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Campus Reportage - Zukunft Jugend Nehmen ohne zu geben? Die Suche nach Verantwortung

Trotz zunehmenden Zeitdrucks und immer mehr Wahlmöglichkeiten, sind viele junge Menschen bereit sich sozial zu engagieren. Was sind ihre Motive und ihre Ziele? Wie organisieren sie ihr „soziales“ Leben im Alltag zwischen Studium, Job und immer weniger Freizeit?

Von: Martin Hardung

Stand: 07.11.2019

Am Beispiel von drei Jugendlichen aus Bayern, die in verschiedenen Bereichen und auf unterschiedliche Weise Verantwortung übernehmen, gibt der Film Einblick in die Welt Jugendlicher, in der das Engagement für andere ganz einfach dazu gehört.

Andreas ist 23 und studiert Geschichte und Theologie in München und ist in der Katholischen Landjugend engagiert, seit kurzem sogar im Vorstand. Er gehört zur Mehrheit der Jugendlichen, die ein grundsätzliches Interesse daran bekunden, was in der Gesellschaft „abgeht“. Zugleich gehört er aber auch zur eher kleinen Gruppe derer, die bereit sind, ein längerfristiges und regelmäßiges Engagement in einer Organisation zu übernehmen. Andreas kommt vom Land und ist in die Verbandsarbeit „irgendwie reingeschlittert.“ Anfangs ging es ihm, wie den meisten, um die Gemeinschaft mit anderen Jugendlichen. Doch allmählich wuchs sein Wunsch, nicht nur zu debattieren, sondern selbst dazu beizutragen, dass sich etwas ändert in der Gesellschaft.

Laura ist 19 und hat vor kurzem in München Abitur gemacht. Damit stehen ihr viele Wege offen, doch sie weiß noch nicht genau, wo es für sie beruflich hingehen soll. Jetzt macht sie erst einmal ein Freiwilliges Soziales Jahr - auch in der Hoffnung, in dieser Zeit für sich selbst Orientierung zu finden. Im Münchener Blindeninstitut betreut sie Kinder, die mehrfach behindert und auf die Hilfe anderer angewiesen sind. Eine Herausforderung für Laura und eine ganz neue Erfahrung: Verantwortung übernehmen - für sich und für andere. Die Arbeit ist anstrengend und wenn sich Laura abends in ihr „Kontrastprogramm“, ihr eigenes Leben, stürzt, ist sie ziemlich erschöpft - aber auch erfüllt davon, dass das, was sie tut, Sinn macht.

Burak ist 22 und gehört zu den 40 Prozent Jugendlicher, die sich nicht in einem Verein oder in anderen verpflichtenden Strukturen einbringen wollen. Wie viele junge Menschen kann er sich neben dem Studium zum Wirtschaftsingenieur an der Hochschule München und seinem Job als Taxifahrer nicht auch noch andere verpflichtende Tätigkeiten „aufhalsen“. Aber Null Verpflichtung heißt für ihn noch lange nicht Null Engagement. Burak engagiert sich „projektbezogen“, also dort, wo er konkret gebraucht wird. Buraks Familie stammt aus der Türkei. Er hat es als erster über Umwege bis zum Abitur und jetzt an die Uni geschafft. Sein „Projekt“ ist es, andere beim sozialen Aufstieg mitzunehmen. Er vertritt die Eltern in der Sprechstunde, setzt sich dafür ein, dass es seine Brüder aufs Gymnasium schaffen oder hilft seinem Vater bei allen Behördengängen. Burak ist beseelt von einem Gedanken, der auch seinem muslimischem Glauben entspricht: Es ist wichtig und es macht Freude, dem Nächsten zu helfen, wo immer es geht - auch über die Familie hinaus, etwa an der Hochschule, wo Burak Kommilitonen kostenlos Nachhilfe gibt. Wenn er sich bewährt, macht ihn das stolz auf seine Leistung und bestätigt auch seinen Weg, allen Problemen zum Trotz.

