Report München


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Wohnungseigentümer in Angst Was geschah mit ihren Ersparnissen?

Zusammen mit dem Hessischen Rundfunk und BR Recherche deckt report München in einer mehrjährigen Recherche auf: Einige große Hausverwaltungen legten Rücklagen von Wohnungseigentümern in riskanten Anleihen an - allem Anschein nach reihenweise. Gelder, die für dringend notwendige Sanierungen vorgesehen waren. Hunderte Wohnungseigentümergemeinschaften sind betroffen.

Von: Kirsten Girschick, Claudia Gürkow

Stand: 20.05.2025

Anwohner sitzt mit Laptop vor seiner Wohnsiedlung | Bild: BR

Eine bezahlbare Eigentumswohnung im Rhein-Main-Gebiet - vor vier Jahren ist für Marco Mancuso dieser Traum wahr geworden. Für den Kredit hat die Familie genau kalkuliert.  

"Natürlich tut man immer ein bisschen was mit einrechnen nochmal ein Puffer oder so? Ja, und dann kam, kam, sag ich mal ein bisschen der Albtraum."

Marco Mancuso, Wohnungseigentümer

Bei der Wohnanlage stehen diverse Reparaturen an - dafür hatten die Wohnungseigentümer gemeinsam hunderttausende Euro angespart. Doch dann der Schock:

Hunderttausende Euro Rücklagen - verschwunden

November 2024, Wohnungseigentümerversammlung. Mancuso und die anderen erfahren: Rund 500.000 Euro von ihren Rücklagen sind weg. Ihre Hausverwaltung hatte damit riskante Anleihen gekauft - ohne ihre Zustimmung.

"Man fühlt sich machtlos. Ja den Leuten ist, glaube ich, nach der Versammlung erst einmal, wenn ich das so hart sagen kann, der Arsch auf Grundeis gegangen […] Es geht halt um das, was man sich aufgebaut hat. Und ich denke, viele sind ja noch länger Eigentümer wie ich hier."

Marco Mancuso, Wohnungseigentümer

Nun fehlt das Geld für geplante Reparaturen. Die Wohnanlage im hessischen Rodgau ist kein Einzelfall.

Bereits 2023 hatten BR und HR ähnliche Fälle in anderen Städten aufgedeckt.

Hausverwaltungen der Wiesbadener Consigma-Gruppe hatten mehrfach Rücklagengelder von Wohnungseigentümergemeinschaften ohne deren Zustimmung in Anleihen einer GmbH angelegt, die sich DR Deutsche Rücklagen nannte.

Mehrere Eigentümergemeinschaften stellten deshalb Strafanzeigen gegen Hausverwaltungen der Consigma-Gruppe. Doch die Justizbehörden behandelten zunächst alle als Einzelfall. Die Staatsanwaltschaft Wiesbaden sah Anfangs keine Anzeichen für strafbaren Betrug.

Wir treffen den Rechtswissenschaftler Heribert Hirte, Vorstand bei Transparency International Deutschland. Ihn wundert die Zurückhaltung der Staatsanwaltschaften nicht: Solche Fälle seien mit erheblichem Aufwand verbunden.

"Das ist ein, ich würde schon sagen, institutionelles Problem denn die Anreizstrukturen in den Staatsanwaltschaften sind so, dass sie möglichst viele Fälle erledigen müssen. Und wenn sie viele kleine Einzelfälle erledigen, dann haben sie ihre Pflicht und Schuldigkeit getan, und wenn jetzt einer oder eine sich mal zwei oder drei Wochen hinsetzen muss um das überhaupt erst zu begreifen, weil es ja nicht automatisiert zusammengeführt wird, dann steht er oder sie für andere Taten und für andere Ermittlungen nicht mehr zur Verfügung."

Heribert Hirte, Vorstandsmitglied Transparency (International) Deutschland

Trotz Verbot der Finanzaufsicht BAFIN - die Anleihegeschäfte gingen weiter

report München will den Geschäften mit den verschobenen Rücklagen schon 2023 nachgehen. Mehr als 30 Millionen Euro waren da bereits in Anleihen der DR Deutsche Rücklagen GmbH in ihre Anleihen geflossen. Am Firmensitz fanden wir einen Briefkasten - sonst nichts.

Die Deutsche Rücklagen verlieh die Gelder der Wohnungseigentümer weiter an Immobilienprojekt-Entwickler. Nach unserer Berichterstattung in report München verbietet die Finanzaufsicht BAFIN der Deutsche Rücklagen dieses Kreditgeschäft und ordnet die Rückabwicklung an - die Anleihegeschäfte gehen weiter.

Im Frühjahr 2024 wissen wir von rund 40 WEG, deren Hausverwaltungen zur Consigma-Gruppe gehören und von denen Rücklagen in die fragwürdigen Anleihen geflossen sind. Einige Eigentümergemeinschaften, über die wir damals berichten, erhalten ihr Geld noch zurück. Das ändert sich später.

Geld floss in riskante Anleihen - ohne Zustimmung der Wohnungseigentümer

Bei unseren Recherchen stoßen wir immer wieder auf diese Bank - die Volksbank Main-Tauber in Baden-Württemberg. Die Volksbank legte im Auftrag der Hausverwaltungen in hunderten Fällen Konten und Depots für Wohnungseigentümergemeinschaften an. Über die Bank floss dann das Geld der Wohnungseigentümer ohne deren Zustimmung in die riskante Anleihen.

Einige Eigentümergemeinschaften wollen nun gegen die Bank vorgehen. Achim Tiffe ist Fachanwalt für Bankenrecht. Die Volksbank Main Tauber hätte hier nicht mitmachen dürfen, sagt er.

