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Zeitgeschichte Antisemitismus der Moderne

Seit dem Mittelalter waren Juden immer wieder mit Hass konfrontiert. Der zunächst katholische Antijudaismus wurde im 19. Jahrhundert durch pseudo-wissenschaftliche Rassenlehren begründet. Unter Hitler führte er zu systematischer Entrechtung und millionenfachem Mord.

Stand: 03.01.2021 | Archiv

Houston Stewart Chamberlain | Bild: picture-alliance/dpa

Die Taufe als "Entrée-Billett" in die Gesellschaft: Der Schriftsteller Heinrich Heine war im 19. Jahrhundert wohl das berühmteste Beispiel eines Juden, der die Hoffnung auf gesellschaftlichen Aufstieg mit dem Übertritt zum Christentum verknüpfte. Heine wollte mit seiner Konversion erreichen, in einem deutschen Staat eine feste Anstellung zu erhalten: Er wollte Professor in München werden - ein mutiger Plan für einen Juden damals.

Assimiliert

Heine hatte viele Nachfolger: Im Zuge ihrer rechtlichen Emanzipation trat das Phänomen auf, dass Juden ihre Identität nicht stärker betonten, sondern - im Gegenteil - sich an die nicht-jüdische Umgebung vermehrt anpassten. Zudem war es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch ihre verbesserte materielle Situation für die Juden, die das wollten, leichter, sich an die bürgerliche Gesellschaft zu akkulturieren. Manche gaben traditionelle Riten, Bräuche und Kleidung auf oder konvertierten zum Christentum. Für andere Juden - Karl Marx ist das beste Beispiel - spielte der Glauben persönlich keine Rolle mehr. Schätzungen zufolge verhielten sich damals nur noch höchstens 30 Prozent der deutschen Juden konform zur religiösen Tradition. Der Assimilationsversuch per Taufe bedeutete allerdings nicht automatisch die Integration in die bürgerliche Gesellschaft.

Assimilation auf Bayerisch: Juden in Lederhosen

Diese verhielt sich trotz der Emanzipation der Juden reserviert gegen sie, so dass diese nach wie vor weit gehend untereinander verkehrten. Heinrich Heine stellte später auch resignierend fest, dass ihm seine Taufe doch kein "Entrée-Billett" verschaffte: München wies ihn gerade wegen seines Judentums ab.

Kulturell aufgeblüht

Dennoch entstand ein ganz neues Phänomen: Juden bereicherten das Wirtschafts-, Wissenschafts und Kulturleben nicht mehr nur vereinzelt, sondern in repräsentativer Breite. Gustav Mahler, Karl Kraus, Arthur Schnitzler, Sigmund Freud wirkten in Wien. Bayern hat unter anderem den Schriftsteller Lion Feuchtwanger hervorgebracht. Albert Einstein drückte in München die Schulbank. Der aus Fürth stammende Jakob Wassermann gehörte zu den auflagenstärksten Autoren seiner Zeit.

Wirtschaftlich prosperierend

Auch im Geschäftsleben ging es aufwärts: Nach der Aufhebung von Handelsbeschränkungen hatten zunehmend auch jüdische Kaufleute die Möglichkeit, Wohlstand zu erlangen. In zahlreichen bayerischen Städten florierten jüdische Einzelhandelsgeschäfte oder Handwerksbetriebe.

Prosperität: Jüdisches Kaufhaus in Würzburg

Allein in München gab es Anfang 1938 noch etwa 600 davon. Juden waren auch maßgeblich beteiligt an der neuen Ära der großen Kaufhäuser, die Ende des 19. Jahrhunderts entstanden. So betrieb der Berliner Hermann Tietz auch in Bayern zahlreiche Filialen (heute unter dem Namen "Hertie" bekannt).

Das Vaterland dankt es nicht

Juden hatten im Übergang zum 20. Jahrhunderts wieder eine Blütezeit erreicht wie schon lange nicht mehr. Der bürgerliche Teil war im wesentlichen liberal bis konservativ geprägt und identifizierte sich mit der politischen Mentalität des wilhelminischen Deutschland. So ist es kein Wunder, dass er mit einem Patriotismus in den Ersten Weltkrieg zog, der dem nicht-jüdischen nicht nachstand. 100.000 Juden zogen ins Feld - prozentual gesehen waren das ebensoviel wie Nicht-Juden. Gefallen sind mit 12.000 sogar noch mehr - wieder anteilsmäßig betrachtet. Von den Überlebenden kamen 1.500 hoch dekoriert mit dem "Eisernen Kreuz" von der Front zurück. Damit dieses militärische Engagement der Juden nicht publik wurde, wurden die entsprechenden "Kriegszählungen" nicht veröffentlicht.

Umso unvorbereiteter waren die meisten Juden, als ihnen in den 1920er-Jahren ein antisemitischer Gegenwind ins Gesicht blies, den viele für ein laues Lüftchen hielten, das sich bald wieder legt. Dabei gab es die ersten gefährlichen Turbulenzen schon Ende des 19. Jahrhunderts - auch in Bayern.


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