Auch wenn sich die drei jungen Protagonisten in ganz unterschiedlichen Bereichen engagieren, in ihrer Haltung und ihren Ansichten spiegeln sich Werte und eine Einstellung zur Gesellschaft, wie sie nach Erkenntnissen der Shell-Jugendstudie 2010 von vielen Jugendlichen geteilt werden. Auch von denen, die nicht so aktiv wie die im Film Portraitierten Verantwortung übernehmen. Etwa zur Leistungsgesellschaft, Umwelt oder sozialen Gerechtigkeit.

Eine Fragestellung, die im Film beständig mitschwingt ist: Lohnt es sich, sich zu engagieren? Dass die drei Protagonisten bereit sind, aktiv Verantwortung zu übernehmen, legt nahe, dass sie die Frage positiv beantworten. Doch wie sie dazu kommen, ist Teil der Geschichte, die der Film erzählt.

Verantwortung zu übernehmen ist wichtig.

Das beginnt bei der Verantwortung für einen selbst, den Entscheidungen, die Jugendliche auf ihrem individuellen Bildungs- und Berufsweg treffen müssen. Verantwortung für andere oder eine „gute Sache“ zu übernehmen, erwächst aus den Wertvorstellungen der Jugendlichen. Aber auch aus dem Spielraum, der ihnen bleibt in einer globalisierten Welt mit wachsenden Anforderungen. Durch die Aufgaben, die sie übernehmen, unterziehen sich die Protagonisten mit ihren Wertvorstellungen einem Praxistest. Die Aufgabe konfrontiert sie mit ihren Stärken und Schwächen. Kein Engagement ganz ohne Risiko. Auch Scheitern ist möglich, in Konflikt kommen mit den eigenen Wertvorstellung, an Grenzen stoßen: Bin ich der Aufgabe gewachsen? Und was bringt das Engagement für mich selbst?

Unterschiedliche Formen und Tiefe des Engagements

Gesellschaftliches Engagement wird in wissenschaftlichen Studien an verschiedenen Feldern und unterschiedlichen Erscheinungsformen festgemacht. Neben dem Aspekt, neue Erfahrungen zu machen, ist die Suche nach Gemeinschaft die Hauptmotivation für Jugendliche, sich sozial zu engagieren und sich Organisationen anzuschließen. Die Mitgliedschaft in einem Verein bedeutet aber nicht notwendigerweise ein so weitgehendes Engagement, wie es etwa Andreas bei der Katholischen Landjugend an den Tag legt oder Laura in ihrem Freiwilligen Sozialen Jahr.

Die grundsätzliche Bereitschaft der Jugendlichen, sich an einer gesellschaftlich relevanten „Sache, die ihnen persönlich wichtig ist“, zu beteiligen oder ihre Meinung kund zu tun, ist hoch. 77% der deutschen Jugendlichen, so die repräsentative Shell-Jugendstudie, würden sich an Unterschriftsaktionen beteiligen, 54% den Kauf einer Ware aus politischen, ethischen oder Umweltgründen boykottieren und 44% sich an Demonstrationen beteiligen.

Die tatsächliche Bereitschaft, Zeit und Energie zu investieren, ist demnach sehr unterschiedlich ausgeprägt. Es gibt aber auch eine große Bandbreite an Möglichkeiten, sich zu engagieren und das Engagement den aktuellen Lebensumständen anzupassen. Und: für die Jugendgeneration von heute – sie wird in Studien auch als „utilitaristisch“ bezeichnet - ist soziales Engagement keine Einbahnstraße. Geben und Nehmen sollten ausgeglichenen sein, beide Seiten etwas davon haben.

