Report München


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Kampf gegen die Uhr Wie schnell sind Deutschlands Rettungskräfte?

Innerhalb weniger Minuten müssen sie zur Stelle sein, wenn irgendwo ein Notfall passiert. Doch Recherchen von report München und eine Analyse von BR Data zeigen: Die von den Bundesländern vorgegebenen Rettungszeiten werden immer seltener eingehalten.

Von: Lukas Graw, Johannes Lenz, Benedikt Nabben, Till Rüger

Stand: 13.03.2023

Rettungswagen fährt mit Blaulicht zu einem Einsatzort. | Bild: dpa-Bildfunk/Boris Roessler

In der niederbayerischen Gemeinde Schöfweg bereitet Notfallsanitäter Markus Wagner sein Fahrzeug auf den nächsten Einsatz vor: Er desinfiziert die Trage im hinteren Fahrzeugteil, bestückt den Sanitätsrucksack mit neuen Medikamenten.

Immer bereit sein für den nächsten Einsatz. Es sind nicht viele, hier auf dem Land, aber wenn der Notruf kommt, zählt jede Sekunde.

Hilfsfrist in Bayern: Zwölf Minuten

In Bayern sollen Rettungswagen innerhalb von zwölf Minuten am Einsatzort sein. Die Messung startet, sobald das Fahrzeug in Richtung Notfall aufbricht. Das bayerische Innenministerium hat vorgegeben: Diese sogenannte Hilfsfrist soll in den sogenannten Versorgungsbereichen in 80 Prozent aller Fälle eingehalten werden. Eine Auswertung des Rettungsdienstberichtes 2022 zeigt: Immer weniger Rettungswägen können diese Zeit einhalten.

Waren es im Jahr 2012 noch 92 Prozent aller Einsätze bayernweit, sind es im Jahr 2021 nur noch 87 Prozent gewesen.

In Bayern liegt das besonders an den Einsätzen im ländlichen Raum. Die Daten zeigen: Während in den Großstädten über 100.000 Einwohnern aktuell noch 95 Prozent aller Rettungskräfte pünktlich kommen, schaffen das nur 76 Prozent aller Kräfte in Landgemeinden unter 5.000 Einwohnern - der angestrebte Wert wird also unterschritten.

Immer weniger Rettungsdienste erfüllen die Quote

Notfallsanitäter Markus Wagner ist seit über 20 Jahren im Einsatz, sowohl in der Großstadt München als auch in Niederbayern. Er kennt das Problem: Auf dem Land sind es die weiten Strecken. Ist er in Schöfweg im Dienst, ist er für 80.000 Menschen zuständig - verteilt auf drei Landkreise.

Wenn ein zweiter Anruf kommt, muss ein Team aus der Rettungsstelle des Nachbarbezirks einspringen. Die Fahrtzeit zum Notfallort verlängert sich. Keine Chance, die 12-Minuten-Frist einzuhalten.

Das ist kein Einzelfall - nur zwei Drittel aller Versorgungsbereiche in Bayern können die Quote überhaupt einhalten, ein Drittel braucht im Schnitt länger als zwölf Minuten.

Tendenz zeigt sich in ganz Deutschland

Doch die langen Wege auf dem Land - sie sind nicht das einzige Problem, wie die Analyse von BR Data und Recherchen des ARD-Politikmagazins report München ergeben. Viele Bundesländer liefern Zahlen, die denselben Trend zeigen: Die Quote wird immer seltener erfüllt.

Direkt vergleichen lassen sich die Werte nicht, denn jedes Bundesland legt selbst fest, wann die Ankunft des Rettungsteams pünktlich war. In Bayern sind es zwölf Minuten ab der Abfahrt des Fahrzeugs. In Berlin etwa sind es nur zehn Minuten - und die Stoppuhr läuft bereits ab dem Anruf bei der Notrufzentrale

Dennoch: Die Tendenzen sind überall gleich. Das bestätigt Robert Pohl von der Deutschen Feuerwehrgewerkschaft, die auch für Rettungskräfte zuständig ist: Die Dauer und die Zahl der Einsätze sei bundesweit gestiegen. Und das führe dazu, dass die vorgegebenen Rettungszeiten immer weniger eingehalten werden können.

Das krasseste Beispiel: Berlin. Hier ist die Quote bei der Feuerwehr im Jahr 2021 auf 46 Prozent gesunken. Vor fünf Jahren lag sie noch bei 60 Prozent. Die eigentliche Vorgabe, nur bei jedem zehnten Einsatz länger als zehn Minuten zu brauchen; sie wird seit Jahren verfehlt.

In Berlin sind nicht die Strecken das Problem, sondern die vielen Einsätze, bei denen eigentlich kein Team notwendig wäre.

Leichte Schnittverletzung als Notfall

Heiko Luther ist Notfallsanitäter in der Hauptstadt und schätzt, in 50 Prozent der Fälle sei ein Rettungswagen eigentlich nicht nötig.

Denn viele Menschen rufen den Notarzt schon, wenn sie sich etwa in der Küche in den Finger geschnitten haben, berichtet Luther. Statt sich um echte Notfälle zu kümmern, fühle er sich manchmal wie ein Taxifahrer, bestätigt sein Kollege.

Für viele Einsätze sei eigentlich der ärztliche Bereitschaftsdienst zuständig, nicht der Notruf. Doch für eine echte Schuldfrage seien die Probleme eigentlich zu massiv - und zu zahlreich, sagt Robert Pohl von der Gewerkschaft: Mangelnde Aufklärung, wann die 112 die richtige Nummer ist, völlige Überlastung der Krankenhäuser und des Medizinischen Bereitschaftsdienstes. Nur an einer Schraube zu drehen und lediglich beim Rettungsdienst etwas zu ändern, das würde nur bedeuten, ein Problem von A nach B zu schieben, betont er. Man müsse zeitgleich alle Systeme im Gesundheitssystem verbessern.

