Report München


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Krieg der Preise Kein Brot ohne russisches Gas?

Preisschock im Supermarkt: Wegen des Angriffs auf die Ukraine explodieren bei uns die Preise. Familien und Rentner trifft das hart. Experten vermuten, dass hinter den Preissteigerungen eine Strategie Russlands steckt.

Author: Johannes Hofmann, Fabian Mader, Markus Rosch

Published at: 4-4-2022

Barbara Kösters aus Oberbayern hat lange im Ausland gelebt – deshalb muss sie mit einer kleinen Rente klarkommen. Viele Lebensmittel kann sie sich kaum mehr leisten.

"Ich kauf noch weniger. Anders kann ich es nicht machen. Ich kaufe noch weniger. Ich versuche noch mehr auf Angebote einzugehen, aber es reicht trotzdem nicht."

Barbara Kösters

Heute war die Rentnerin wieder einkaufen. 50 Euro müssen für eine Woche reichen. Wie ist sie damit klargekommen?

"Ich habe heute für circa 50 Euro eingekauft. Und wenn Sie sich das anschauen, das ist gar nichts. Mit dem kann ich die Woche nicht überleben. Überhaupt nicht. Das sind ein paar Sachen, die gefehlt haben. Aber was man so jeden Tag auch braucht. Was so anfällt. Auch Gemüse und Fleisch oder ein bisschen gefrorenen Fisch. Oder noch ein bisschen Wurst, noch ein ein bisschen Käse, das ist alles nicht dabei. Das ist höchstens für drei, vier Tage."

Barbara Kösters

Experten rechnen mit weiter steigenden Preisen

Handels-Experten rechnen damit, dass die Preise weiter in die Höhe klettern. Für Barbara Kösters sind sie jetzt schon zu hoch. Sie will heute einen Verein, der Senioren unterstützt, um Einkaufsgutscheine bitten. Bekommt sie die Hilfe? Der Verein kann sich vor Anfragen kaum noch retten.

"Tagtäglich erreichen uns Anrufe, und Briefe und auch persönliche Begegnungen: Ich kann mir nichts mehr kaufen, es ist alles so teuer. Und es ist nicht nur das Obst oder das Gemüse oder das Fleisch, sondern wirklich: das Öl, die Milch, die Semmeln."

Patricia Kokot, LichtBlick Seniorenhilfe e.V.

Ein Grund für den Preisanstieg: Russlands Angriff auf die Ukraine. Die Kornkammer Europas lieferte Agrarprodukte in die ganze Welt – und droht nun auszufallen. Ein Druckmittel für Wladimir Putin? Der Preis für eine Tonne Weizen ist mit Kriegsbeginn explodiert.

Viele deutsche Landwirte würden jetzt gerne mehr anbauen- aber die Politik plant das Gegenteil: Eine Fläche, halb so groß wie dieser Acker, soll Hubert Kucher zum neuen Jahr stilllegen. Um das Klima zu schützen.

"Wenn man sieht, dass man hier eigentlich einen guten Boden, fruchtbare Böden hat, und man kann nichts bestellen, und man muss zugucken, wie diese Fläche mehr oder weniger verwahrlost. Dann tut es einem weh. Und wenn man dann halt, wie gesagt, den Zusammenhang sieht auf dieser Welt, diese globalen Zusammenhänge, dann ist es für mich einfach unvorstellbar, dass man so was macht."

Hubert Kucher, Kreisvorsitzender Bauernverband Ostalb

In der EU sollen 4% der Ackerfläche stillgelegt werden. Das Bundeslandwirtschaftsministerium will trotz des Kriegs gegen die Ukraine daran festhalten. Es gehe um maximal 4,4 Prozent der Getreideproduktion. 

"Meine moralische Vorstellung ist da schon so, dass wir so viele Menschen wie möglich ernähren müssen. Es kommt aus der Kornkammer Europas weniger Getreide, und wir machen auch nochmal weniger: Wo bleibt da die Moral?"

