Herausforderung Messergewalt Wie kann das Problem gelöst werden?
Steigende Messergewalt unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen - Deutschland versucht, dieses vergleichsweise neue Problem mit Messerverbotszonen und stärkeren Kontrollen zu bekämpfen. In Großbritannien kämpfen Politik und Zivilgesellschaft schon länger gegen diese Gewalt - und sagen: mit Verboten allein ist das Problem nicht in den Griff zu bekommen.

Stuttgarter Innenstadt, Freitagabend. Die Polizei startet ihre Nachtstreife am Schloßplatz. Das Ziel: gefährliche Messer sicherstellen.
"Gestern im Nachtdienst, da haben wir tatsächlich zwei Messer aufgefunden, die haben dann entsprechende Anzeigen bekommen. Einer von denen hat gestern gemeint, er hat's von der Arbeit dabei, aber wenn er sich abends dann in der Stadt betrinkt, also dann hat einfach ein Messer nichts zu suchen."
Stefan Gresser, Polizeioberkommissar
Seit zwei Jahren gibt es am Wochenende eine Waffenverbotszone in Teilen der Innenstadt.
"Die gibt's hier, weil wir eine relative Steigerung feststellen konnten von Auseinandersetzungen, wo Messer oder auch Waffen eingesetzt wurden."
Andreas Kunz, Polizeihauptkommissar
Ein Gesamtdeutscher Trend. Seit 2021 - seit Messer als Tatwaffe in der polizeilichen Kriminalstatistik erfasst werden - sind diese Zahlen gestiegen. Zuletzt registrierten die Behörden bundesweit 15.741 Messergewalttaten.
Lösen Verbotszonen das Problem?
Die Streife nimmt eine Gruppe junger Männer ins Visier. Die Verbotszone gibt der Polizei das Recht, auch ohne konkreten Anlass zu kontrollieren. Bei diesen Jugendlichen kann die Streife keinen Verstoß feststellen. Lösen Verbotszonen das Problem? In der Schweiz treffen wir einen der führenden Experten für Messergewalt.
"Waffenverbotszone macht es nicht in den Köpfen, Veränderungen herbeizuführen. Von daher denke ich, eine Zunahme derzeit noch erwartbar, weil wir nicht die richtigen Schaltstellen benutzen, um Kriminalität in den Griff zu bekommen."
Dirk Baier, Kriminologe
Was geschieht, wenn Messergewalt aus dem Ruder läuft, sieht man in der Mega-Metropole London jenseits der Touristenviertel. Seit mehr als einem Jahrzehnt kämpfen die Behörden mit eskalierender Messerkriminalität.
Diese Videos dürfen wir mit Zustimmung einer Initiative gegen Messergewalt zeigen. Allein in London gab es zuletzt in einem Jahr 15.859 Messerangriffe.
Sandra Campbell stemmt sich gegen die Gewalt. Mit ihrer privaten Hilfsorganisation Word 4 Weapons sammelt sie die Messer von Londons Straßen - und will damit Leben retten. In rund 60 Containern der Initiative kann man Messer einwerfen - anonym.
Seit September 2024 ist im Vereinigten Königreich der Besitz von Macheten und Messern mit langen, gezackten Klingen verboten.
"Es hat hier diese Zacken, ganz schön fies, wenn das reingeht, kann es die Organe komplett zerfetzen. Bei Messerstechereien sind es nicht unbedingt diese spektakulären Messer. Die hier gehen auch."
Sandra Campbell
Was wird sie heute wohl noch auf ihrem Rundgang finden? Und welchen Effekt hat das Einsammeln der Messer?
Drogendelikte und Messerkriminalität hängen oft zusammen
Zurück in der Stuttgarter Waffenverbotszone. Mitternacht. Bislang ist es ruhig in der Innenstadt. In Baden-Württemberg ist die Polizei besonders sensibel. Im Mai 2024 wurde ein Beamter in Mannheim erstochen. Gefunden wurden bislang Waffen wie diese:
"Ein Schlagring, der mit einer Klinge integriert hat, die Sie dann rausführen können, feststellen, dann haben Sie zum einen den Schlagring, und die feststehende Klinge, Sachen, die man nicht als Messer erkennt. Also hier Scheckkarte, kann im Geldbeutel mitgeführt werden, wenn Sie es aber aufklappen, haben Sie eine Klinge, ziehen Sie schnell raus. Und auch diese Klinge ist entsprechend für Verletzungen geeignet."
