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Historischer Rückblick Studentenproteste - Wartburg, Spontis, Generation Z

Wenn Studenten protestieren, geht's gern progressiv zu. Doch Studentenproteste haben Tradition. Wir zeigen die wichtigsten Protestbewegungen: von den Burschenschaftlern, über "68" bis zum Bildungsstreik.

Author: Michael Bauer

Published at: 16-4-2018

Sie lehnen sich auf - gegen Autorität

450 Studenten fast aller deutscher Universitäten zogen am 18. Oktober 1817 von Eisenach zur Wartburg. Dort feierten sie 300 Jahre Reformation und gedachten der Leipziger "Völkerschlacht" von 1813. Das Wartburgfest gilt als erste deutsche Studentenbewegung und war eine religiös-nationale Feier, auf die deutsche Burschenschafter mit Hinweis auf Schwarzrotgold und die Parole "Freiheit und Gerechtigkeit" bis heute stolz sind. Man feierte Deutschlands "Ruhm und Ehre". Anschließend verbrannten Studenten 28 Bücher, darunter den Code Napolèon. Am 10. Mai 1933 war es die "Deutsche Studentenschaft", die in Universitätsstädten Bücher wider den undeutschen Geist verbrannte.

Protestbewegungen an der Uni

Die Töchter und Söhne jener Generation revoltierten in den späten Sechzigern gegen das nationalistische Gedankengut ihrer Eltern, gegen das vom Dritten Reich nachhaltig geprägte deutsche Bildungssystem und gegen jede Form autoritärer Herrschaft. Der Besuch des Schahs von Persien und die Springer-Presse beschleunigten die Politisierung der Studenten in Deutschland. Aus braven, ordentlich gekleideten Frauen und Männern mit Kurzhaarschnitt und Krawatte wurden Studentinnen in Miniröcken oder Jeans und Studenten mit langen Haaren und Bärten. Eine ihrer Parolen war "Unter den Talaren Muff von 1000 Jahren".

Schriftsteller Uwe Timm als Zeitzeuge

Der Schriftsteller Uwe Timm veröffentlichte 1974 einen Roman über jene Jahre: "Heisser Sommer“. Darin erzählt er von der Verquickung des Privaten mit dem Politischen, des Individuellen mit dem Kollektiven dieser Protestbewegung – ein Charakteristikum der damaligen Studentenbewegung. Weder das Studium der Einzelnen noch ihr Lebensstil, ihre Mode oder Sexualität und Partnerschaft waren privat.

Alles war politisch und "die Gesellschaft" musste ideologisch für fast alles herhalten. Begriffe wie "Elite" oder "Vererbung" wurden als reaktionär empfunden. Aus der nationalistisch intonierten Parole "Freiheit und Gerechtigkeit" des Jahres 1817 waren Ende der 1960er-Jahre "Sponti"-Sprüche geworden. In seinem Roman "Der Freund und der Fremde" verarbeitt Timm seine Freundschaft zu Benno Ohnesorg, mit dem er Anfang der 60er-Jahre das Abitur auf dem Braunschweig-Kolleg nachholte. Während Timms Studium hatten sich die beiden dann aus den Augen verloren, und Timm hörte das nächste mal von seinem früheren Mitschüler, als die Medien über dessen Tod berichteten.

Bücher von Uwe Timm über die 68er-Bewegung

Heißer Sommer: dtv München 2001. ISBN 3-423-12547-0. Der Freund und der Fremde: Kiepenheuer und Witsch Köln 2005. ISBN 3-462-03609-2.

Wer sind die Studierenden von heute?

Der Bildungsstreik von 2009 ließ zwei Lager erkennen: Einerseits die politisch engagierte Studentenschaft: "Bei den Banken sind sie fix - für die Bildung tun sie nix!". Andererseits die eher individualistisch denkende Generation Y, also die, die angeblich hinter allem und jedem den eigenen Nutzen suchen und ständig unbequem nach dem Warum fragen - dem englischen "why". Wie agieren wohl künftig die Studenten der Generation Z , die nach 2000-Geborenen? Die mit Nintendo, Smartphone und Tablet groß gewordenen.

Generation Z

Diese Generation will mehr sein als ihre Schulnoten, mehr als jene "Kinder der Stille" wie sie die Wochenzeitschrift Der Spiegel nennt und sich auf den Studierendensurvey 2014 beruft. Nur mehr 24 Prozent der Studentenschaft hielt 2013 Politik für "sehr wichtig". Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt der Autor Christian Scholz in seinem Buch "Generation Z. Wie sie tickt, was sie verändert und warum sie uns alle ansteckt". Diese Generation Z sei geprägt und desillusioniert durch die Wirtschafts- und Finanzkrise: "Sie wächst auf mit Massenentlassungen und Leiharbeit auf der einen Seite und zweistelligen Millionengehältern bei Vorständen auf der anderen Seite." Wie fragwürdig allerdings ist jede zeitnahe Einschätzung einer Altersgruppe und ihre Etikettierung. Auch Umfragen unter Studierenden können nur Momentaufnahmen sein.

Aktueller Buchtipp: "Gab es 1968?- Eine Spurensuche" von Armin Nassehi

Am 2. Juni 1967 wird Benno Ohnesorg erschossen, im Herbst 1969 wird Willy Brandt Bundeskanzler. Chronologisch dazwischen: das Jahr 1968 – mit dem Internationalen Vietnamkongress im Februar und dem Attentat auf Rudi Dutschke Anfang April, beide Ereignisse in Berlin. So weit, so unbestritten – auch für Armin Nassehi. Weniger naheliegend und keineswegs eindeutig zu beantworten, sind dagegen die Fragen, die sich der Autor in »Gab es 1968? Eine Spurensuche« im Hinblick auf die Bedeutung seines Gegenstands stellt: Was waren die gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen, die »1968« überhaupt hervorgebracht haben? Wie verhält sich das kurze Geschehen der Studentenrevolte 1967 bis 1969 zu den langfristigen Wirkungen von »1968«? Wann war »1968« zu Ende, und was ist davon bis heute geblieben?

»Gab es 1968? Eine Spurensuche« begibt sich in den Dialog mit den gesellschaftlichen und kulturellen Effekten der Geschehnisse um 68. Nicht die historisch detailgetreue Nachbildung des Geschehenen steht im Mittelpunkt, sondern eine soziologische Analyse der Kräfteverhältnisse unserer Gegenwart – und auch die Frage, wann das Provokative, das 1968 im Kern definierte, heute verstummt.

232 Seiten gebunden mit Schutzumschlag Euro 20,- (D), Euro 20,60 (A)
ISBN: 978-3-96196-008-8 E-Book: 9,99 (D) ISBN: 978-3-96196-009-5

Erscheinungstermin: 20. April 2018 in der kursbuch.edition

Über den Autor Armin Nassehi

Armin Nassehi, geboren 1960 in Tübingen, ist Professor für Soziologie an der Ludwig- Maximilians-Universität in München. Er hat Philosophie, Soziologie, Erziehungswissenschaften und Psychologie studiert und arbeitet heute auf den Gebieten der Politischen Soziologie, der Kultur-, der Organisations-, der Wissensund der Religionssoziologie. Nassehi hat zahlreiche Bücher und Aufsätze verfasst und mischt sich auch aktiv in öffentliche Debatten ein. Neben seiner akademischen Tätigkeit ist er zugleich als Berater und Redner in Unternehmen und Verbänden unterwegs. Seit Herbst 2011 ist er neuer Herausgeber des Kursbuches.

Weitere Infos unter kursbuch.edition.

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