"Also eigentlich hätte der Mitarbeiter einer Bank, der so etwas bekommt, permanent sagen müssen. Nein, Nein, Nein, völlig ungeeignet können wir nicht machen. Wir müssen die warnen.  Irgendwas. Irgendetwas läuft da schief. Das kann eigentlich nicht das normale Geschäft einer Hausverwaltung sein und einer WEG sein. Wissen die überhaupt Bescheid? Weil üblicherweise müssen auch Wohneigentumsgemeinschaften derartigen Geschäften zustimmen, da muss es einen Beschluss geben, den hätte man sich ja mal zeigen lassen können. Und schon gar nicht, wenn das so massenweise ist. Da fließt ja massenweise Geld von Hausverwaltungen in Anleihen und zwar immer nur von einem Anbieter."

Achim Tiffe, Fachanwalt für Bankrecht

Wir fahren nach Tauberbischofsheim - denn bislang wollte uns die Volksbank keinerlei Auskunft geben. Inzwischen wurden uns interne Papiere der Volksbank zugespielt - etwa die Dokumentation einer Wertpapier-Beratung für eine WEG. Dort ist deutlich angekreuzt - spekulativ. 

Damit wollen wir Verantwortliche der Bank konfrontieren. Offenbar war die inzwischen fusionierte Volksbank sehr tief in die Geschäfte involviert. Aber: mit uns reden wollen sie nicht. Also zeigen wir Bankexperte Tiffe die uns zugespielten Unterlagen:

"Hier: Risikobereitschaft der Wohneigentumsgemeinschaft spekulativ. Eine WEG mit Rücklagen will ja nicht spekulieren. Das sind ja keine Zocker. Sondern die brauchen das Geld um das Dach zu reparieren oder den Flur zu streichen oder so und es soll sicher sein und vielleicht ein bisschen Zins geben aber mehr auch nicht. Und es muss verfügbar sein und zwar sehr kurzfristig(…). Hier sieht man, dass das gar nicht alles in sich zusammenpasst und dass die Volksbank, hier oben ist sie ja, dass der das auch klar war. Dass dieses Produkt überhaupt nicht zur WEG passt."

Achim Tiffe, Fachanwalt für Bankrecht

Anleiheskandal weitet sich auf fast ganz Deutschland aus

Denn der Gesetzgeber schreibt vor: Rücklagengelder von Wohnungseigentümergemeinschaften müssen risikoarm und schnell verfügbar angelegt werden. Seit März 2025 ist die Deutsche Rücklagen im vorläufigen Insolvenzverfahren - der Anleiheskandal weitet sich auf fast ganz Deutschland aus.

Auch in Hamburg werden wir fündig. Alleine hier in der Hansestadt wurden rund 80 Eigentümergemeinschaften unfreiwillig zu Anleihebesitzern.

Auch die Bewohner einer idyllischen Reihenhaussiedlung gehören dazu: Im Januar meldet ihre Hausverwaltung vorläufige Insolvenz an. Sie beide vertreten die Eigentümer der kleinen Siedlung. Auch ihre Rücklagen sollen an die Deutsche Rücklagen geflossen sein - 200.000 Euro.

"Uns wurden aber Kontoauszüge geschickt. Und da haben wir festgestellt, dass das Geld weg ist und das wurde im Juni letzten Jahres abgebucht in einer Summe."

Jens Seume, Reihenhausbesitzer 

"Und unser Fall ist, insofern noch interessant, weil wir zu den Wohnungseigentümergemeinschaften gehören, wo die Akteure nach dem Verbot durch die BaFin tätig geworden sind."

Matthias Mitze, Reihenhausbesitzer

Aktuell laufen mehrere Insolvenzverfahren

Im Moment sieht so aus, als wenn es weg ist, wo auch immer das Geld hin ist. Nach unseren Informationen floss ein kleiner Teil der Anleihengelder in ein Projekte der Wohninvest-Gruppe, früherer Sponsor des Bremer Weserstadions. Aktuell laufen mehrere Insolvenzverfahren.

"Dreistellige Millionenbeträge verschwinden irgendwo im Sand, und die Frage ist, was passiert denn damit, irgendjemand muss doch davon profitieren, macht jetzt irgendjemand davon eine Party in der Südsee?"

Matthias Mitze, Reihenhausbesitzer

Immerhin - in Frankfurt - wird jetzt zentral gegen Verantwortliche ermittelt. Seit Dezember 2024 bei der Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschafts-Straf-Sachen.

"Wir haben derzeit ca. 40 Strafanzeigen von Wohnungsverwaltungen und angeschlossenen Wohnungseigentümergemeinschaften vorliegen. Ich kann Ihnen definitiv versichern, dass wir alles dafür tun werden, diesen Komplex lückenlos aufzuklären."

Dominik Mies, Oberstaatsanwalt Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main

Doch das kann dauern. Zurück in Rodgau. Die Sorge vieler Eigentümer: Weil die Rücklagen fehlen müssen sie für notwendige Reparaturen vielleicht extra bezahlen.

Marco Mancuso fürchtet: Das werden sich vor allem manche Rentner hier nicht leisten können

"Wo sollen die das Geld herkriegen? Von der Bank bekommen die nichts mehr. Wenn ich mir überlege dass Leute eventuell nicht nur hier in unserer Anlage, auch in anderen Anlagen verkaufen müssen. Und somit werden auch Existenzen kaputt gemacht, vielleicht."

Marco Mancuso, Wohnungseigentümer

Deshalb werden wir weiter an diesem Skandal dranbleiben.

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