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Vom Vis à Vis zum Miteinander Das Thema

Stand: 13.06.2012 | Archiv

Nicht erst seit dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 traten die Konflikte zwischen den Nachbarländern Frankreich und Deutschland offen zutage. Über 1000 Jahre, seit den Karolingern, währt die Missgunst, der Argwohn und auch der Hass zwischen den Nationen. Der Schriftsteller Ludwig Börne trifft es auf den Punkt, als er 1836 darüber schreibt:

"Die Geschichte Frankreichs und Deutschlands ist seit Jahrhunderten nur ein beständiges Bemühen, sich zu nähern, sich zu begreifen, sich zu vereinigen, sich ineinander zu verschmelzen, die Gleichgültigkeit war ihnen immer unmöglich, sie müssen sich hassen oder lieben, sich verbrüdern oder sich bekriegen."

Ludwig Börne

Bei offiziellen Anlässen – gleich einer Nationalhymne – wurde in Deutschland die "Wacht am Rhein" gesungen, das Lied, das die Deutschen zu Wachsamkeit gegenüber dem französischen Nachbarn aufruft. Tatsächlich führte 1840 Frankreichs Ruf nach dem Rhein als natürliche deutsch-französische Grenze zu einer diplomatischen Krise. Und vorher hatte sich Preußen mit seinen Verbündeten Österreich, Russland und Schweden in der Völkerschlacht von Leipzig 1813 von der Fremdherrschaft des französischen Kaisers Napoleon I. befreit. Das erstarkende deutsche Nationalbewusstsein schürte den Hass auf die Franzosen, so wie es der deutsche Schriftsteller Ernst Moritz Arndt 1813 beschrieben hatte: Der ewige Hass gegen Frankreich sei die Religion des deutschen Volkes.
 

Der Deutsch-Französische Krieg 1870/71

Dass Preußen seit 1866 aus dem Deutsch-Österreichischen Krieg siegreich hervorgegangen war, heizte im Frankreich Napoleons III. die Rivalität zum Nachbarland weiter an. Napoleon und Wilhelm I. waren die Gegner, hinter letzterem stand der listige Kanzler Otto von Bismarck. Anlass des neuen Streites: Ein preußischer Hohenzollernprinz sollte die Nachfolge der abgesetzten Isabella von Spanien antreten, was für Preußen und den norddeutschen Bund außenpolitisch Vorteile gebracht hätte. Napoleon III. wollte hingegen einen deutschen diplomatischen Triumph nicht hinnehmen und befürchtete zudem eine außenpolitische Umklammerung. Napoleon III. versuchte durch seinen Botschafter Benedetti im Kurort Bad Ems Wilhelm I. davon zu überzeugen, diese Kandidatur nicht zu unterstützen und auch eine Garantie für alle Zukunft zu geben, dass sich kein Hohenzollernprinz mehr für den spanischen Thron bewerbe. Bismarck ließ den Bericht ("Emser Depeche") über die Verhandlungen zwischen dem preußischen König und Benedetti so stark kürzen und zudem in einer Zeitung veröffentlichen, so dass der Eindruck entstand, der Botschafter sei ungebührlich aufgetreten und weitere diplomatische Kontakte seien durch den preußischen König abgelehnt worden. Frankreich nahm die "Emser Depeche" als Vorwand für die Kriegserklärung an Preußen. Was so herum Bismarck zu pass kam, denn Preußen konnte nur als Angegriffener die bestehenden Beistandserklärungen seiner süddeutschen Verbündeten einfordern. Die gut gerüstete preußische Armee errang in der Schlacht von Sedan 1870 den Sieg über die französische Armee. Als Folge dieses letzten "Einigungskrieges" (Preußen, norddeutscher und süddeutscher Bund) ließ Bismarck das Deutsche Kaiserreich ausrufen. Welche Provokation für die französischen Verlierer, als Wilhelm I. sich im Thronsaal von Schloss Versailles zum Deutschen Kaiser krönen ließ! Dazu kam: Elsass-Lothringen wurde teilweise entzogen und 5 Milliarden Francs Reparationszahlungen wurden verlangt. Zwar erfolgten in der Friedensphase, einer Phase der "stabilen Krise", bis zum Ersten Weltkrieg Kulturaustausch und Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden Ländern, aber das gegenseitige Misstrauen konnten sie nicht ausräumen.
 

