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Prof. Dr. W. Daniel Wilson, Germanist Goethe in der Nazi-Zeit

Wie wurde Goethe im Dritten Reich rezipiert? An dem großen deutschen Dichter und Denker kamen auch die Nazis nicht vorbei.

Published at: 15-4-2023

Im Grunde gab es zwei Goethes: Den liberalen, aufgeklärten, pazifistischen Weltbürger, der außerdem `Judenfreund´ war. Das ist der Goethe, den wir heute kennen. Er wurde von den Rechten abgelehnt. Doch zunehmend sahen die Nationalsozialisten die Notwendigkeit, auch Goethe für die kulturelle Außenwirkung des Dritten Reichs einzuspannen, anstatt ihn abzulehnen. So propagierten sie einen anderen Goethe, der schon längst von Konservativen und Völkischen vereinnahmt worden war: Den autoritären, den nationalistischen Goethe, der Krieg befürwortete und vor allem Antisemit war. W. Daniel Wilson erläutert dies an einigen Beispielen in seinem Talk.

Seit einigen Jahren forscht Daniel Wilson zur Geschichte der Goethe-Gesellschaft vor allem im „Dritten Reich“ (erscheint voraussichtlich 2018 bei DTV). Die Untersuchung schöpft aus den reichen Beständen des Bundesarchivs (Berlin), aus dem Deutschen Literaturarchiv (Marbach), dem Landesarchiv Thüringen/Hauptstaatsarchiv Weimar und vor allem aus dem Goethe- und Schiller-Archiv (Weimar). Die Arbeit beschreibt die Verstrickung der Goethe-Gesellschaft und die zunehmende Privilegierung Goethes in der internationalen Kulturpolitik des Regimes. Ein besonderes Anliegen der Studie ist der Blick auf die jüdischen Mitglieder.

W. Daniel Wilson studierte in Berlin und Göttingen, wurde an der Cornell University (USA) promoviert und lehrte fünf Jahre in Kanada, bevor er 1983 als Germanistikprofessor nach Berkeley berufen wurde. 2006 ging er ans Royal Holloway College der Universität London, wo er unter anderem die Zeitschrift der English Goethe Society mit herausgibt. 2016 erhielt Wilson den Reimar-Lüst-Preis für internationale Wissenschafts- und Kulturvermittlung der Alexander von Humboldt-Stiftung. Er hat auch in deutscher Sprache Bücher und Aufsätze zur Literatur und Geschichte des 18. und frühen 19. Jahrhunderts und speziell zu Goethe veröffentlicht.

Zu Wilsons bekanntesten Büchern zählen:
- Geheimräte gegen Geheimbünde: Ein unbekanntes Kapitel der klassisch-romantischen Geschichte Weimars (Metzler, 1991)
- Das Goethe-Tabu. Protest und Menschenrechte im klassischen Weimar (DTV, 1999)
- Unterirdische Gänge. Goethe, Freimaurerei und ­Politik (Wallstein, 1999)
- Goethe Männer Knaben. Ansichten zur ‚Homosexualität‘ (Insel, 2012)
- Goethes Erotica und die Weimarer ‚Zensoren‘ (Wehrhahn, 2015)


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