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Mit Partitur und Taktstock Karrierestart als Dirigentin

Welchen Weg müssen junge Musikerinnen gehen, um ihren Traum vom Dirigieren zu verwirklichen? Die Antwort gibt uns Anna Handler. Die 24jährige wird von Oksana Lyniv gefördert. Lyniv war Chefdirigentin an der Oper Graz und wird 2021 als erste Frau bei den Bayreuther Festspielen dirigieren.

Von: Florian Kummert

Stand: 28.11.2020

Stock in der Hand, die Partitur auf dem Pult und im Blick das gesamte Orchester - so steht der Dirigent oft im Mittelpunkt bei klassischen Konzerten. Und legendäre Dirigenten haben große Karrieren gemacht: Herbert von Karajan, Kurt Masur, Carlos Kleiber, Leonard Bernstein, Mariss Jansons, Daniel Barenboim. Männer, allesamt. Denn Frauen als Dirigentinnen sind immer noch die große Ausnahme.

Dirigieren allein ist schon schwer genug. Aber dirigieren und gleichzeitig Klavierspielen - diese seltene Doppelkunst beherrscht Anna Handler.

"Für mich ist es ein Grundbedürfnis, mich auf meinem Instrument ausdrücken zu können. Ich kann nicht von Musikern etwas verlangen, was ich selber nicht ausführen oder in Tönen kommunizieren könnte. Ich möchte in Tönen sprechen können. Aber das ist ein sehr langer Prozess, verbunden mit sehr viel Disziplin und vielen Wiederholungen. Ich vergleiche das gern mit Leistungssport: jeden Tag mehrere Wochen dieselben Abläufe, bis der Körper die Musik verinnerlicht hat. Dann übernimmt der Geist, er ist dann frei und spontan in seinen Entscheidungen und kann bei jeder Aufführung eine neue Version kreieren."

Anna Handler, Pianistin und Dirigentin

Anna Handler, Pianistin und Dirigentin, zusammen mit ihrer Schwester Laura, Violonistin

Anna wuchs in München in einem deutsch-kolumbianischen Elternhaus auf. Ihr musikalisches Talent wurde unter anderem früh durch den Wettbewerb Musica bavariae entdeckt und gefördert, den sie gemeinsam mit ihrer Schwester Laura im Jahr 2006 gewann. Als Gesangsduo traten die beiden bei Konzerten, Radio - und Fernsehaufzeichnungen mit Enrico de Paruta und Carolin Reiber auf. 

In der Disziplin des Dirigierens vom Klavier gewann Anna im September 2018 als erste weibliche Preisträgerin beim Internationalen Hans-von-Bülow-Wettbewerb den 3. Preis und gab ihr Debüt bei der Meininger Hofkapelle mit Mozarts Klavierkonzert KV 488.  Dieses Konzert spielte sie 2019 gemeinsam mit ihrem Ensemble "Enigma Classica" ein.

Die Pianistin und Dirigentin wurde bereits mit 23 Jahren von der Bayerischen Staatsoper für die musikalische Leitung der Produktion EVA und ADAM engagiert, welche im Rahmen der Münchner Opernfestspiele 2019 Premiere feierte.

Anna Handler beim Studieren der Partitur

"Also generell ist es in der Musikwelt so, dass wir Bachelor- und Master- Systeme haben, und der Bachelor dauert bei uns acht Semester, meistens etwas verlängert durch Urlaubssemester, weil wir ein Praktikum in einem großen Orchester oder eine Assistenz bei anderen DirigentInnen machen. Bei uns wird sehr viel Wert darauf gelegt, dass wir möglichst früh Praxis Erfahrungen sammeln. Und dann gibt es den Master, der normal zwei Jahre lang dauert. Und leider muss man sagen, dass der Abschluss nicht in jedem Fall einem alle Türen öffnet. Wenn man unterrichten will an der Universität, später Professorin werden will, sollte man auf jeden Fall seine Abschlüsse beisammenhaben und auch eine gute Note. Aber wenn du zum Beispiel als freiberuflicher Musiker arbeiten und leben möchtest, dann ist es wichtig, dass du frühzeitig Verbindungen zu Agenturen aufnimmst, ein Netzwerk aufbaust oder ein eigenes Unternehmen gründest."

Anna Handler, Dirigentin und Pianistin

Derzeit pendelt Anna zwischen zwei Studiengängen hin und her:

Seit April 2019 ist sie Masterstudentin in Professional Performance Klavier an der Folkwang Universität der Künste in Essen. Und seit dem Wintersemester 2018/19 studiert sie im Bachelor Orchesterdirigieren an der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar. In ihrer Klasse ist sie die einzige Frau.

Musikerinnen und Dirigentinnen wie Anna zeigen: die Zeit der Pultdiktatoren ist passé. Das Berufsbild Dirigent*in hat sich gewandelt - weg vom über allen thronenden Boss hin zur Vermittlerfigur.

"Wenn ich dirigiere, blende ich alles um mich herum aus und gebe mich vollkommen dem Fluss der Musik hin, ich stelle mich in seinen Dienst. Ich versuche den Energieimpuls, der von einer Person zur nächsten läuft, ohne ihn zu zerbrechen, zu transportieren. Denn die Energie wandert im Orchester von einer Person zu anderen. Ich helfe den Musikern sich gegenseitig zuzuhören und lenke durch meine Augen und meine Gesten die Aufmerksamkeit immer auf die Gruppe, die in dem Moment einen wichtigen Impuls initiiert. Ich bin die Mittlerin, das fasziniert mich."

Anna Handler, Dirigentin und Pianistin


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