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Kristina Pfister "Die Kunst, einen Dinosaurier zu falten"

"Die Kunst, einen Dinosaurier zu falten" ist der erste Roman von Kristina Pfister aus Bamberg. Mit dem Buch über die Freundschaft zweier sehr unterschiedlicher Frauen gibt die 29-Jährige ein interessantes Debüt, meint Dirk Kruse.

Von: Dirk Kruse

Stand: 18.10.2017

Buchtipp: Die Kunst, einen Dinosaurier zu falten von Kristina Pfister | Bild: BR-Studio Franken/Rainer Aul

Annika ist 23, hat einen Bachelor in Kulturwissenschaften, hangelt sich von Praktikum zu Praktikum, und hat keinen Plan, was sie mit ihrem Leben anfangen soll.

"Ich stand am Fenster im Dunkeln und blickte hinüber.

Mir war zum Heulen.

Ich rief meine Mutter an. Sie sagte: 'Es sind doch nur drei Monate.'

Es waren drei Monate hier, dann drei dort, dann drei woanders, vierzig Wochenstunden und vierhundert Euro, während meine ehemaligen Kommilitonen Fotos von neuen Freunden, die sie auf Auslandssemestern kennengelernt hatten, von ihren neuen Errungenschaften, die sie sich von ihrem ersten Gehalt gekauft hatten, Bilder von Reisen und Partys zum Studienabschluss ins Internet stellten. Soundso lebte jetzt in New York und XY war verlobt.

Das Leben der anderen war immer toll, immer bunt, immer laut."

Auszug aus dem Roman 'Die Kunst, einen Dinosaurier zu falten'

Im Studentenwohnheim beobachtet sie häufig eine gleichaltrige Frau, die gegenüber wohnt und das komplette Gegenteil von Annika ist: lebenslustig, ausgeflippt und ein bisschen verrucht.

"Manchmal stand sie am Fenster und rauchte, und dann konnte ich die Musik hören, die aus ihrem Zimmer kam, aber meistens drehte sie sich gleich wieder um, lachte jemandem zu, der einen Witz gemacht hatte, und küsste einen ihrer Verehrer oder spielte Trinkspiele mit ihren Kumpels, die auf dem Bett saßen. (…)

Ich betrachtete sie als wäre sie die Hauptfigur in einem Film, in dem ich nur eine Statistenrolle ergattert hatte."

Auszug aus dem Roman 'Die Kunst, einen Dinosaurier zu falten'

Das ist Marie-Louise. Die beiden so unterschiedlichen jungen Frauen lernen sich in dieser Nacht kurz kennen. Doch schon am nächsten Morgen fliegt Marie-Louise nach London und Annika schmeißt ihr Praktikum hin und geht wieder zurück zu ihrer Mutter. Dort mutiert sie vollends zur Couchpotato, kommt kaum noch aus dem Bett und spielt Videospiele, in denen sie Zombies niedermetzelt.

"In der Küche saß meine Mutter am Tisch und werkelte mit einem Lötkolben an einem aufgeschraubten Toaster herum.

Sie sagte: 'Du weißt, ich bin pro Selbstfindung und so, aber manchmal hilft es, sich im Laufe des Tages eine Hose anzuziehen, die nicht aus Joggingstoff ist.'"

Auszug aus dem Roman 'Die Kunst, einen Dinosaurier zu falten'

Doch dann treffen sich Annika und Marie-Louise wieder und es beginnt eine verrückte Freundschaft voller Dynamik. Die aus Bamberg stammende Autorin Kristina Pfister setzt in ihrem Debüt auf gegensätzliche Charaktere.

"Ich würde sagen, die profitieren voneinander. Gerade am Anfang ist Annika leicht sozialphobisch. Sie will nicht so raus und ist irgendwie knapp an der Depression. Und es ist alles nicht so wie sie es sich vorgestellt hat. Und dann kommt halt Marie-Louise rein, der einfach alles egal ist, und die einfach etwas macht ohne nachzudenken. Das heißt, sie tut der Annika gut, um sie ein bisschen mitzureißen. Und umgekehrt glaube ich, dass Annika Marie Louise ein bisschen erdet."

Kristina Pfister

Romane über Jugendliche in der Pubertätskrise oder Menschen in der Midlifecrisis gibt es viele. Doch kaum ein Autor hat bislang die Krise der jungen Erwachsenen beschrieben, die ihren Lebens- und Berufsweg suchen und sich als Verlierer begreifen. Kristina Pfister tut das mit viel Einfühlungsvermögen, untergründigem Humor, in knappen, gekonnten Dialogen, eindringlichen Szenen und klug montierten Rückblenden. Ein dichter Text, der sich dennoch leicht lesen lässt.

"Ich hatte zuerst das erste Kapitel als Kurzgeschichte angelegt, und habe dann von dieser Geschichte aus, die mir eingefallen ist, weitergemacht und die Figuren weiterentwickelt. Und da waren es die beiden Hauptfiguren, die so sehr unterschiedlich sind, die eine solche Dynamik entwickelt haben. Das hat sich aus den Charakteren heraus entwickelt."

Kristina Pfister

"Marie-Louise richtete sich auf, drehte sich um.

'Da hinten ist ein Feld', sagte sie.

'Die Provinz der Provinz', sagte ich.

Sie stand auf, strampelte sich die Unterhose von den Beinen, hakte ihren BH auf und schüttelte ihn ab.

Ich versuchte, woandershin zu schauen. Sie war blass, überall, und schwarze Haare leuchteten auf der weißen Haut.

'Los komm', sagte sie, 'du weißt schon, nackt über die Felder rennen und so.'

Sie stupste mich mit einem Finger an, immer wieder in die Seite, wie sie es schon auf dem Wohnheimdach gemacht hatte, bis ich aufstand und mein T-Shirt über den Kopf zog.

Marie-Louise kreischte. 'Yes, baby!', rief sie, als ich aus meinen Shorts stieg, aus meiner Unterhose, meinen BH abstreifte."

Auszug aus dem Roman 'Die Kunst, einen Dinosaurier zu falten'

Info und Bewertung

Wertung: 4 Frankenrechen von 5 | Bild: BR

Kristina Pfister: Die Kunst, einen Dinosaurier zu falten, Stuttgart 2017, Tropen-Verlag, 254 Seiten, 20,00 Euro, ISBN 978-3-608-50159-9

Ob die wortkarge, intensiv beobachtende Annika und die ausgeflippte, impulsive Marie-Louise ihren Weg finden, wird in "Die Kunst, einen Dinosaurier zu falten" nur angedeutet. Fest steht aber, dass die beiden einander gut tun.

Ein beeindruckender, gewichtiger und lebensweiser Debüt-Roman. Kristina Pfister ist eine vielversprechende Autorin, deren Namen man sich merken sollte.

Die Autorin

Kristina Pfister wurde 1987 in Bamberg geboren. In Konstanz und Regensburg hat sie Medienwissenschaft studiert, in Wiesbaden, München und New York gearbeitet. Derzeit ist sie in Nürnberg Pressesprecherin beim "Erfahrungsfeld der Sinne". Pfister hat an der Bayerischen Akademie des Schreibens und der on3-Lesereihe teilgenommen. Sie lebt in München und Wiesbaden.


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