Andreas Kunz, Polizeihauptkommissar
Die nächste Kontrolle. Zwei junge Männer sitzen in der Nähe eines Einsatzfahrzeugs der Polizei.
"Wir sind hochgekommen, haben die zwei Leute dort sitzen sehen und ein Handy, auf dem eine weiße Substanz war, ein kleines Häufchen."
Stefan Gresser, Polizeioberkommissar
Häufig hängen Drogendelikte und Messerkriminalität zusammen. Ein Drogen-Schnelltest soll Klarheit bringen. Die Männer werden auf Messer durchsucht. Das Drogen-Testergebnis ist da.
"Der Test ist positiv auf Kokain, demnach bekommt der Herr jetzt eine Strafanzeige."
Stefan Gresser, Polizeioberkommissar
Immerhin: Messer hatten die beiden Männer nicht dabei.
Seit der Einrichtung der Waffenverbotszone vor knapp 2 Jahren habe sich das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung verbessert, schreibt uns die Stuttgarter Polizei. Auch besonders gewalttätige Messerdelikte seien zurückgegangen. Bis zu unseren Dreharbeiten hatten sie 154 Messer beschlagnahmt.
"Diese 154 Messer sind nicht mehr im Verkehr, die sind weg. Und damit hab ich auch 154 Tatgelegenheiten weniger. Und deswegen würde ich das natürlich schon als Erfolg sehen."
Andreas Kunz, Polizeihauptkommissar
Aber auch hier weiß die Polizei: mit repressiven Maßnahmen alleine kann sie das Problem nicht lösen:
"Grundding ist, eine Änderung der Gesellschaft, eine Ächtung von Waffen, eine Ächtung von Gewalt innerhalb der Gesellschaft und das ist das, was auf Dauer zielführender wirkt, wie irgendwelche Verbote."
Andreas Kunz, Polizeihauptkommissar
Statistisch gesehen sind ausländische Tatverdächtige bei Messergewalt deutlich überrepräsentiert. Doch wie soll man mit dem Problem umgehen? Nicht zuerst auf die Staatsbürgerschaft schauen, meint der Kriminologe, sondern:
"Wenn das Thema Männlichkeit und Revival von Männlichkeitsorientierung eine Rolle spielt, dann müssten wir uns eigentlich darüber Gedanken machen, wie wir es schaffen, jungen Menschen Geschlechterrollen zu vermitteln, die nicht so ne Nähe zu Gewalt haben. Wir müssen die Realitäten dahinter identifizieren. Und dann hätten wir aber auch Anknüpfungspunkte, wo wir vielleicht mit Prävention agieren sollten. Was passiert da eigentlich in der Erziehung, was passiert in den Freundesgruppen, was haben soziale Medien in diesem Bereich für eine negative Vorbildwirkung?"
Dirk Baier, Kriminologe
In Deutschland kaum flächendeckende Präventions-Projekte
In London versucht man seit einigen Jahren, diesen Weg zu gehen. Kriminalität ist eng verbunden mit Armut und prekären Lebensverhältnissen. In den armen Vierteln der Stadt ist die Gewalt oft schon bei Kindern und Jugendlichen alltäglich.
"Der Freund meines kleinen Bruders, mit dem ich mein ganzes Leben lang aufgewachsen bin, war 16, als er starb, in der Preston Road, er wurde verfolgt und erstochen."
Justice
Private und staatliche Initiativen setzen heute auf Prävention und Resozialisierung von Straftätern. Sie sollen Vertrauen gewinnen.
Levon war selbst einmal Gewalttäter. Als Sozialarbeiter will er jetzt Jugendliche erreichen, bevor sie zum Messer greifen. Er telefoniert sogar Schulschwänzern aus bestimmten Cliquen hinterher.
"Bist du in der Schule? Warst du dort? Warum? Okay. Wie geht es dir jetzt? Okay. Dann sehe ich dich morgen. Ja? Pünktlich. Ciao."
Levon, Sozialarbeiter
Jenseits von Waffenverbotszonen: In Deutschland gibt es fast nirgendwo flächendeckende Präventions-Projekte speziell gegen Messerkriminalität. Report München fragt in allen Bundesländern nach. Nur in Berlin macht die Polizei ein Regelangebot an Schulen.
