind hohe Konzentrationen in den Böden. Höhere Konzentrationen als im menschlichen Blut zugelassen findet man da teilweise in den Böden. Dort werden die Erreger damit konfrontiert und entwickeln dann Resistenzen gegen diese Antibiotika."

Tim Eckmanns, Robert-Koch-Institut

Billig-Präparate für deutschen Markt

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Es gibt noch eine andere, ethische Dimension. Denn die Billig-Präparate der Firma Aurobindo werden längst auch für den deutschen Markt produziert. Große Krankenkassen, darunter die AOK, die Barmer GEK und die Technikerkrankenkasse haben mit dem Unternehmen bereits Rabattverträge geschlossen, für verschiedene Antibiotika.

Die Kassen sind in Deutschland angehalten, bei Rabattverträgen denjenigen Anbieter zu wählen, der am günstigsten ist. In einer Stellungnahme zeigte sich die Technikerkrankenkasse von den Recherchen alarmiert und will, "prüfen, ob wir rechtliche Möglichkeiten haben, die Produktionsbedingungen in den anderen Werken prüfen zu lassen und ggf. Konsequenzen zu ziehen". Auch bei der AOK Baden-Württemberg verweist man auf die Europäische Arzneimittelagentur EMA und erklärt: "Die AOK hat die zuständige Aufsichtsbehörde eingeschaltet."

Hersteller äußert sich nicht zu Vorwürfen

Der Hersteller selbst hat bisher zu den Vorwürfen nicht Stellung genommen. Die Europäische Arzneimittelagentur EMA prüft Unternehmen wie Aurobindo, die außerhalb der EU produzieren, nach Leitlinien für gute Herstellungspraxis. Natasha Hurley schränkt aber ein: "Europäische Prüfer der nationalen Zulassungsbehörden gehen nach Indien und schauen sich dort die Produktionsbedingungen an. Momentan prüfen sie die Qualität der Medikamente, schauen sich den Herstellungsprozess an, aber sie untersuchen keine Umweltschäden. Wir fordern deshalb, dass die Kriterien der guten Herstellungspraxis ausgeweitet werden und den Umweltschutz mit einschließen."

Und dann, so die Forderung der Stiftung "Changing Markets", müssten alle Unternehmen, die unter umweltschädlichen Bedingungen produzieren, auf eine Schwarze Liste. Idealerweise sollte eine Krankenkasse dann nein sagen können zu einem Unternehmen, das zwar billige Medikamente anbietet, durch die Produktion jedoch die Umwelt und die Gesundheit von Menschen zerstört.


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Irmengard Pfeiffer, Donnerstag, 20.Oktober 2016, 11:53 Uhr

7. billige Antibiotika

Hallo Frau Turczynski!
Solche Informationen finde ich sehr gut und hoffe die Öffentlichkeit verändert die Produktionsbedingungen.
Ich werde an meine Krankenkasse einen Brief schreiben.
Mit freundlichen Grüßen
Irmengard Pfeiffer

Weso, Donnerstag, 20.Oktober 2016, 08:11 Uhr

6. Multiresistente Keime in indischen Gewässern

Bevor in Indien anfangen wird nach Keimen zu suchen, fangt erstmal in unseren Krankenhäusern an. Jährlich sterben in Deutschland 15.000 Menschen ( Meldung Abendnachrichten )
Geld für Umbaumaßnahmen und Neuen Geräten ist vorhanden, dafür wird an der Sauberkeit gespart.
Als MRSA unbelasteter Patient, wird man ja schon paranoid wenn man im Krankenhaus angefasst wird.

websaurier, Mittwoch, 19.Oktober 2016, 15:23 Uhr

5. Unverschämt...


"...Die Krankenkasse sind alarmiert und haben die Behörden eingeschaltet..."

Wie dreist und unverschämt ist das denn?
Die Ursache für die Abwanderung in immer billigere Herstelländer sind die hohen Rabatte, die die Krankenkassen von den Generika-Herstellern erpressen !!
Aber jetzt großartig den Zeigefinger erheben. Besser in den Spiegel schauen, da zeigt sich der Übeltäter...

as, Mittwoch, 19.Oktober 2016, 08:27 Uhr

4. Wie lange weiß man um das Problem?

Wie lange will man dagegen etwas tun?

mutter therese, Mittwoch, 19.Oktober 2016, 08:23 Uhr

3. Text und Bild sollten zusammenpassen

Im Text "Bluttest statt Antibiotika" geht es u.a. um Kosten, die durch CRP-Bluttests entstehen. Das Argument: mit mehr Tests könnte man Antibiotika-Einsätze verringern.

Das Bild zeigt aber eine wesentlich teurere und vor allem für Patienten unangenehmere venöse Blutentnahme am Arm. Diese wird zur reinen CRP-Bestimmung überhaupt nicht routinemäßig angewendet, da hier der Pieks in Fingerbeere oder Ohrläppchen genügt.
Sieht man das Bild, entsteht ein ganz anderer Eindruck: man glaubt, bei jedem Infekt müsse am Arm Blut abgenommen werden. Arme Kinder.
Red.: Vielen Dank für Ihre Anmerkung. Wir haben das Bild ausgetauscht. Dieser Kommentar wurde von der BR-Redaktion entsprechend unseren
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  • Antwort von Tommy, Mittwoch, 19.Oktober, 14:33 Uhr

    Was sagt der CRP denn aus? Das ein entzündlicher Prozess vorliegt.
    Das ist aber auch z.B. bei rheumatoiden Erkrankungen der Fall.
    Von daher sollte man schon eine venöse Blutabnahme vornehmen um im Blutbild die Anzahl der
    Leukozyten (Weiße Blutkörperchen) bestimmen zu können. Desweiteren kann man dann auch gleich
    ein Screening auf pathogene Keime im Blut machen; so spart man sich unnötige Antibiosen.