Franken - Buchtipps


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Christiane Neudecker Der Gott der Stadt

Christiane Neudeckers Roman "Der Gott der Stadt" wurde mit großer Spannung erwartet. Und die Leser werden auch diesmal nicht enttäuscht. Die gebürtige Erlangenerin ist in Nürnberg Eibach aufgewachsen und lebt inzwischen in Berlin.

Author: Julia Hofmann

Published at: 19-9-2019 | Archiv

Christiane Neudecker ist in Erlangen geboren und in Nürnberg Eibach aufgewachen. Sie hat dort auch ihr Abitur gemach und lebt. Die Autorin arbeitet inzwischen in Berlin und hat bereits viele Romane und Geschichten veröffentlicht. Vor drei Wochen ist ihr neuester Roman erschienen. Weil Christiane Neudecker aufgrund ihres literarischen Erfolgs durchaus einen Namen in der Szene hat, wurde ihr neues Buch mit großer Spannung erwartet.

Anfang und Ende stehen fest

Mit einem fett gedruckten "Nein" beginnt Christiane Neudecker ihren Roman "Der Gott der Stadt" – und beendet ihn mit einem zaghaften "Vielleicht". Das ist deshalb so bemerkenswert, denn Christiane Neudecker legt vor der eigentlichen Schreibarbeit immer erst genau den Anfang und das Ende ihrer Bücher fest. Auch in diesem Fall sind die knapp 700 Seiten dazwischen, die von dem "Nein" zu diesem "Vielleicht" führen, erst danach entstanden – eine Arbeitsweise, die sie bisher bei all ihren Büchern eingehalten hat. 

"Das war für mich ja auch neu, über so eine lange Distanz zu schreiben. Ich bin zum ersten Mal damit konfrontiert worden, ob über 700 Seiten meine bisherige Arbeitsweise funktioniert, ob wirklich auch bei einem Stoff der so dicht ist und so ausufernd, ob es da funktioniert, dass ich meine Wegmarken habe. Meinen Anfang, meinen Schluss, meine Verortung – und es hat funktioniert."

Christiane Neudecker, Autorin

Soviel sei verraten: Es funktioniert bestens und es passiert sehr viel.

Die Geschichte beginnt mit der Verflechtung zweier tragischer, aber Jahrzehnte auseinander liegender Todesfälle. Der Tod des Dichters Georg Heym, der 1912 beim Schlittschuhlaufen ums Leben kommt und ein Todesfall an einer Schauspielschule aus dem Jahr 1996. Das Opfer kommt aus einer Gruppe von Regiestudenten, die sich gerade mit einem Fragment aus Georg Heyms dichterischem Nachlass beschäftigt.

Nur Zufall oder ein teuflischer Pakt 

Info & Bewertung

Wertung: 5 Frankenrechen von 5 | Bild: BR

Christiane Neudecker: Der Gott der Stadt, Roman, Berlin 2019, Luchterhand Verlag, 672 Seiten, 24,00 Euro, ISBN 978-3-630-87566-8

Fünf Regie-Studenten einer renommierten Berliner Schauspiel-Schule erhalten die Aufgabe, ein unvollständiges "Faust-Fragment" des verunglückten Georg Heym zu interpretieren und zu inszenieren. Sie sollen den Gedankengängen des Dichters nachspüren, Parallelen zur Gegenwart erarbeiten und wollen damit ihren exzentrischen Professor beeindrucken. Dabei überschreiten sie aus Ehrgeiz, Unsicherheit oder Verachtung so manche Grenze. Es geht um menschliche Abgründe und teuflische Verlockungen, um Konkurrenz, Macht und immer wieder um die Frage: Wie weit darf ich gehen? Auffällig sind die Parallelen der überwiegend aus der Ich-Perspektive erzählenden Hauptfigur zur eigenen Biografie der Autorin.

Auch Christiane Neudecker hat Theaterregie in Berlin studiert.

"Das ist eine bewusst gelegte Fährte! Das wird man als Schriftsteller ja sowieso bei jeder Lesung gefragt, wieviel steckt da von Dir drin – und ich kann da nur sagen: Mein ganzes Her. Bei diesem Stoff – eine Schauspielschule in Berlin, Mitte der neunziger Jahre – da lag es nah, dass die Leser ohnehin wittern werden, dass ich das bin, dass ich begonnen habe, ein bisschen damit zu spielen. Ich verrate jetzt so viel: Je weiter wir da vordringen, umso mehr hoff' ich doch, dass ich's nicht bin!"

Christiane Neudecker, Autorin

Sie ist aber auf jeden Fall eine der interessantesten und spannendsten Autorinnen der Gegenwart – eine, die sich in keine Schubladen pressen lässt und die Leser immer wieder überrascht. Lebendig und facettenreich erzählt Christiane Neudecker aus teils unterschiedlichen Perspektiven, die schnell klarstellen: Nichts ist so, wie es anfangs scheint:

"Das war ganz wichtig – wir haben es hier mit ganz viel Selbstspiegelung zu tun, was bei Künstelern ja ganz wichtig ist, aber auch mit Blick auf die Welt, auf Berlin, auch auf den Teufel – also auf ganz elementare Fragen. Da war es mir wichtig, dass es nicht bei einer Perspektive bleibt, sondern dass wir die Chance haben, einen Facettenreichtum aufzublättern und dass wir plötzlich auch feststellen, dass diese Ich-Erzählerin, der wir alles geglaubt haben, vielleicht gar nicht so zuverlässig ist, wie sie zu sein schien."

Christiane Neudecker, Autorin

"Der Gott der Stadt" entwickelt beim Lesen einen wahren Sog, zieht hinein in den harten und schmerzhaften Macht- und Konkurrenzkampf an einer Schausspielschule. Wer nach knapp 700 Seiten rauschhafter Lektüre das Buch noch atemlos zur Seite legt, ist sich nicht mehr so sicher, ob es wirklich ein Roman oder vielleicht nicht doch ein Thriller ist.

Vielleicht.

Stichwort: Christiane Neudecker

1974 in Erlangen geboren und in Nürnberg Eibach aufgewachsen, studierte Christiane Neudecker Theaterregie an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch und lebt als freie Schriftstellerin und Diplom-Regisseurin in Berlin. Seit 2001 arbeitet sie im Künstlerkollektiv phase7 u.a. am Forum Neues Musiktheater, bei den Internationalen Festspielen Bergen oder dem New Vision Arts Festival Hongkong. Für die Deutsche Oper Berlin schrieb sie das Libretto zu "Himmelsmechanik - eine Entortung". Christiane Neudecker wurde für ihre Romane und Kurzgeschichten mit zahlreichen Literaturpreisen gewürdigt. Ihr neuer Roman "Der Gott der Stadt" (2019) wurde bereits im Vorfeld mehrfach ausgezeichnet. Mit "Sommernovelle" (2015) kam sie auf die SPIEGEL-Bestsellerliste und war NDR Buch des Monats.


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