Franken - Buchtipps


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Hermann Glaser Franken – Eine deutsche Literaturlandschaft

Von Wolfram von Eschenbach im 13. Jahrhundert bis zu Hans Magnus Enzensberger in die Gegenwart: Hermann Glaser bietet in seinem neuesten Werk einen detaillierten Einblick in die Fränkische Literaturgeschichte – akribisch und klug.

Von: Tilla Schnickmann

Stand: 02.12.2015 | Archiv

Buchcover "Franken - Eine deutsche Literaturlandschaft" | Bild: BR-Studio Franken

Was Hermann Glaser seinen Lesern vorlegt, ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Schwergewicht: stattliche zwei Kilogramm bringt sein Buch auf die Waage, umfasst knapp 600 Seiten, mehr als 500 Abbildungen – ein Magnum Opus vom Ausmaß eines Propyläenbands. Aber was besagen schon Umfang und Gewicht eines Buches? Nicht viel, doch künden sie als äußeres Indiz von der großen Ambition des mittlerweile  87-jährigen Verfassers, einem besessenen Sammler und Archivar.

Von wegen "geistiges Steppenland"

Hermann Glaser

Franken ist eine wenig vermessene Literaturlandschaft. Es haftet ihr gar das Image des "geistigen Steppenlandes" an. Diesem Vorurteil begegnete Glaser als Kulturreferent der Stadt Nürnberg und Vortragsreisender immer wieder. Und so hat er sich selbst als Landvermesser aufgemacht, die Topographie des literarischen Frankens zu ergründen. Dabei kartiert er geistige Strömungen, Dichter und Denker zwischen Donau und Main. Und ein wenig ist es so, als hätte er in die vermeintliche geistige Wüste Wasser getragen und ihr damit ihre Pracht entlockt.

 Ein längst überfälliges Standardwerk

Indem er sich durchs literarische Dickicht arbeitet und die Übersicht nicht verliert, leistet Glaser echte Pionierarbeit. Seit 1971 wurde kein Versuch einer Darstellung spezifisch fränkischer Literatur mehr unternommen. Damals veröffentlichte der Redaktionsleiters des Bayerischen Rundfunks Studio Franken Wolfgang Buhl eine Essaysammlung unter dem Titel "Fränkische Klassiker". Glaser bezieht sich ausdrücklich auf diese Vorarbeit. Doch fehlte noch ein umfassender Überblick. Diese Lücke hat Hermann Glaser jetzt geschlossen und ein neues Standardwerk geschaffen.

Info und Bewertung

Wertung: 5 Frankenrechen von 5 | Bild: BR

Das Standardwerk von Hermann Glaser "Franken. Eine deutsche Literaturgeschichte" umfasst 584 Seiten und  ist mit einem QR-Code mit einer LiteraTour verquickt. Es ist im Gunzenhäuser Schrenk-Verlag erschienen und kostet 65 Euro. Die farbige, teilweise handsignierte Schmuckausgabe kostet 120 Euro.            

Wer ein solches Buch schreibt, muss Lokalpatriot sein. Doch Glaser ist zu weitsichtig, um dabei "frankentümelnd" oder provinziell zu werden. Mit enormem Hintergrundwissen stellt er der fränkischen Literaturgeschichte zunächst eine gesamtdeutsche vorweg, gespickt mit Hinweisen zum zeitgeschichtlichen und kulturellen Kontext.

Erst vor diesem großen Panorama treten dann die fränkischen Autoren auf, die mehr oder weniger in Einzeldarstellungen präsentiert werden. Der Leser ist durch diese Zweiteilung gefordert, selbst die Verbindung zu leisten, zwischen dem Allgemeinen und Speziellen, dem geistesgeschichtlichen Kontext und der fränkischen Ausprägung.

"Bei der Herausarbeitung dessen, was jeweils essentiell fränkisch ist, ist Zurückhaltung geboten; nicht zuletzt auch deshalb, weil stammesmentale Ideologie vermieden werden soll. Auch spielen Zufälle bei der regionalen Einordnung eine Rolle. Ein  Wohnsitz in Franken bedeutet keineswegs immer Heimstatt, kann zwar tiefe Verwurzelung bringen, aber auch gleichgültig bleiben; aus der Heimat kann man zudem vertreiben werden oder sie selbst abschütteln wollen. … Die jeweilige fränkische Zuordnung ist demnach manchmal fragwürdig…"

(Auszug aus 'Franken – Eine deutsche Literaturlandschaft')

Vom Mittelalter bis in die Gegenwart

Das Namensregister nennt rund 1.500 Autoren, deren Verbindung zu Franken durch Biografie, Liebe oder Distanz geprägt ist. Dabei reist der literarische Landvermesser vom Mittelalter bis in Gegenwart des 21. Jahrhundert. Der Leser begegnet nahezu allen fränkischen Literaten und Denkern von Rang und Namen: Von Wolfram Eschenbach oder Walther von der Vogelweide wird der Bogen über Jean Paul,  E.T. A. Hoffman, Friedrich Rückert bis zu Fitzgerald Kusz oder Hans Magnus Enzensberger gespannt.  

Es ist jedoch der Verdienst Glasers, auch nach Verborgenem und Verkanntem zu gründeln, Vergessene oder Unterschätzte zu würdigen, etwa Ernst Penzoldt, Karl Bröger oder Ludwig Fels. Im Ganzen eröffnet sich ein buntes Panoramabild der fränkischen Literaturlandschaft:

"Der Essayist Rolf-Bernhard Essig spricht mit Blick 'auf eine Ehrfurcht gebietende Tradition von tausend Jahren Literatur in Franken' von einer flatternden, flirrenden, wimmelnden Autorenschar, die diese konstituiert haben. Betrachtet man die Gegenwart, so flattern, flirren und wimmeln am Bücherhimmel besonders viele Vögel der schreibenden Zunft – für einen, der eine klare übersichtliche 'Sitzordnung' gerne hätte, äußerst verwirrend."

(Auszug aus 'Franken – Eine deutsche Literaturlandschaft')

Einige Autoren sucht man vergebens

Auswahl und Gewichtung sind umsichtig gewählt, doch naturgemäß nicht allumfassend. Kinderbuchautor und Sams-Erfinder Paul Maar kommt nur auf einem Bild vor, Sach- und Romanautorin Ursula Naumann gar nicht, und fränkische mehr oder weniger gewichtige Krimiautoren sucht man vergebens, ebenso aktuelle Erscheinungen.

"Hier kann die Vollständigkeit im Sinne eines Werkverzeichnisses nicht erwartet werden. Der Herausarbeitung von Grundzügen ist … hier methodische Absicht."

(Auszug aus 'Franken – Eine deutsche Literaturlandschaft')

Glaser schreibt nicht zum ersten Mal einen solchen Rundumblick. In seinen zahlreichen Veröffentlichungen – darunter auch eine dreibändige "Kulturgeschichte der Bundesrepublik Deutschland" – ist er stets bemüht, nicht nur Wissen zusammenzutragen, sondern dieses für den Leser einzureihen.

Begeisterung des Autors ist spürbar

Dies gelingt ihm in intellektuellem Plauderton – auch wenn sich hier und da manch akademische oder dozierende Passage einschleicht. Glaser will sein enormes Wissen weitergeben, seine Begeisterung ist spürbar. So vermittelt er bis zur allerletzten Seite den Eindruck, er hätte eigentlich gern noch viel, viel mehr gesagt. Wahrscheinlich gibt es von Franken jetzt und in Zukunft auch noch mehr zu schreiben – nie mehr aber, dass es "geistiges Steppenland" sei.


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