Franken - Kultur


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Forschung & Glaube Die Genanalysen

Der Mythos des verschleppten Erbprinzen Kaspar Hauser überdauert die Zeiten. Mehr als 180 Jahre nach seiner Geburt soll die moderne Rechtsmedizin seine Abstammung endgültig klären. Und liefert den Verschwörungstheoretikern neue Nahrung.

Stand: 30.04.2012 | Archiv

Zu Kaspars Lebzeiten kann die Rechtsmedizin nur auf beschränkte Mittel zurückgreifen. Noch dazu ist die politische Lage beim Tod Kaspars angespannt, Ermittlungen im Adel sind nicht ohne weiteres möglich. Mögliche Beweismittel überstehen aber die Zeit: Kaspars Kleidung von der Messerattacke im Hofgarten liegt noch immer in den Archiven. Darauf: Blutspuren. Mehr als 160 Jahre nach dem Messerstich sollen die mittels moderner Genanalyse Licht in das Mystherium Kaspar Hauser bringen.

Der erste DNA-Test

Das Magazin "Der Spiegel" und die Stadt Ansbach wollen 1996 ein für alle Mal klären, ob Kaspar Hauser der Prinz von Baden ist. Dazu werden Blutspuren von der Unterhose untersucht, die Hauser beim Attentat im Hofgarten getragen haben soll. Die genetischen Spuren auf dem Beinkleid werden mit dem Blut direkter Nachfahrinnen von Stéphanie de Beauharnais verglichen, der Mutter des Badischen Erbprinzen. Das Ergebnis ist für Verschwörungstheoretiker ernüchternd: Eine Verwandtschaft ist ausgeschlossen.

"Kaspar Hauser ist nicht der Prinz."

Stefan Aust, Spiegel-Chefredakteur 1996

Weitere verwertbare Hinweise auf seine Herkunft liefert die Untersuchung nicht: Genetisch lässt sich lediglich nachweisen, dass das Blut auf der Unterhose von einem männlichen Mitteleuropäer stammt.

Der zweite DNA-Test

Hauser-Haarlocke im Museum

Längst nicht alle Anhänger der Erbprinzen-Theorie lassen sich von der Blutuntersuchung überzeugen. 2002 wird ein zweites Gutachten in Auftrag gegeben. Diesmal werden Schweiß aus Kaspar Hausers Hemdkragen, dem Hutband seines Zylinders sowie Blut aus Hemd und Hose genommen, die Hauser am Tattag getragen hat, untersucht. Außerdem zwei Haarsträhnen, die verbürgter Weise von dem Findelkind stammen. Das erstaunliche Ergebnis: alle sechs Proben stammen von der gleichen Person, passen allerdings nicht zum genetischen Material der zuerst getesteten Unterhose. Und: Diese Proben sollen eine hohe Ähnlichkeit zum Haus Baden aufweisen.

"Eigentlich wissen wir nur, dass die Unterhose nicht mit dem Haus Baden verwandt ist."

Alexander Biernoth, Kaspar Hauser-Experte aus Ansbach

Streit um die Unterhose

Seit der zweiten Genanalyse spaltet nun die blutige Unterhose die Lager der Hauser-Forscher: Den Anhängern der Erbprinzen-Theorie zufolge wurde das Beinkleid ausgetauscht oder die Hauser-DNA mit fremdem Blut verfälscht. Gegner der Verschwörungstheorie halten das dagegen für absolut unwahrscheinlich: Im 19. Jahrhundert konnte noch niemand ahnen, dass das Blut jemals für eine Untersuchung herangezogen werden könnte. Eine Manipulation scheint also unsinnig. Außerdem berufen sie sich darauf, dass der Blutfleck auf der Unterhose noch heute in Form und Größe  mit  den Schilderungen von Zeitzeugen übereinstimmt und das berühmte Beinkleid demnach nicht bearbeitet werden konnte. Dennoch kursiert in Ansbach noch immer das Gerücht, ein Museumsmitarbeiter hätte den Blutfleck regelmäßig mit Blut aufgefrischt, damit das berühmte Ausstellungsstück seine Faszination nicht durch Verblassen verliert.

Der Mythos lebt weiter

Hat die erste Genuntersuchung sich also mit einer falschen Fährte beschäftigt? Wurde die Unterhose gar manipuliert, um die wahre Identität Hausers zu verschleiern? Fakt ist, die zweite Untersuchung gibt Anlass zu deutlichen Zweifeln an der Spiegel-Theorie. Einen endgültigen Beweis liefert sie aber nicht. Einen weiteren Schritt zur Aufklärung könnte nur ein direkter DNA-Vergleich zwischen Stéphanie de Beauharnais und Kaspar Hauser beziehungsweise dem 1812 bestatteten Säugling bringen. Das scheint aber ausgeschlossen: Der Sarg des Erbprinzen gilt als verschollen und das Haus Baden zeigt kein Interesse an einer weiteren Überprüfung. Eine Entzauberung des Rätsels ist also nicht in Sicht.

Wie funktioniert der genetische Verwandtschaftstest?

Grundlage rechtsmedizinischer Verwandtschaftsuntersuchungen sind bestimmte Zellbausteine, die Mitochondrien. Sie enthalten Gene, die nur über die Eizelle von der Mutter an das Kind weiter gegeben, die sogenannte mtDNA. In einer durchgehenden Linie von Müttern und Töchtern stimmt also die mtDNA immer überein. Abweichungen können sich im Laufe der Generationen nur durch Mutationen ergebenen. Im Fall von Kaspar Hauser wurden Frauen untersucht, die in direkter, weiblicher Erbfolge zu Stéphanie de Beauharnais stehen. Den Wissenschaftlern waren die Abweichungen zwischen deren Erbgut und dem aus dem Blut von der Unterhose zu groß.


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