Report München


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Jugend bleibt daheim Warum so viele junge Menschen nicht wählen

Sie gehen auf die Straße, kämpfen für das Klima, engagieren sich gegen Rassismus. Die junge Generation zeigte und zeigt großes politisches Engagement. Gleichzeitig gehen junge Menschen oft nicht zur Wahl. Woran liegt das? report München hat sich bei der jungen Generation umgehört.

Von: Anna Tillack

Stand: 21.09.2021

Junger Mann mit Wahlzettel; Bild: dpa | Bild: picture-alliance/dpa

Es ist ein besonderer Tag für Kira Brünies - sie ist gerade 18 Jahre alt geworden, heute feiert sie in einem Bremer Jugendzentrum.

Die Volljährigkeit bringt in diesem Jahr ein besonderes Privileg mit sich: Sie darf zum ersten Mal wählen gehen.

Interview junge Nicht-Wählerin

report München: „Gehst du wählen?“

Kira Brünies: „Nein.“

report München: „Warum nicht?“

Kira Brünies: „Ich hab‘ mich noch nicht so darüber informiert und noch wenig Erfahrung gesammelt, deshalb!“

Kira ist eine von vielen jungen Nicht-Wählern in Deutschland.

Während die gesamte Wahlbeteiligung bei der letzten Bundestagswahl bei 76,2% lag, war sie bei den Jung- und Erstwählenden, den 18 - 20 Jährigen, nur bei 69,9%. Auffällig dabei, die enormen Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern: Bayern schneidet mit 75,1% Wahlbeteiligung dabei am besten ab, Schlusslicht ist Bremen mit nur 58,6%. Das ist ein Unterschied von mehr als 16 Prozentpunkten!

Woran liegt es, dass hier bei der letzten Bundestagswahl so wenige junge Menschen zur Wahl gegangen sind?

Interview

report München: "Bist du politisch interessiert würdest du sagen?"

Augustin Lavek: "Ja auf jeden Fall…"

report München: "Was sind die drängendsten Probleme, die die Politiker jetzt anpacken müssen nach der Wahl?"

Augustin Lavek: "Klimawandel, das ist glaub ich das nahestehendste, Bildungssystem…"

report München: "Traust du es den Politikerinnen und Politikern, die jetzt zur Wahl stehen, zu diese Problem zu lösen?"

Augustin Lavek: "Ne, das traue ich ihnen nicht zu."

report München: "Warum?"

Augustin Lavek: "Ich glaub da braucht es einfach mehr Radikalität…"

Wenig Vertrauen in Politikerinnen und Politiker

Eine Einstellung, die auf einen großen Teil der Jugendlichen zutrifft, sagt Björn Milbradt vom Deutschen Jugendinstitut in Halle.

"Es gibt einen relativ großes Grundvertrauen in die Demokratie als Gesellschaftsformen, als System. Und es gibt ein großes Grundvertrauen in bestimmte Institutionen wie die Polizei oder die Gerichte. Aber die Problemlösungskompetenz von Politikerinnen und Politikern steht nicht an erster Stelle in der Vertrauensskala von Jugendlichen."

Björn Milbradt, Deutsches Jugendinstitut

Statt an die Urne gehen viele lieber auf die Straße sagen sie…

Schon in den 70er Jahren bei den Anti-Atomkraft-Protesten war die Jugend maßgeblich beteiligt. In den 80ern politisierte die umstrittene Politik zur Stationierung neuer Atomraketen eine ganze Generation. Und gut 30 Jahre später sind es Schülerinnen und Schüler, die mit Fridays for Future eine neue Protestbewegung gegen den Klimawandel initieren.

Doch zu einer erhöhten Wahlbeteiligung führte dieses Engagement so gut wie nie. In Bremen haben bei der letzten Bundestagswahl weniger als 60% der 18–20-Jährigen ihr Kreuzchen gemacht… Liegt es daran? Mit 11,6% hat der Stadtstaat eine überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit. 16,4 % der Bremer unter 30 haben keinen beruflichen Bildungsabschluss.

Deutlich mehr junge Menschen haben hier gewählt - in Bayern. Wir sind an einer Berufsfachschule in München, hier werden KfZ-Mechatroniker ausgebildet - gerade haben sie Politikunterricht. Heute dreht sich alles um die Wahl:
Lehrerin: „Burak, was muss man denn in der Türkei zahlen, wenn man nicht wählen geht?“
Schüler: „8 Euro…“

In Deutschland gibt es keine Wahlpflicht, wählen gehen wollen in dieser Klasse trotzdem die meisten.

"Wenn es dann so weit ist, werde ich mich wieder hinsetzen, den Wahl-O-Mat anschmeißen, schauen und auch wirklich dann bei einer Partei, wo ich merke, okay, da passt es schon größtenteils auch mal ins Detail gehen und das Wahlprogramm anschauen."

Schüler

Wie aus den Vorschlägen im Wahlprogramm politische Entscheidungen werden, haben viele von ihnen in der Schule gelernt.

"Da fand ich das ganz gut, wo wir an der alten Schule ein Planspiel gemacht haben über einen ganzen Tag hinweg wo wir mal eine Gesetzgebung simuliert hatten und danach auch Abgeordnete gekommen sind."

Schüler

Höherer Bildungsabschluss, höhere Wahlbeteiligung?

Im Gegensatz zu Bremen ist die Arbeitslosigkeit mit 4,2% in Bayern niedrig. Nur 7,1% der Bayern unter 30 hatten 2017 keinen beruflichen Bildungsabschluss - das ist der niedrigste Wert in ganz Deutschland. Auffallend: Ist die Wahlbeteiligung höher, ist der Anteil von Menschen ohne beruflichen Abschluss niedriger - und umgekehrt. Bildungsabschlüsse könnten die Wahlbeteiligung also beeinflussen.

Und noch etwas beeinflusst offenbar. Der 18-Jährige Henri Zander zeigt, wie soziale Medien ihn mit Wahlvideos überschwemmen

"Da wird dir häufig gesagt, wen du wählen sollst, da wird versucht dir eine Meinung aufzudrängen teilweise… Auch hier: Da steht einzig richtige Wahl und dann ist das hier Christian Lindner, I’m King…"

Henri Zander

Seriöse Informationen mischen sich mit Werbevideos und falschen Behauptungen x-beliebiger Nutzer. Henri Zander traut sich trotzdem eine Entscheidung zu - die Schule und seine Eltern haben ihn ausreichend vorbereitet.

Auf der anderen Seite der Stadt ist die Situation eine andere.

Interview Schülerinnen

Janina Krey: "Bei uns an der Schule gab es gar nicht das Thema Politik…"

report München: "Sprecht ihr mit euren Eltern nicht drüber?"

Kira Brünies: "Gar nicht, meine Eltern haben mit dem ganzen Zeug nix zu tun, leider…"

Am Jugendzentrum geht die Geburtstagsfeier ihrem Ende zu, morgen muss Kira wieder in die Arbeit. Sie macht eine Ausbildung zur Krankenpflegerin. Für kaum jemanden wäre es wichtiger, die Zukunft jetzt mitzugestalten.

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