ARD alpha - Klassiker der Weltliteratur


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Klassiker der Weltliteratur Virginia Woolf - "Mrs. Dalloway"

Sie war selbstbestimmt, klug und eine erstaunliche Schriftstellerin. Virginia Woolf war eine der ersten, die den Bewusstseinsstrom in die Literatur brachten und dafür ganz eigene Worte fand. Mit "Mrs. Dalloway" ist ihr ein Meilenstein der modernen Literatur gelungen.

Stand: 12.07.2016 | Archiv

Hörspiel Pool Download "Orlando. Eine Biographie": Virginia Woolf | Bild: picture-alliance/dpa

Virginia Woolf, geborene Stephen, kam 1882 in London zur Welt und wuchs in einer typisch viktorianischen Familie auf. Die Mutter war der "Engel im Haus", der Vater der berühmte Historiker Leslie Stephen. Beide Eltern waren zuvor bereits einmal verheiratet. Die zwei Stiefbrüder aus der ersten Ehe der Mutter waren erheblich älter als Virginia und vergingen sich über mehrere Jahre sexuell an der kleinen Halbschwester.

Literarische Lichtblicke zwischen dunklen Schatten

Diese Übergriffe verstärkten Virginia Woolfs Veranlagung zu Schwermut und Depressionen. Ihr Mann Leonard Woolf, den sie 1912 heiratet, unterstützt sie nach Kräften und hält ihr den Rücken frei. Zwischen Phasen großer Verzweiflung schrieb sie Romane, die sie als scharfsinnige Beobachterin und kluge Erzählerin mit einer eigenen Stimme zeigen. Doch ihre dunklen Zeiten dauern immer länger und werden häufiger, kein Arzt kann wirklich helfen. Am 28. März 1941 ertränkt sie sich im Fluss vor ihrem Haus.

Ein Tag im Leben der Clarissa Dalloway

"Mrs. Dalloway" behandelt einen Tag im Leben der 50-jährigen Clarissa Dalloway, der Frau eines Parlamentsabgeordneten. Sie verbringt den Tag mit Besorgungen für einen großen Empfang, den sie und ihr Mann am Abend geben werden. In der Stadt trifft sie den überraschend früher zurückgekehrten Kolonialoffizier Peter Walsh, ihre Jugendliebe. Die Begegnung löst Erinnerungen aus. Die Glockenschläge der Turmuhr von Big Ben strukturieren Clarissa Dalloways Tag bis zur Party. Und immer wieder schweifen ihre Gedanken in die Vergangenheit ab.

"Mrs. Dalloway sagte, sie wolle selber gehn und die Blumen kaufen.
Denn Lucy hatte alle Hände voll zu tun. Die Türen würden ausgehängt; und die Männer von Rumpelmeyer kämen. Und was für ein Morgen, dachte Clarissa Dalloway, - so frisch, wie Kindern auf einem Strand beschert.
Was für ein Spaß! Was für ein Kopfsprung! Denn so hatte sie es immer empfunden, wenn sie in Bourton die Glastür, deren leises Quietschen in den Angeln sie jetzt noch hören konnte, aufstieß und sich förmlich in die Luft hinausstürzte. Wie erfrischend, wie still, ruhiger als hier, natürlich, die Luft am frühen Morgen gewesen war; wie der Klaps einer Welle; wie der Kuß einer Welle; frostkühl und scharf und doch (für eine Achtzehnjährige, die sie damals war) feierlich, denn sie hatte, während sie in der offenen Tür stand, das Gefühl, es bereite sich etwas Ehrfurchtgebietendes vor; während sie auf die Blumen, auf die Bäume blickte, von denen sich der leichte Nebel loswand und die Krähen aufflogen, um sich gleich wieder niederzulassen; während sie stand und schaute, bis Peter Walsh sagte: 'Mit den Gedanken im Gemüse?' - das? - oder: 'Mir sind Menschen lieber als Kohlköpfe' - das? Er mußte es einmal nach dem Frühstück gesagt haben, als sie auf die Terrasse hinausgegangen war, - Peter Walsh! Er sollte dieser Tage aus Indien zurückkommen, im Juni oder Juli, sie hatte vergessen wann, denn seine Briefe waren schrecklich öde; seiner Aussprüche, deren erinnerte man sich; seiner Augen, seines Taschenmessers, seines Lächelns, seiner Brummigkeit und, wenn doch Millionen Dinge versunken und vergessen waren, - wie sonderbar! - einiger Aussprüche wie dieses über Kohlköpfe."

(Virginia Woolf: Mrs. Dalloway. Übersetzt von Herberth und Marlys Herlitschka)


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