Egoistische Jugend? Wertvorstellungen und Gesellschaft

Für einen Großteil der Jugendlichen in Deutschland ist es wichtig, einen gangbaren Weg durch Schule, Ausbildung oder Studium zu finden, um sich einen Platz in der Gesellschaft zu sichern. Durch gestiegene Erwartungen und entsprechendem Leistungsdruck, konzentrieren sich viele vor allem auf das eigene Fortkommen, denn sie wollen nicht zu denen gehören, die in der Wissensgesellschaft scheitern. Davon abzuleiten, dass „die Jugend von heute“ egoistischer wäre, ist nicht angebracht. Sie ist – wie schon die Shell-Jugendstudie 2006 konstatierte – vor allem pragmatischer und skeptischer als andere Generationen vor ihr. Anders als die Protestgeneration der 68er oder auch die der 80er Jahre, glaubt die heutige Generation der Jugendlichen eher an den Erfolg der kleinen Schritte als an revolutionäre Veränderungen. Und wenn Jugendliche demonstrieren, dann stehen Themen und Werte ganz oben, für die auch ihre Eltern auf die Straße gehen, wie Umwelt- und Verbraucherschutz und vor allem der Kampf gegen die Klimaerwärmung.

Die 30minütige Dokumentation in der Reihe „Zukunft Jugend“ zeigt Jugendliche, die in ihrem Umfeld Verantwortung übernehmen. Die Aufgaben, denen sie sich stellen, entspringen keiner Verpflichtung sondern der eigenen Entscheidung. Der Film begleitet die Jugendlichen bei ihrem sozialen Engagement und zeigt Schnittstellen zu ihrer privaten Welt, Job und „Karriere“. Über die individuellen Lebenswege hinaus werden Werte erkennbar, die typisch sind für diese junge Generation.

Einblicke in das soziale Engagement Jugendlicher heute

Andreas kommt vom Land und ist in die Verbandsarbeit „irgendwie reingeschlittert.“ Seine Eltern betreiben mit einer Straußenfarm Landwirtschaft als Nebenerwerb und leben in einer ganz anderen Welt als ihr Sohn. Andreas kommt durch seine Arbeit im Vorstand der Katholischen Landjugend- bewegung mit Menschen und Organisationen in Kontakt, die in der Gesellschaft eine Rolle spielen und er wird selbst schon als Referent bei Veranstaltungen gebucht. Für Andreas, der inzwischen auch Theologie fürs Lehramt studiert, war die Kirche nur mittelbar der Anlass dafür, sich der Katholischen Landjugend anzuschließen. Ausschlaggebend war für ihn, wie für die meisten, die Suche nach Gemeinschaft mit anderen Jugendlichen.

Heute ist es ihm wichtig, nicht nur zu debattieren, sondern selbst dazu beizutragen, dass sich etwas ändert in der Gesellschaft und auch in der Kirche. Andreas möchte seinen Glauben im Alltag umsetzen. So demonstriert er gegen Atomkraft-Technologie, weil er sie für „unverantwortlich“ hält und nicht vereinbar mit der Schöpfung. Und obwohl sich Andreas zum Christsein bekennt, steht er wie viele seiner Generation hierarchischen Organisationen skeptisch gegenüber. Und dazu gehören für ihn zum Beispiel große Konzerne aber auch die Kirche.

Laura stehen viele Wege offen, ganz im Gegensatz zu den behinderten Kindern, die sie im Münchener Blindeninstitut betreut. Diese Diskrepanz empfindet die Abiturientin oft, wenn sie „zufrieden aber k.o.“ aus der Arbeit kommt, eine Arbeit, die von ihr hohe Präsenz und auch körperlichen Einsatz fordert. Laura braucht dann ein Kontrastprogramm um abzuschalten, sei es beim Sport mit ihrer Freundin oder im Gespräch mit ihrer Mutter, mit der sie zusammen wohnt und zu der sie – wie die Mehrheit der Jugendlichen heute – ein gutes Verhältnis hat.

