Verunsicherte Jungwähler Wie tickt die junge Generation?
Knapp 60 Millionen Deutsche können am 23. Februar 2025 ihre Stimme abgeben. Dazu zählen auch rund 2,3 Millionen Erstwählerinnen und Erstwähler. Was bewegt die jungen Menschen? Welche Themen sind für sie wichtig? Wie blicken sie in die Zukunft?
Pascal ist Mitglied bei der IG Metall und Jugendvertreter in seinem Betrieb. Heute ist er unterwegs zu einem Treffen. Er macht sich Sorgen um seine Zukunft.
"Also die größte Angst ist auf jeden Fall, dass das Werk an sich tatsächlich schließen muss. Und dann weiß ich noch nicht, was ich machen würde, weil es mir tatsächlich da sehr, sehr gut gefällt und sehr, sehr, sehr viel Spaß macht."
Pascal Ramer, 21
Die Gewerkschaftsjugend trifft sich heute im nordbayerischen Thurnau. Alle hier arbeiten wie Pascal in der Industrie.
"Ich glaube auch, dass die Sorgen haben. Sorgen auch um ihre Arbeitsplätze."
Pascal Ramer, 21
Einige haben ihre Ausbildung noch gar nicht abgeschlossen. Wie soll es jetzt weitergehen - auch politisch? Diese Fragen stellen sich Celina und ihre Freunde.
"Wir haben natürlich ein bisschen unsere Standpunkte vertreten, haben aber alle gemeint, also zumindest in meinem Umkreis, dass wir uns auch sehr unschlüssig sind, was man wählt, weil man eben einfach trotzdem Ja, es gibt bei jeder Partei irgendwas, wo man sagt: okay, da steht man vielleicht nicht so ganz dahinter, aber man wägt eben ab."
Celina Gutgesell, 22
Unentschlossene Jugend?
Eine unentschlossene Jugend? Das sagt auch Generationenforscher Rüdiger Maas. Er hat mit vielen jungen Menschen gesprochen - die meisten seien tief verunsichert.
"Etwa jeder dritte junge Mensch hat uns gesagt, er hätte am liebsten eine Partei der Mitte, wo man nichts Falsches wählen kann. Ich kreuze die an und die, die stehen halt einfach für ganz gute Dinge. Und da muss ich mir nicht so einen Kopf machen."
Rüdiger Maas, Generationenforscher
Verantwortlich für diese Verunsicherung seien die Sozialen Medien - und die Eltern.
"Wenn es unangenehm wird, greifen ganz gern die Eltern ein. Oder die Eltern machen Druck auf Institutionen, dass die etwas machen, wie zum Beispiel jetzt eben die Schule oder das Studium, dass da eben sehr, sehr viel auf die Jungen angepasst wird. Und das führt eben dazu, dass sich am Ende des Tages junge Menschen sehr viel weniger zutrauen, weil auch die Eltern, wenn wir ganz ehrlich sind, ihren Jungen sehr viel weniger zutrauen."
Rüdiger Maas, Generationenforscher
Essen. Training der A-Jugend. Ege ist 18. Hat einen Plan, was er beruflich machen will: Erzieher.
"Also ich mag gern mit Kindern umgehen und ich sehe das gerne, also wie die Kinder immer Fortschritte machen und denen was beizubringen."
Ege Kaynae, 18
Aber auch Ege weiß noch nicht, wen er wählen soll. Die Parteien scheinen ihn im Wahlkampf bisher nicht erreicht zu haben. Ist seine Altersgruppe einfach zu unwichtig? Denn Jungwähler werden seit Jahrzehnten weniger - und die Älteren immer mehr.
1990 machte unter den Wahlberechtigten die Gruppe der 60 Jahre und Älter noch etwa ein Viertel aus. Bei dieser Bundestagswahl sind es mehr als 40 Prozent.
Jetzt könnte man ein bisschen plakativ sagen: ‚Alte Leute entscheiden die Wahl.' War ihm das bewusst?
"Nee, tatsächlich nicht. Aber natürlich sind die auch dementsprechend immer entschlossener halt, wählen zu gehen, weil die dann auch so ein Gesamtbild davon haben und die Jungen noch nicht ganz aufgeklärt sind, meistens, in dem Bereich."
Ege Kaynae, 18
Junge Menschen gehen tendenziell seltener wählen - als Wählergruppe sind sie also noch unbedeutsamer. Das hat auch Freeborn gemerkt. Er hat sich die Wahlprogramme der Parteien angesehen - fühlt er sich von den Parteien als junger Mensch angesprochen?
"Also von den, von den meisten Parteien gar nicht. Ich finde das eher Sachen für die ältere Leute und deswegen muss man eigentlich nur denken und einfach logisch denken und sich in so eine Position reinmachen, als ob man älter wird und denkt, was man für die Zukunft möchte. Aber ich finde für die Jugendlichen jetzt, dass das wird nicht angezeigt oder darüber geredet und so."
Freeborn Omo-Obanor, 19
Wahlkampf um die Stimmen der Älteren?
