Umfrage: Bedrohung von Bürgermeistern stark gestiegen
Zwei Drittel aller Bürgermeisterinnen und Bürgermeister wurden bereits beleidigt, beschimpft oder tätlich angegriffen - so eine Umfrage im Auftrag des ARD-Politmagazins report München, durchgeführt durch die Zeitschrift KOMMUNAL. Die Folgen für die Demokratie sind fatal.
Mai 2018: Gerade wurde Martin Horn zum Freiburger Oberbürgermeister gewählt, da wird er auf dem Marktplatz brutal niedergeschlagen. Kurze Zeit später meldet er sich aus dem Krankenhaus bei seinen Anhängern: (Facebook) "Wir werden uns nicht unterkriegen lassen. Ich habe eine gebrochene Nase, zwei kleine Stiche dort, einen abgebrochenen Zahn."
Noch am Abend kehrt er auf die Wahlparty zurück. Heute weiß Horn: Hass und Bedrohungen begleiten einen Oberbürgermeister jeden Tag, vor allem in den sozialen Netzwerken:
64 Prozent wurden bereits beleidigt, tätlich angegriffen oder bedroht
Im Auftrag von report München hat das Magazin Kommunal 2500 Bürgermeister zu ihren Erfahrungen mit Gewalt und Hetze befragt – es ist die größte Studie zu dieser Frage, die es bisher gab. Das Ergebnis: 64 Prozent der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Deutschland wurden bereits beleidigt, tätlich angegriffen oder bedroht. Martin Horn ist unterwegs zu einer Diskussion mit rund 200 Bürgern. Die Gefahr von Attacken ist immer da.
"Wir sitzen jetzt hier in der Straßenbahn, es gibt keine Personenschützer um mich rum. Es gibt Oberbürgermeister in Deutschland per se überhaupt keine weitere Schutzmaßnahmen. Von daher gibt‘s immer ein Risiko, das muss man nicht leugnen und auch nicht schön reden."
Martin Horn, Oberbürgermeister Freiburg
Tatsächlich berichten in unserer Umfrage 59 Prozent der Bürgermeister von Beleidigungen und Übergriffen bei öffentlichen Veranstaltungen.Wir zeigen die Ergebnisse der Umfrage Gewaltforscher Andreas Zick. Er beobachtet mit Sorge, dass sich der Hass immer stärker auf Bürgermeister konzentriert. Der Grund: Sie sind Repräsentanten des politischen Systems – und trotzdem für jedermann greifbar.
"Jetzt sehen wir in der Studie ein ganz dramatisches Element: Es verlässt das Internet, die Angriffe rücken außerhalb des Netzes direkt näher. Menschen suchen gerade diese Person auf, um ihm die Wut an den Kopf zu werfen und sie anzugreifen."
Prof. Andreas Zick, Gewaltforscher, Universität Bielefeld
Diese Attacken gibt es nicht nur in großen Städten. Starkbierfest bei Hauzenberg, einer Gemeinde mit 12.000 Einwohnern im bayerischen Wald. Nichts deutet auf das hin, was Bürgermeisterin Donaubauer kürzlich erleben musste. Auf den ersten Blick scheint die Welt scheint hier noch in Ordnung. Sie wohnt in diesem Haus mit ihrem Mann und ihrem Vater. Als die Gemeinde diskutiert, ob Windräder sinnvoll wären, bekommt ihr Vater einen Brief – mit einer Drohung an die Tochter.
"Sollten die sechs Windräder am Rumansberg doch aufgestellt werden, dann wünsche ich den Ja-Sagern und Grundbesitzern einen brutalen, grausamen und schmerzhaften Krebs, der sie binnen eines Jahres langsam zernagt."
Vater
Er erzählt seiner Tochter zunächst nichts von dem Brief, will sie schützen - aber dann werden die Drohungen konkreter. In der Post: ein Brief mit Rattengift und eine tote Ratte.
"Da ist schon eine bestimmte Angst dabei, dass da noch ein Vorfall passiert – in welcher Form auch immer. Die Angst und die Bedenken sind tägliche Begleiter."
Vater
Anzeigen haben nur selten Konsequenzen
Gudrun Donaubauer lässt sich nicht klein kriegen. Am Sonntag sind Kommunalwahlen in Bayern. Sie tritt an. Sie dagegen zieht sich nach Anfeindungen zurück – Silvia Kugelmann ist seit fast 12 Jahren Bürgermeisterin in einer kleinen Gemeinde bei Augsburg.
Im vergangenen Sommer berichtet sie report München von den Drohungen, die sie bekommen hat: "Verrecken sollst du lieber heute noch als morgen, dich vermisst doch eh keiner."
Damals hat sie noch mit sich gerungen, davon zu erzählen - jetzt spricht sie in Berlin auf einem Podium darüber.
"Ein anderes Mal hatte ich nach einer Sitzung mein Auto komplett mit Kot beschmiert. Das sind Momente, die wünscht man keinem, weil in dem Moment hat man dann auch Angst. Ich wusste nicht was dann letztendlich passiert: Kommt jetzt jemand und schlägt die Windschutzscheibe ein, oder nicht?"
Silvia Kugelmann, Bürgermeisterin Kutzenhausen
Für sie ist nun Schluss. Mit dem Hass fühlte sie sich allein gelassen – nur wenige Bürger hätten sie öffentlich unterstützt. 5 Prozent der Bürgermeister wollen wegen konkreter Bedrohungen nicht mehr antreten – 9 % nennen die Diskussionskultur im Alltag einen der Gründe für den Rückzug.
Freiburgs Oberbürgermeister Martin Horn ist beim Bürgergespräch angekommen. Den direkten Kontakt will er nicht aufgeben, trotz Risiko. Hetze und Beleidigungen zeigt er konsequent an – Folgen hat das aber nur selten.
"Am Ende wurden wenige belangt, weil vieles noch im juristisch tragbaren Raum ist, im Rahmen einer politischen Diskussion. Da kann ich nur den Kopf schütteln und sagen: Also vieles ist da überhaupt keine politische Diskussion, das ist eine Verunglimpfung meiner Frau und meiner Kinder und eine klare Bedrohung von mir und meiner Familie."
Martin Horn, Oberbürgermeister Freiburg
Die Bundesregierung hat die Strafen für üble Nachrede kürzlich verschärft. Aber in der Praxis hat sich für Bürgermeister wie Martin Horn bislang nichts geändert.