Hubert Kucher, Kreisvorsitzender Bauernverband Ostalb

Wenn weniger Getreide geerntet wird, steigen die Preise. Gleichzeitg wird die Energie immer teurer. Und damit steigen die Produktionskosten. Und seit Monaten schießen die Preise vier gängiger Düngersorten nach oben. Erst langsam, dann seit Kriegsbeginn rasant.

Besuch bei einem der größten Düngemittelhersteller Deutschlands in Sachsen-Anhalt. Die Produktion hier wurde immer mal wieder deutlich zurückgefahren. Das Problem: Dünger herzustellen verbraucht viel Erdgas. Und das ist sehr teurer geworden.

"Wir nutzen Gas nicht energetisch, sondern stofflich. Das heißt, für uns ist es ein Rohstoff. Und der ist unabdingbar für die Produktion unserer Produkte wie Adblue und Düngemittel."

Christopher Profitlich, Sprecher SKW

Und was, wenn Russland das Gas abstellt?

"Schlicht und ergreifend, müssen wir auch die Produktion abstellen, oder einstellen, ohne Gas kein Düngemittel."

Christopher Profitlich, Sprecher SKW

Abhängig vom Gas

Vor allem beim Gas hat sich Deutschland abhängig gemacht. Gasspeicher sind teilweise in russischer Hand. In Niedersachen steht der größte Gasspeicher Deutschlands. In Rehden. 2015 - nach der Annexion der Krim, übernahm ihn eine Tochter des russischen Staatskonzerns Gazprom.

Seit einem Jahr wird hier fast kein Gas mehr eingespeichert. report München berichtete. Jetzt ist der Speicher zu weniger als einem Prozent gefüllt.

Die Gazprom-Tochter astora teilte uns mit: Sie habe internationale Kunden - und die würden eben selbst entscheiden, ob sie Gas einspeichern, oder nicht. Aber wer sind diese Kunden?

Wir kommen in Kontakt mit einer Person. Sie kennt Interna des Gazprom-Konzerns. Danach seien die Kunden des Gasspeichers in Rehden fast ausschließlich Tochtergesellschaften der Gazprom. Der Konzern ist dort also vor allem - sein eigener Kunde.

Gespräch mit Informanten

report München: "Wenn jetzt dieser Speicher leer gelaufen ist, wer hat dann die Entscheidung getroffen?"

Informant: "Die Gazprom in St. Petersburg."

report München: "Und damit auch irgendwie der russische Staat?"

Informant: "Ja, der russische Staat. Die Politik wird dort gemacht."

Gasspeicher-Betreiber weist Vorwürfe zurück

Der Gasspeicher-Betreiber Astora weist die Vorwürfe zurück. Shareholder hätten keinen Einfluss auf die operative Tätigkeit. Während unserer Dreharbeiten vor dem Gebäude der Gazprom-Tochter bekommen wir einen Anruf von einem Informanten: Die Niederlassung der Gazprom-Tochter Astora werde in diesem Moment durchsucht. Beamte der EU Kommission seien vor Ort. Das Bundeswirtschaftsministerium bestätigt uns später: Ja: Die Büros der Firma wurden durchsucht.

Von Astora dazu keine Antwort.  Am Montag nahm die Bundesnetzagentur deutsche Gazprom-Töchter unter Treuhandverwaltung – und hat vorerst die Kontrolle. Dreht Russland jetzt den Gashahn ab?  Dann würden Grundnahrungsmittel wie Mehl und Brot noch teurer.

Für Rentnerin Barbara Kösters sind sie schon jetzt zu teuer. Sie berichtet dem Seniorenhilfeverein von ihrem letzten Einkauf.

Letzte Rettung Lebensmittelgutschein

Barbara Kösters: "Sie wissen ja, vorne und hinten kein Geld. Alles sehr schlimm, alles sehr knapp…. Ich habe heute eine Flasche Sonnenblumenöl. Schauen Sie mal, hier."

Patricia Kokot, LichtBlick Seniorenhilfe e.V.: "4,99 Euro für eine Flasche Sonnenöl."