Ergebnisse gibt es dazu noch nicht, eine neue Evaluierung ist geplant.
Sandra Campbell hat in London in den letzten 10 Jahren rund 10.000 Messer eingesammelt. Sie werden niemanden mehr verletzen. Viele haben offenbar verstanden, wie gefährlich sie sind und haben sie freiwillig abgegeben.
Am Sammelcontainer
Ed: "Was haben wir hier? Ziemlich voll!"
Sandra Campbell: "Sehr voll. Oh mein Gott. Ich würde schätzen, dass darin gerade etwa 800 Messer sind. Das ist so die übliche Kapazität eines Containers."
Nach wie vor sind Messerangriffe in London in den letzten Jahren noch leicht angestiegen. Eine endgültige Bewertung der Anti-Messer-Projekte steht noch aus.
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Reiner, Donnerstag, 01.Mai 2025, 14:01 Uhr
4. Unkonventionalle Maßnahmen
Kirsten Heisig und Andreas Müller waren auf dem richtigen Weg, Jugendstrafsachen unmittelbar zu verfolgen und abzurteilen. Für einen Teil der Täter mag das der sinnvolle Ansatz sein. Bayern hat das Schnellverfahren für bestimmte Delikte eingeführt.
Ich würde noch einen Schritt weitergehen, um erzieherische Effekte zu erzielen. Nämlich bereits durch die Polizeibeamten bestimmte Maßnahmen in den Ermessensspielraum einzubinden. Wenn ein Jugendlicher mit einem Messer angetroffen wird, dann bringt Kriminalisierung nichts. Stattdessen wären erzieherische Folgen, z.B. die Abgabe des Smartphones für 4 Wochen sinnvoller. Genauso bei Autoposern. Die Wegnahme des Autos schmerzt Heranwachsende mehr als 500.- Euro Bußgeld. Man könnte darüber nachdenken den Betroffenen eine Wahlmöglichkeit der unmittelbaren Strafe zu geben. Im Falle von Messern mit Termin bei einer Polizeidienststelle zur intensiven Belehrung der Messerverwendung.
Mehr Pädagogik statt Kartenzahlung.
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Olaf Schremm , Donnerstag, 01.Mai 2025, 01:51 Uhr
3. Messerkriminalität
Teil 2
Dieser Wissenschaftler forscht über die Entstehung von Kriminalität, das ist die Kriminologie.
Wer dabei Einflussfaktoren von auffälligen Tätergruppen, die Haupttäter in bestimmten Deliktsfeldern sind, einfach außer Acht lässt, wird nie zu realistischen Forschungsergebnissen kommen.
Wenn die soziale Herkunft eine Rolle spielt, dann spielt auch die geographische Herkunft eine Rolle.
Sozialisation in anderen Kulturkreisen ist ein genauso wichtiger Faktor wie Alter, und Geschlecht .
Wer das negiert, verweigert sich der Realität und kommt im Ergebnis zu wirkungslosen Präventionsmaßnahmen , so wie in London.
Übrigens die Kritik an einem fehlenden flächendeckenden Präventionsprogramm in Deutschland im Vergleich zu London, ist einfach nicht nachvollziehbar. Ein solches flächendeckendes Programm in England existiert auch nicht.
Auch hier hinkt der Vergleich zwischen einer Stadt und einem Land.
Der Bericht weist erhebliche Defizite auf.
Antwort von Die Redaktion, Samstag, 03.Mai, 00:32 Uhr
Danke für Ihren differenzierten Kommentar. Zu den kritisierten Punkten möchten wir folgendes anmerken: Sie kritisieren, dass wir London mit Deutschland vergleichen. Unsere Absicht war allerdings nicht, die Stadt London mit ganz Deutschland zu vergleichen. Wir haben aber London als Metropole ausgewählt, weil dort das Thema Messergewalt zum einen bereits viel länger existiert als in Deutschland, zum anderen aber auch gezielter angegangen wird.
Sie kritisieren, daß der von uns befragte Experte die Frage der Herkunft nicht thematisiere.