Das Bundesministerium für Gesundheit hält sich bedeckt. Auf eine Anfrage von report München kommt nur eine schriftliche Antwort: Das Ministerium bereite derzeit eine Reform der Notfallversorgung vor. So wolle man die verschiedenen Ebenen zukünftig besser miteinander verschränken. Konkrete Pläne oder gar Termine nennt das Ministerium nicht.

Und bis dahin müssen Rettungssanitäter wie Marcus Wagner in Schöfweg und Heiko Luther in Berlin weiter mit den Problemen bei ihren Einsätzen umgehen. Und hoffen, dass sie alle Notfälle rechtzeitig erreichen.

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Oliver Böhm, Mittwoch, 15.März 2023, 12:19 Uhr

4. Veränderte Anforderungen an Rettungsleitstellen

Als Anbieter von Trainings für Notrufleitstellen beobachten wir seit langer Zeit die Veränderungen in der Anforderung, die Anrufer an Notrufleitstellen richten. Wissen zur Unterscheidung von Bagatellen und tatsächlichen Notfällen fehlt aus unterschiedlichen Gründen immer öfter, so dass die Bevölkerung oftmals mit vermeintlich einfachen Situationen überfordert ist und sofort den Notruf wählt. Dieser Veränderung haben die meisten Notrufleitstellen leider noch nicht Rechnung getragen und gehen davon aus, dass die meisten Anrufer tatsächlich einen Notfall melden wollen. Um diese Notfälle besser qualifizieren zu können, setzen die meisten Träger der Notrufleitstellen auf ein standardisiertes Abfragesystem, das aber eben nur standardisierte Fragestellungen erlaubt. Glücklicherweise schwenken immer mehr Leistellen um und bilden auch ihr Personal in Gesprächsführung weiter, um bereits am Telefon besser selektieren zu können. Das aktuelle Rettungssystem wird sonst bald nicht mehr bezahlbar sein

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Matthias Neuner, Mittwoch, 15.März 2023, 08:51 Uhr

3. 3. Personalmangel

Danke an die Report-München-Redaktion erstmal für den guten Beitrag. In dem allem, was sie berichten, kann ich nur zustimmen. Ich selbst komme zwar nicht direkt aus dem Rettungsdienst, kenne jedoch Personen, die dort arbeiten. Was sie aus meiner Sicht komplett aus vor gelassen haben, ist die Problematik des Personalmangels - vom Fachkräftemangel noch gar nicht zu sprechen. Meiner Ansicht nach auch eine sehr zentrale Problemstellung in der Notfallversorgung. Eine Bekannte arbeitet in der Dienstplanung eines großen Dienstleisters des Rettungsdienstes in einer Großstadt in Bayern. Sie erzählt von Problemen, dass einfach nicht mehr genug Personal zur Disposition steht, sodass regelmäßig umherjongliert werden muss und immer öfter ehrenamtliche Helfer eingesetzt werden müssen. Auch dies kann dazu führen, dass in Einzelfällen mittlerweile Rettungswägen für eine Schicht aus dem System genommen werden müssen. Das hat wiederum Auswirkungen bspw. auf die Rettungszeiten.

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Gottfried Mann Rybarz, Dienstag, 14.März 2023, 22:17 Uhr

2. Rettungszeiten werden immer seltener eingehalten

Die Zeiten sind nicht einzuhalten das ist KLAR! 1 Es werden in Städten die Rettung all zu oft wegen Bagatelle Sachen gerufen, die man eigentlich auch mit einer Taxe, wenn nötig in ein KKH erledigen kann oder sogar selber versorgen kann bzw. am nächst Tag bei einem Arzt. 2 Auf dem Land die strecken immer länger weil es immer weniger Rettungswachen gibt da sie zentralisiert wurden. Das System kaputt gespart wird u a unter Beteiligung der Kassenärztlichen Vereinigung welche sowie so utopische Vorstellungen hat von der ärztlichen Versorgung auf dem Land.In Zukunft wird das noch katastrophaler, wenn der GM mit seinen Plänen durch kommt. Nur besser wird es nicht auch weil Erwartungshaltung der Bevölkerung gegenüber dem Rettungsdienst völlig idiotisch ist und das system an seine grenzen bring durch ihr verhalten!

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Jan Osnabrügge, Dienstag, 14.März 2023, 13:11 Uhr

1. Kampf gegen die Uhr

Demographischer Wandel, Veränderung der Erwartungshaltung der Bevölkerung gegenüber dem Rettungsdienst sind seit längerer Zeit in aller Munde. Hoffentlich setzt sich der Beitrag auch kritisch mit der stetigen Verschlechterung der Erreichbarkeiten der Menschen durch Geschwindigkeitsbegrenzungen wie den politisch so beliebten Tempo 30 Zonen auseinander. So schnell, wie heute fast in jedem Dorf Tempo 30 Zonen, Spiel- und Wohnstraßen eingerichtet werden, können keine Rettungswachen gebaut werden. Werden dann tatsächlich doch noch weitere Wachen errichtet, ist der Mörtel dieser Baustellen noch nicht richtig trocken und es entstehen durch Kreisverkehre, Tempo 30 Zonen und Blumenkübel auf den Straßen neue Versorgungslöcher, die nicht mehr in den politisch definierten Eintreffzeiten erreicht werden können. Natürlich dienen alle Maßnahmen der Unfallverhütung, Lärmvermeidung und dem Umweltschutz. Nur für die schnelle Rettung im Notfall sind diese Maßnahmen schlicht Gift.

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