Bamberg, Anfang Dezember. Carmen Wegge ist 35 und sitzt für die SPD im Bundestag. Bei der Europawahl schnitt ihre Partei bei Jungwählern schlecht ab. Spricht die SPD die falschen Themen an?
"Also da kann man jetzt nicht sagen, dass es irgendwie an Themen liegt. Ich würde auch sagen die Themen der SPD sind Themen, die sowohl junge als auch alte Menschen ansprechen."
Carmen Wegge, Bundestagsabgeordnete, SPD
Wegge will als Abgeordnete weitermachen. Heute stellt die BayernSPD die Landesliste für die Bundestagswahl auf.
"Da ist es natürlich wichtig, einen guten Platz zu haben. Und deswegen ist heute ein wichtiger Tag, weil ich nach diesem Tag einschätzen kann, wie stehen die Chancen, dass ich noch mal in den Bundestag komme?"
Carmen Wegge, Bundestagsabgeordnete, SPD
Diesmal könnten deutlich weniger SPD-Kandidaten in den Bundestag einziehen. Umso wichtiger: ein vorderer Listenplatz. Carmen Wegge soll auf Platz 12, das könnte für den Bundestag knapp reichen. Doch diesen Platz will auch die Bundestagsabgeordnete Marianne Schieder.
"Für mich ist Platz 24 vorgesehen. Das ist der letzte Platz für eine amtierende Abgeordnete. Ich bin sicher, wir brauchen junge Leute, jungen Schwung, und wir haben Sie auch. Aber wir brauchen auch ältere Leute! Und Altersdiskriminierung wird doch nicht die Sache der SPD sein!"
Marianne Schieder, Bundestagsabgeordnete, SPD
Abgegeben wurden 121 Stimmen, alle gültig. Auf Marianne Schieder sind entfallen: 27 Stimmen, auf Carmen Wegge 93. Die SPD stellt viele junge Kandidierende auf. Ob sie deshalb auch von vielen jungen Menschen gewählt wird?
Bei der Europawahl war mitunter sehr erfolgreich bei den Jungen: die AfD. Hier gab es keinen Unterschied zum Bundesdurchschnitt. Auch wenn vor der Kamera niemand offen mit der AfD sympathisiert - sie ist auch in Essen ein Thema, merkt der Trainer.
"Die Jungs reden schon darüber. Die sagen schon: Boah, warum wählst du die AfD? Oder warum wählst du die Grünen? Oder warum wählst du die SPD? Ich finde, hab ich auch vor den Jungs schon gesagt: Lasst euch nirgendwo rein. Ich sage das immer, auch zu anderen Menschen: Lasst euch nirgendswo reindrängen! Habt eine eigene Meinung, das ist wichtig!"
René Beckmann, Trainer ESC Preußen 02 e.V.
Jungwähler entscheiden sich tendenziell häufiger für kleinere oder Parteien an den Rändern. Erkennbar schon bei der letzten Europawahl: überdurchschnittlich stark bei der Jugend: Die Linke. Deren Spitzenpolitikerin erreicht in den letzten Wochen vor der Bundestagswahl besonders viele junge Frauen.
"Gib's den Armen, gib's der Mitte, nimm's den Reichen weg! Wenn ich denke, will ich denken, wie Heidi Reichinnek. Yes, ich argumentiere die ganze rechte Scheiße weg."
TikTok-Video Heidi Reichinnek, Insert: Quelle: Tiktok / @heidireichinnek
Was löst sie bei jungen Menschen aus?
"Fast das gleiche wie Alice Weidel oder Sahra Wagenknecht. Das sind oder damals auch Angela Merkel. Das sind Frauen, die in einer männerdominierten Gesellschaft sehr stark performen. (...) Und so ist es eben auch bei ihr, die auch im Bundestag sehr stark auch auch polarisiert und sehr stark auch auftritt mit mit starken Aussagen, die wunderbar auf Social Media funktionieren und dort auch viral gehen."
Rüdiger Maas, Generationenforscher
Wie ist damit umzugehen?
"Es gibt ja Themen, warum die jungen Menschen jetzt zum Beispiel am linken und rechten Rand sich jetzt wohler fühlen oder die auch wählen. Da sollten wir die Themen behandeln, aber nicht diese diese Wahlaktion so schlecht reden. Also dann fühlen sich die Jungen noch unverstanden an vielen, vielen Punkten. Wir müssen ja nicht der Meinung sein. Wir müssen es aber lernen, auch auszuhalten."
Rüdiger Maas, Generationenforscher
Auch Pascal findet: Mit dem Finger auf die Jugend zu zeigen, bringe gar nichts.
"Ich glaube, dass Parteien einfach mal auf die Meinungen der jungen Menschen hören sollten, was denn die Sorgen von jungen Menschen sind, was denn junge Menschen belastet, was junge Menschen betrifft. Es wird immer viel über die Generation Z gesprochen, aber wer spricht denn tatsächlich wirklich mit ihr, weiß, was denn da in den Köpfen junger Menschen abgeht?"
Pascal Ramer, 21
Manuskript zum Druck
Manuskript als PDF:
Kommentieren