Erster und Zweiter Weltkrieg

Unbeschreibbares Leid auf beiden Seiten bei den Verlusten des Ersten Weltkrieges: Vier Jahre lang kämpften Deutsche und Franzosen erbittert gegeneinander in den Schützengräben in Flandern, der Champagne und im Elsass. 3,3 Millionen Menschen auf beiden Seiten. Einfache Soldaten desertieren, verstanden schon lange nicht mehr den Sinn des Krieges. Nach der Kapitulation des Deutschen Reiches und vor allem mit dem Versailler Vertrag 1919 fühlten sich die Deutschen gedemütigt. Da keine deutschen Diplomaten zu den Vertragsverhandlungen zugelassen waren, gingen Schlagworte umher wie "Schandfriede" und das "Diktat von Versailles".

Aristide Briand und Gustav Stresemann

Gebietsabtretungen erfolgten, aber vor allem die hohen Reparationsforderungen von über 200 Milliarden Goldmark für Deutschland als allein Verantwortlichen des Ersten Weltkrieges sorgten für weiter anhaltenden Streit auf beiden Seiten. Erst Aristide Briand und Gustav Stresemann bereinigten im Frieden von Locarno 1925 die weiteren Streitpunkte.

Als Adolf Hitler in "Mein Kampf" schrieb "Darüber muss man sich endlich vollständig klar werden: Der unerbittliche Todfeind des deutschen Volkes ist und bleibt Frankreich", hätte das die Franzosen warnen müssen. Dennoch feierte man 1938 noch eine Versöhnungszeremonie und eine gemeinsame Friedenserklärung. Dass die Beteuerungen von Hitlers Außenminister Ribbentrop nur hohle Phrasen waren, erlebten die Franzosen bereits zwei Jahre später: am 22. Juni 1940 musste Frankreich im Eisenbahn-Waggon im Wald von Compiegne - dort war 1918 der Waffenstillstand zur Beendigung des Ersten Weltkriegs unterzeichnet worden – die Kapitulation ihres Landes unterschreiben. Frankreich blieb bis 1945 von den Nazis besetzt, das Vichy-Regime der Kollaborateure mit dem deutschen Feind war effektiv genug. Greueltaten der SS – das Massaker im Dörfchen Oradour-sur-Glane, bei dem 1944 vor allem Frauen und Kinder ermordet wurden - und auf der anderen Seite die Kollaboration kirchlicher Kreise mit den Nazis, französische Juden den deutschen Konzentrationslagern zuzuführen, belasteten die deutsch-französischen Beziehungen auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg. "Eine Vergangenheit, die nicht vergehen will" heißt ein Buch von Eric Connot und Henri Rousso, das diese Stimmungslage zwischen beiden Nationen beschreibt.
 

Die Annäherungen nach 1945

Adenauer und de Gaulle

Einen positiven Politikansatz versuchen der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer und der französische Präsident Charles de Gaulle in den 50er und 60er Jahren. 1963 ratifizieren beide den Elysée-Vertrag über eine verstärkte deutsch-französische Zusammenarbeit. 1951 hatten beide schon die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl gegründet, die eine Vorläuferin der EG und der EU war.

1984 reichen sich Präsident Mitterand und Kanzler Kohl in Verdun die Hand zum Gedenken an die Opfer des Ersten Weltkrieges. Auch wenn die Franzosen skeptisch angesichts der Wiedervereinigung waren, die uralte Erbfeindschaft ist einem vorsichtigen, freundlichen Vis-à-vis gewichen.


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