Medienkompetenzprojekte


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"Von lol bis cu" Wie die neuen Medien die Jugendsprache verändern

Welche Sprache sprechen Jugendliche heute? Und wie beeinflussen Neue Medien diese Sprache? Das waren Fragen, auf die das Goethe-Institut und der Bayerische Rundfunk von den Schülern zweier Schulklassen Antworten haben wollten. Jetzt werden die Ergebnisse auf einer großen Abschlussveranstaltung in Berlin vorgestellt.

Von: Dr. Andreas Vierecke, Südpol-Redaktionsbüro und Projektschreiber Goethe-Institut

Stand: 26.11.2014

Illustration: Ölgemälde Goethe in der Campagna" mit Kopf eines Jugendlichen, Laptop in der Hand und Chat-Kürzel | Bild: Wikimedia Commons, colourbox.com; BR; Montage: BR

Es sind zwei recht unterschiedliche Klassen, die wir da kennen lernen durften: Die bunt gemischte 9. Klasse der Mittelschule an der Hochstraße in München, in der Mädchen und Jungen in mehreren variablen Tischgruppen beieinander sitzen und die reine Jungenklasse der 10. Jahrgangsstufe der Orlando-di-Lasso-Realschule im oberbayerischen Maisach, die in Reihen neben- und hintereinander sitzen, wie wir es von früher kennen.

Impressionen aus dem Sprachprojekt "Goethe 3.0" | Bild: BR/Bildungsprojekte zum Audio "Von lol bis cu" Sprache grenzt aus. Sprache verbindet.

Ist Jugendsprache ein Phänomen unserer Zeit. Keineswegs - schon immer haben sich Jugendliche versucht abzugrenzen, auch sprachlich. [mehr]

Bis auf zwei Ausnahmen ist die Muttersprache der Maisacher Schüler Deutsch. In der Hochstraßen-Klasse werden die unterschiedlichsten Muttersprachen gesprochen. Insgesamt sind es neun an der Zahl. Einige sprechen zwei oder sogar mehrere davon, die sie je nach Situation gerne auch einmal ganz gezielt vermischen und unter sich als eine Art Geheim-Sprache nutzen. Doch bei allen Unterschieden haben die Schüler beider Klassen doch auch eine Menge gemeinsam: Sie sprechen "Jugendsprache", und sie alle sind als "digital natives" mit Computer und Handy aufgewachsen.

Dass sich die Jugend auch durch ihre Sprache von der Erwachsenengesellschaft abgrenzt und sich ihrer eigenen Identität versichert – das ist nichts Neues. Manches aber ist heute tatsächlich anders. Durch die neuen Kommunikationstechnologien gibt es erstmals so etwas wie eine genuin schriftliche Jugendsprache.

"Sprache ist wie Mode"
Und dieser Jugendcode ist von Abkürzungen wie "lol" (für "laughing out loud" : "da muss ich laut lachen") oder "cu" (lautmalerisch für "see you" : "wir sehen uns") ebenso durchsetzt, wie von in ihrer Bedeutung häufig abgewandelten Begriffen, die ihren Ursprung oft in anderen Sprachen haben.

Aus diesen sickern immer wieder einzelne Wörter in die Umgangssprache der jeweiligen Jugendgesellschaft, wie etwa das bosnische "Babo", das eigentlich "Vater", jugendsprachlich aber so viel wie "Boss" bedeutet, oder das türkische "Hayvan" (Tier).

"Das ist so wie Mode“, sagt die siebzehnjährige Salib, „heute ist das Mode und morgen das. Und so genau ist es mit der Sprache. Man weiß nie, was kommt."

(Projektschülerin Mittelschule an der Hochstraße München)

Solche jugendsprachliche Begriffe kommen und gehen in rascher Folge. Was heute total angesagt ist, klingt morgen vielleicht schon wie aus der Zeit gefallen.

Impressionen aus dem Sprachprojekt "Goethe 3.0" | Bild: BR/Pressestelle-Foto zum Audio "Von lol bis cu" "Was ist Sprache für Dich?"

"Sprache ist für mich ..." Gefragt haben wir 24 Schülerinnen und Schüler; bekommen haben wir 24 verschiedene Antworten. Jede für sich eine besondere Erkenntnis. [mehr]

Viel sagen mit wenig Worten
Wenn man sich viel zu sagen hat, aber nur begrenzten Platz oder einfach keine Lust, sich die Finger auf dem Display seines Smartphones wund zu tippen, muss man sich mit Abkürzungen oder Symbolen behelfen, wie dem allgegenwärtigen Smiley oder seinem Gegenteil, dem Frowney. Außerdem möchte man ja, dass der Adressat auch wirklich liest, was man ihm schreibt, und natürlich auch, dass er möglichst rasch antwortet. Diese von manchen so genannte "Fetzensprache" ist deshalb auch überhaupt kein Zeichen für einen etwaigen "Sprachverfall", wie viele meinen, sondern, wie der Linguist Richard Schrodt unlängst in einem Interview mit einem Kollegen treffend gesagt hat, "eine von vielen soziologischen Varietäten, die in ihrem Bereich eine wichtige Funktion erfüllen".

Von lol bis cu

Am Montag, 1. Dezember, findet in Berlin die große Abschlussveranstaltung Deutsch 3.0 statt. Das Goethe-Institut hat sich ein Jahr lang mit der Bedeutung und Zukunft der deutschen Sprache beschäftigt. Unter dem Titel von "lol bis cu" erforschten Jugendliche gemeinsam mit Mediencoaches des Bayerischen Rundfunks, wie die Digitalisierung die Jugendsprache verändert. "Von lol bis cu" ist ein Kooperationsprojekt von BR und Goethe-Institut.