Laura könnte sich vorstellen, ihren Beruf mit etwas Sozialem zu verbinden, weiß aber noch nicht genau, was sie studieren soll. Bei der Studienberatung an der Ludwig Maximilians Universität bekommt sie Rückenwind für ihre Entscheidung zu einem freiwilligen Sozialen Jahr. Diese „Auszeit“ ist für die berufliche Karriere kein Umweg. Sie ist eine Orientierungsphase, durch die sich Fehlentscheidungen vermeiden lassen und in der selbständiges Arbeiten und soziale Kompetenzen geübt werden können. Das sind Werte, die auch in Unternehmen zählen.

Burak, dessen Eltern aus der Türkei kamen, um als ungelernte Arbeiter ihren Lebensunterhalt in Deutschland zu verdienen, setzt sich dafür ein, dass seine kleinen Brüder den Übergang aufs Gymnasium schaffen. Er vertritt die Eltern in der Sprechstunde oder hilft seinem Vater beim Ausfüllen von Formularen. Auch seinem Glauben entsprechend möchte Burak „dem Nächsten“ helfen, wo immer es geht, in der Familie aber auch darüber hinaus, zum Beispiel an der Hochschule, wo er Kommilitonen kostenlos Nachhilfe gibt. Burak beobachtet eine Individualisierung in der Gesellschaft, die zur Entsolidarisierung und Vereinsamung von Menschen führt. Auch an der Uni sieht er solche Tendenzen, Konkurrenzkampf statt gemeinsames Lernen, -das sind andere Erfahrungen als sie Burak in der Türkischen Community macht. Andererseits: Für ihn ist klar, dass er den sozialen Aufstieg nur über Bildung schaffen kann. Und so kommt bei ihm das Studium an erster Stelle und dann sein Job, um es zu finanzieren. Freizeit bleibt ihm da kaum, Burak steht oft „unter Strom“, um alles zu schaffen.

Doch wenn er sich bewährt, macht ihn das stolz auf seine eigene Leistung und bestätigt seinen Weg. Nur in dem Maße, wie er selbst erfolgreich ist, kann er andere in seinem Umfeld „mitziehen“. Dass ihm das bisher allen Schwierigkeiten zum Trotz gelungen ist, stellt für ihn eine Quelle der Motivation dar, sich für andere auch weiterhin einzusetzen.

Ergebnisse der Shell-Jugendstudie 2010

Andreas, Laura und Burak gehen ihren individuellen Weg, sowohl in ihrem sozialen Engagement für andere als auch beruflich für sich selbst. Sie haben dabei einen unterschiedlichen familiären und sozialen Hintergrund. Dennoch stehen sie in vielen Aspekten für ihre Generation, mit ihren Lebensentwürfen und Wertvorstellungen. Weder Laura noch Burak sind gesellschaftlich im Sinne von politisch engagiert. Doch auch sie beobachten sehr wohl, was in der Gesellschaft vor sich geht und haben ein Gespür für soziale Schieflagen oder ungleich verteilte Chancen. Andreas gehört zur eher kleinen Gruppe junger Menschen (15%), die sich aktiv auch im „gesellschaftspolitischen“ Kontext einbringt. Zugleich gehört er zu den rund 20% der Jugendlichen, die sich als aktiv religiös bezeichnen. Doch die Werte und Themen - allem voran der Umwelt- und Verbraucherschutz -, für die er in seinem Verband eintritt, sind für einen Großteil der Jugend heute relevant.

Jugendliche heute, so lassen wissenschaftliche Studien schließen, sind skeptischer als frühere Generationen im Blick darauf, was der Einzelne in der Gesellschaft bewirken kann. Aber sie sind nicht grundsätzlich weniger engagiert. Doch wenn sie Verantwortung übernehmen, muss das kompatibel sein mit ihren Lebenszielen und mit den Erfordernissen und Ansprüchen, die die Gesellschaft in der globalisierten Welt an sie stellt. Engagement hat einen (Gegen-)Wert. Nehmen ohne zu geben? Auf ihrer Suche nach Verantwortung machen die drei Protagonisten des Films auf je eigene Weise die Erfahrung, dass und warum es sich lohnt sich, sich für andere einzusetzen und Verantwortung zu übernehmen.


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