Barbara Kösters: "Das ist die Eigenmarke, die normalerweise 69 Cent kostet."

Patricia Kokot, LichtBlick Seniorenhilfe e.V.: "Das ist unglaublich. Das ist Wahnsinn und ich meine, das sind die Grundnahrungsmittel Öl, Salz, Zucker, Mehl."

Barbara Kösters: "Und es ging darum, ob Sie mir darum ob Sie mir einen Lebensmittelgutschein ausstellen könnten."

Patricia Kokot, LichtBlick Seniorenhilfe e.V.: "Ich gebe Ihnen einfach dieses Mal Bargeld mit aufgrund dessen, dass sie einfach mehr Flexibilität haben. Und dann auch mehr. Dann sind sie nicht so geschäftsabhängig. Wenn sie schon persönlich erscheinen, da ich Ihnen einfach das Geld in Bar mitgebe. Ja?"

Barbara Kösters: "Ja, machen wir so."

Patricia Kokot, LichtBlick Seniorenhilfe e.V.: "50, 100. So, dann noch ein Autogramm, dass Sie das von uns erhalten haben."

Hierzulande werden Lebensmittel teurer. In ärmeren Ländern drohen Hungersnöte. Das spiele Putin in die Hände, sagt Stephan von Cramon-Taubadel, Forscher für Agrarpolitik der Uni Göttingen.

"Er weiß ganz genau, dass in vielen Ländern zum Beispiel Mittelmeerraum, Nordafrika im Nahen Osten Lebensmittel knapp werden, Preise steigen und dass das Unruhen verursachen kann. Und es ist gut vorstellbar, dass das zum Beispiel auch zu einer Zunahme der Flüchtlingsströme führen wird. Und dadurch kann er Spannungen in der EU wieder verstärken."

Prof. Stephan von Cramon-Taubadel, Agarökonom, Universität Göttingen

Hunger als Druckmittel

Inzwischen droht Putin: Man müsse ein Auge auf Agrar-Exporte an "unfreundliche Länder" haben. Russland setze Hunger als Druckmittel ein, meint der amtierende EU-Agrarkommissar .

"Es ist die russische Methode, Hunger auszulösen. Sie setzen dieses Mittel bewusst ein, um andere Nationen zu unterwerfen. Ich höre, dass die russische Armee die landwirtschaftliche Infrastruktur, Bauernhöfe und sogar einzelne Landwirte bei der Feldarbeit attackiert."

Janusz Wojciechowski, EU-Agrarkommissar

Der Vorwurf lässt sich nur schwer überprüfen. Aber wir kommen in Kontakt mit einem ukrainischen Agrarunternehmer. Er schickt uns diese Fotos. Sie sollen ein riesiges Getreidelager seines Unternehmens im Norden des Landes zeigen, das bei Kampfhandlungen zerstört worden sei.

"Eine Siloanlage mit 20.000 Tonnen komplett zerstört worden, also zerbombt worden und dann noch verbrannt."

Dr. Alex Lissitsa, Geschäftsführer IMC Agrarholding

Zerstörte Siloanlage

Die Echtheit der Fotos lässt sich für uns nicht überprüfen. Laut russischer Regierung greift die Armee nur militärische Ziele an. Unbestritten ist: Getreide droht in vielen Ländern knapp zu werden.

Die EU-Kommission hat nun erlaubt, Flächen, die aktuell wegen Umweltauflagen brach liegen, vorübergehend als Acker zu nutzen. Aber: Das Bundeslandwirtschaftsministerium bremst, macht strenge Auflagen.

Es warnt davor, Zitat, „Aspekte der Nachhaltigkeit in der Agrarpolitik zurückzudrehen.“ Der Deutsche Bauernverband fordert eine Anpassung der Agrarflächennutzung.

"Da muss die Weltgemeinschaft zusammenstehen, und da könnten wir einen kleinen Beitrag dazu beitragen."

Joachim Rukwied, Präsident Deutscher Bauernverband

Für Barbara Kösters ist vor allem eins wichtig: Dass Lebensmittel nicht noch teurer werden.

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