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Dr. Luisa T. Schneider, Anthropologin "Leben ohne Privatsphäre" - Was Wohnungslose über unsere Gesellschaft sagen

Was würde es für Ihr Leben bedeuten, wenn Sie ihre Wohnung verlieren? Sozialwissenschaftlerin Luisa Schneider vom Max-Planck-Institut für Sozialanthropologie in Halle erforscht, wieviel Privatsphäre Wohnungslose haben. Ihr ist gelungen ein fundamentales Problem unserer Zeit aufzudecken.

Von: Andrea Roth

Stand: 20.07.2020

Der Wohnungsverlust, ein Szenario, das für immer mehr Menschen aus allen soziokulturellen und ökonomischen Hintergründen Wirklichkeit wird, ist der Ausganspunkt der anthropologischen Grundlagenforschung von Dr. Luisa T. Schneider. Auf Basis langfristiger, teilnehmender Beobachtungen mit wohnungslosen Menschen in Leipzig und einer Rechts und Politikanalyse, ist es ihr gelungen ein fundamentales Problem unserer Zeit aufzudecken:

Während immer mehr Menschen keine Wohnung haben, sind zahlreiche Grund-, Persönlichkeits- und Menschenrechte an mietrechtlich abgesicherten Wohnraum geknüpft. Diese Problematik untersucht Dr. Schneider anhand der Rechte auf Privatsphäre und Intimität. Diese Rechte setzen voraus, dass privater und öffentlicher Raum durch die Wände eines Zuhauses getrennt sind. Eine Wohnung wird somit zur Bedingung der Erfüllung fundamentaler Bedürfnisse wie Liebesbeziehungen, Familie oder Elternschaft.

Was passiert also, wenn Menschen kein eigenes Zuhause haben, keine Wände, um die Bedingungen zu schaffen, unter denen Intimität gelebt werden kann? Wer sind die „Wohnungslosen“ wirklich und was sagen uns die Wege in und aus der Wohnungslosigkeit und das Leben wohnungsloser Menschen über unsere heutige Gesellschaft? All diesen Fragen geht sie auf den Grund.

Dr. Luisa T. Schneider ist Anthropologin am Max-Planck Institut für ethnologische Forschung in Halle (Saale). Ihre Arbeit konzentriert sich auf die Anthropologie von Intimität, Gewalt und Recht und ist von dem Anliegen getrieben, nicht nur die Wissenschaft voran zu bringen, sondern im Dialog mit Forschung und Praxis Wege zu finden, damit die Gesellschaft von den gewonnenen Erkenntnissen profitieren kann. In ihrem aktuellen Projekt begleitet sie wohnungslose Menschen über mehrere Jahre hinweg durch ihren Alltag um das Leben aus ihrer Perspektive zu verstehen und aufzuzeigen, wie diese Intimität ohne die Privatsphäre leben können, die an mietrechtlich abgesicherten Wohnraum geknüft ist. Sie studierte Anthropologie, Internationale Entwicklung und Journalismus in Wien und Berlin und promovierte in Oxford, wo sie Gewalt in intimen und familiären Kontexten und ihre Regulierung in Sierra Leones komplexem, pluralistischem Rechtssystem untersuchte. Sie absolvierte Gastaufenthalte am Zentrum für Afrikastudien der Universität Kopenhagen und bei DIGNITY, dem dänischen Institut gegen Folter. Dr. Schneider wurde für ihre Arbeit vielfach ausgezeichnet und publiziert sowohl für Wissenschaft als auch Öffentlichkeit um die Ergebnisse einer breiteren Leserschaft zugänglich zu machen.


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