Wir verschweigen keineswegs, dass es einen höheren Anteil an ausländischen Tatverdächtigen gibt. Unser Beitrag thematisiert aber vor allem den Bereich Prävention. Unsere Frage an den Experten bezieht sich deshalb darauf, welche Ansätze zur Prävention erfolgversprechend sind. D.h. auch der interviewte Kriminologe negiert nicht, dass es einen höheren Anteil ausländischer Tatverdächtiger gibt, sieht Ansätze zur Prävention, aber eher in anderen Bereichen
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Olaf Schremm, Donnerstag, 01.Mai 2025, 01:39 Uhr
2. Beitrag zur Messerkriminalität
Ich habe selten einen derart schlechten Beitrag von Ihnen gesehen.
Erstens vergleichen Sie eine Stadt, London, mit einem Land, Deutschland.
Vergleiche sollten zwischen mindestens ähnlichen Dingen stattfinden. Ein Land mit einer Stadt zu vergleichen , verbietet sich.
Zweitens zeigen Sie die Fallzahlen von Gewalttaten mit Messern aus London , die in den letzten Jahren , so wie in Deutschland, rasant gestiegen sind.
Zugleich berichten Sie über ein Präventionsprogramm in London, nämlich die Abgabeaktion von Messern , das aber ganz offenkundig seit 19 Jahren keine Wirkung erzielt, da die Fallzahlen auch in London steigen.
Eine Prävention, die keine Wirkung erzielt, ist sinnlos und bestimmt nicht lobenswert.
Ganz offenkundig sind es nicht die relevanten Personen, die ihre Messer abgeben,
Prävention sollte daher gezielt die Haupttätergruppen zielgerichtet ansprechen.
Damit komme ich zu Drittens, dem angeblichen Spezialisten aus der Schweiz,…..siehe Teil 2
Antwort von Die Redaktion, Samstag, 03.Mai, 00:34 Uhr
Zur Frage der Prävention und zu unseren gezeigten Beispielen in London - der Erfolg von Prävention ist leider in vielen Fällen schwer messbar (There is no glory in prevention). Die londoner Präventionsprogramme haben die Zahl der Messergewalttaten noch nicht messbar gesenkt - es ist aber durchaus möglich, dass durch die Präventionsprogramme ein noch stärkerer Anstieg verhindert wurde.
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Daniela Knorr , Dienstag, 29.April 2025, 22:24 Uhr
1. Ihre aktuelle Sendung zu Messergewalt am Bsp. Stuttgart
Guten Abend,
wie bitte kommen Sie in Ihrer aktuellen Sendung zu solchen Aussagen am Bsp. Stuttgart? Hier das aktuelle Statement der Polizei Stuttgart zu Messergewalt in Stuttgart. Es gibt ein 5-Jahreshoch an Messergewalt in Stuttgart. Die absolute Mehrheit der Taten wurde in den Messerverbotszonen ausgeführt! Wieso berichten Sie nicht so, wie es tatsächlich ist?
https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/110977/6010454
Freundliche Grüße
Daniela Knorr
Antwort von Die Redaktion, Samstag, 03.Mai, 21:20 Uhr
Danke für Ihren Kommentar. Tatsächlich gab es einen Anstieg der absoluten Zahlen - da haben Sie recht - aber es gab laut Polizei Stuttgart auch Erfolge der Messerverbotszone. Insofern widersprechen sich Ihr Hinweis und unsere Aussage im Beitrag nicht. Unser Beitrag hat sich vor allem auf das Thema Prävention fokussiert. Unsere Aussage im Beitrag, dass die "besonders gewalttätigen Messerdelikte" zurückgegangen seien, und dass sich "das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung" verbessert habe, ergeben sich aus der Antwort auf unsere konkrete Frage an die Polizei Stuttgart, ob eine Veränderung beobachtet wurde, die zeigt, dass die Waffenverbotszone wirkt.
Der Anstieg der Taten innerhalb der Waffenverbotszone, den Sie ansprechen, umfasst Taten sowohl im öffentlichen als auch im nicht-öffentlichen Raum. Die Waffenverbotszone hat u.a. zum Ziel, v.a. präventiv gewalttätige Messerdelikte im öffentlichen Raum zu verhindern, was aus Sicht der Polizei Stuttgart auch ein Stück weit gelungen ist.
Antwort von Die Redaktion, Samstag, 03.Mai, 21:21 Uhr
Wir haben im Beitrag den Anstieg von Gewalttaten mit Messern nicht negiert, sondern uns auf die Möglichkeiten der Prävention konzentriert.
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