Franken - Buchtipps


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Leonhard Frank Die Räuberbande

Der 1882 in Würzburg geborene Leonhard Frank zählt zu den bedeutendsten sozialkritischen Autoren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Jetzt ist sein lange vergriffener erster Roman "Die Räuberbande" wieder neu erschienen.

Von: Dirk Kruse

Stand: 01.06.2016 | Archiv

Buchcover: Leonard Frank, Die Räuberbande | Bild: Milena-Verlag; Foto: BR-Studio Franken

"Plötzlich rollten die Fuhrwerke unhörbar auf dem holprigen Pflaster, die Bürger gestikulierten, ihre Lippen bewegten sich - man hörte keinen Laut. Luft und Häuser zitterten, denn die dreißig Kirchenglocken von Würzburg läuteten dröhnend zusammen zum Samstagabendgottesdienst. Und aus allen heraus tönte gewaltig und weittragend die große Glocke des Domes, behauptete sich bis zuletzt und verklang. Die Unterhaltungen der Bürger und die Tritte einer Abteilung verstaubter Infanteristen, die über die alte Brücke marschierte, wurden wieder hörbar. Über der Stadt lag Abendsonnenschein."

Zitat aus 'Die Räuberbande'

Würzburg im Jahr 1899. Doch Leonhard Frank beschreibt hier, wie man denken könnte, keine Idylle, sondern das harte Leben der kleinen Handwerker und Arbeiter im Mainviertel der Stadt. Da kennt er sich aus. Frank wurde 1882 als viertes Kind eines Parkettschreiners geboren und wuchs dort in ärmlichen Verhältnissen auf. Im Mittelpunkt des Romans steht eine Bande Jugendlicher - die titelgebende Räuberbande - die gegen Muff, Enge und Biederkeit aufbegehrt, Wild West Romane verschlingt, Raubzüge in den königlichen Weinberg unternimmt, Würzburg am liebsten in Schutt und Asche legen und nach Amerika ziehen würde.

Das Bild, das Leonhard Frank von seiner Heimatstadt zeichnet, ist nicht eben schmeichelhaft. Da gibt es den bigotten Pfarrer, der ein junges Mädchen schwängert, die hinterhältige Gastwirtin, die ihren Mann in den Selbstmord treibt, und den sadistischen Volksschullehrer Mager.

"Benötigte er einen neuen Rohrstock, dann musste der Junge, der Prügel zu bekommen hatte, selbst eine Anzahl Stöcke zur Auswahl beim Kaufmann holen. Herr Mager untersuchte lange und sorgfältig, beroch die Stöcke, hieb sie durch die Luft und horchte auf das Pfeifen, wählte den dünnsten und zähesten, präparierte ihn erst, indem er das Ende spaltete, und der gewollte Erfolg war, dass der Stock beim Schlagen Blutblasen in den Handballen zwickte."

Zitat aus 'Die Räuberbande'

Leonhard Frank ist ein Meister der Atmosphäre. Man sieht, fühlt, riecht und schmeckt das alte Würzburg förmlich. Beinahe expressionistisch muten manche Passagen an. Jeder Satz sitzt so, dass auch das Nichtgesagte zwischen den Zeilen mitschwingen kann. Zu Recht wurde Leonhard Frank für seinen Erstling, der 1914 erschien, gefeiert und erhielt auf Anhieb den Fontane-Preis. Doch dass ihm das Schreiben einfach so zufalle, kann der Autor in einem Interview von 1953 nicht bestätigen. Für Frank ist es ein zähes Ringen mit dem Text.

"Vielleicht bekommt man ein Prozent geschenkt. Aber die übrigen 99 Prozent ist Arbeit, schwere Arbeit. Ich arbeite manchmal einen ganzen Tag an einem Satz bis mir die Haare zu Berg stehen, bis ich verzweifelt bin, und er gelingt nicht. Am anderen Morgen nach der ersten Zigarette setze ich mich hin, schreibe ihn in zehn Sekunden. Das wäre allerdings nicht gelungen, hätte ich nicht den Tag vorher so viel gearbeitet daran. Das ist eine Art Ausschaltungstheorie, wie es der gute Arzt beim Untersuchen macht."

Zitat aus 'Die Räuberbande'

Vielen Autoren brauchen Kaffee oder Alkohol, um sich zu stimulieren. Schiller ließ sich angeblich vom Duft fauler Äpfel anregen. Was erleichterte Leonhard Frank das Schreiben?

"Weiß Gott, absolut nichts. Trotzdem möchte ich an keinem anderen Beruf zugrunde gehen."

Leonhard Frank

Im ersten Teil des Romans wird episodenhaft das Leben der jugendlichen Bande geschildert, die sich nach ihren Wildwesthelden Winnetou, Falkenauge oder Kriechende Schlange nennen und schließlich wegen Traubenklauens vor Gericht landen.

Im zweiten Teil steht der stotternde, sensible und begabte Michael Vierkant alias Oldshatterhand im Mittelpunkt, der schließlich allein loszieht in die Welt. Er ist das alter ego des Autors, schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch, zeichnet viel und wird schließlich an der Kunsthochschule in München aufgenommen. Dann treibt den jungen Mann eine Künstlerintrige in den Selbstmord.

Info & Bewertung

Wertung: 5 Frankenrechen von 5 | Bild: BR

Leonhard Frank: Die Räuberbande, Wien 2016, Milena Verlag, 296 Seiten, 23,00 Euro, ISBN 978-3-902950-72-7

Dieses Zerfallen des Romans in einen episodenhaften Adoleszent- und Heimatroman und einen Entwicklungsroman mit surrealen Zügen, ist etwas befremdlich. Doch Leonhard Franks lebendiger Stil, seine vielen treffenden Beobachtungen, die prägnanten Charakteren und die gelungene Mischung aus Hochsprache und Dialekt machen den Roman auch nach über hundert Jahren zu einem Lesevergnügen und ringen dem Leser ob seiner Modernität Bewunderung ab. "Die Räuberbande" ist ein absolut lesenswerter fränkischer Klassiker.

Stichwort: Leonhard Frank

Als radikaler Pazifist und Sozialist musste er bereits während des Ersten Weltkriegs ins Exil gehen. In der Münchener Räterepublik wurde er verwundet. Und als die Nazis an die Macht kamen wurden seine Bücher verbrannt und Leonhard Frank abermals ins Exil getrieben. Unter Lebensgefahr gelang ihm die abenteuerliche Flucht bis in die USA. Doch auch dort wurde er als mutmaßlicher Kommunist bespitzelt und kehrte 1950 nach Deutschland zurück, wo er 1961 in München starb. Nun ist sein lange vergriffener erster Roman "Die Räuberbande" wieder neu erschienen. Zu Leonhard Franks erfolgreichsten Büchern zählen der autobiographische Roman "Links wo das Herz ist" (1952), die Würzburgromane "Das Ochsenfurter Männerquartet" (1927) und "Die Jünger Jesu" (1947), die Novelle "Karl und Anna" (1926) sowie sein Debütroman "Die Räuberbande" (1914).


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