Sich durch Sprache mit der Gruppe identifizieren.

Wenn man anfinge, sich beim Verfassen von WhatsApp-Nachrichten großartige stilistische Gedanken zu machen und sie beharrlich in ganzen Sätzen mit korrekter Groß- und Kleinschreibung abfassen würde, blieben die Antworten bald aus. Und den Ruf eines Sonderlings hätte man sich obendrein auch noch eingehandelt. Dasselbe gilt für den Fall, dass man die gängigen Sprachcodes nicht kennt oder sie nicht korrekt zu verwenden weiß. Das ist in der Jugendgesellschaft nicht anders als in jeder anderen sozialen Gruppe.

Auch wenn man beim ersten Hören einen anderen Eindruck gewinnen könnte: Die Jugendlichen, die wir in den beiden Schulen kennengelernt haben, pflegen ihre Codes jedenfalls sehr bewusst und schöpfen dabei aus einem reichen Fundus. Und die meisten wissen sehr wohl zu unterscheiden, wann welche Sprache angebracht ist – oder jedenfalls wäre.

"Schreiben" und "schreiben" ist nicht dasselbe

"Sprechen tu' ich normal, aber schreiben ist was anderes“, sagt Salib auf die Frage, ob sich ihre Sprache durch ihre Chat-Gewohnheiten geändert hat. Und bei ihren Mitschülern ist das nicht anders. Wobei schreiben und schreiben auch nicht dasselbe ist! Von Einflüssen der von den Schülern in ihren Chats gepflegten Sprache auf ihre schriftlichen Arbeiten wussten die Lehrer jedenfalls nichts zu berichten.

Und auch wenn manche in Chats, SMS- oder WhatsApp-Nachrichten gebräuchliche Floskel wenigstens für eine gewisse Zeit Eingang in die informelle Alltagssprache auch der Erwachsenen findet, heißt das nicht, dass man in einem Bewerbungsschreiben seinen womöglich zukünftigen Chef "asap" (also „as soon as possible“, das heißt "sobald wie möglich" oder auch "ein bisschen flott") um Antwort bitten könnte. Wobei einem der Maisacher Schüler tatsächlich doch auch mal ein Smiley in eine Bewerbung gerutscht ist, das erst von seiner Mutter beim Korrekturlesen rausgefischt wurde. "Das ist bei mir beim Schreiben einfach so drin, das setze ich oft ganz automatisch statt einem Punkt."

Respekt!

Die Sprache, die Jugendliche untereinander sprechen, ist freilich oft auch ziemlich deftig. Zumindest die jungen Leute, die wir besucht haben, wissen aber, dass es sehr auf den jeweiligen Adressaten ankommt, ob man ihn zum Beispiel wirklich als "Hayvan" titulieren sollte, was das jeweilige Gegenüber entweder gar nicht oder unter Umständen vollkommen missverstehen könnte – mit entsprechend fatalen Folgen.

Mit Eltern, Lehrern oder ganz generell mit Erwachsenen sprechen sie deshalb in aller Regel anders als untereinander: „Also wenn ich mit meiner Mutter so sprechen würde, wie ich mit meinen Freunden spreche, würde es Krach zu Hause geben, weil meine Mutter sehr dafür ist, dass ich in ganzen Sätzen spreche und auch ein gutes Deutsch.“

Auch die Pflege des Dialekts sei ihm wichtig, sagte ein Maisacher Schüler. "Mit meinen Großeltern spreche ich bayerisch. Sobald ich in der Schule bin, lege ich den Schalter um. Dann rede ich Hochdeutsch. Und mit meinen Freunden spreche ich wieder anders, je nach dem."

Kommunikation hat eben auch etwas mit Respekt zu tun – aber offenbar auch mit dem eigenen Rollenverständnis, zum Beispiel als Mädchen.

"Also, wenn ich ein Junge wär’ und ich lern’ ein Mädchen kennen und das Mädchen redet so mit mir, in diesem Ghettohaften, ich würd’ da ’nen totalen Abturn bekommen. Also das Mädchen würde mich total abschrecken. Weil ich finde, zu einem Mädchen gehört das nicht, dieses Slangmäßige."

(Projekt-Schüler Orlando-di-Lasso-Realschule Maisach).

"Sprache ist wie Autofahren"

Was lernen wir aus alledem? Die Jugendlichen machen sich über ihre Sprache mehr Gedanken als man glauben könnte, wenn man nur nach dem ginge, was man vielleicht an der Bushaltestelle vor einer Schule so aufschnappt, oder wenn man in der U-Bahn seinem jugendlichen Sitznachbarn über die Schulter schaut, der gerade auf seinem Smartphone eine Nachricht schreibt.

Radioarbeit - mit BR-Coach und Journalistin Geli Schmaus

Mut gemacht haben uns auch die Gespräche, die wir belauschen und selbst führen durften, als wir mit den Schülern in kleinen Gruppen in die Schule und die umliegenden Straßen ausschwärmten, wo sie selbst mit Aufnahmegeräten ausgestattet Stimmen zum Thema einfangen sollten.

Und etwas zum Nachdenken wurde uns auch noch von einem Maisacher Schüler mit auf den Weg gegeben. Auf die Frage, was Sprache für ihn sei, antwortete er kurz und knapp:

"Sprache ist wie Autofahren, die meisten können’s, aber man muss es auch erstmal lernen."

(Projekt-Schüler Orlando-di-Lasso-Realschule Maisach)

Ein Satz, der in mehrfacher Hinsicht neue Fragen aufwirft. Man lernt halt nie aus.


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