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Fast Forward Science Wettbewerb Energiewender und Spinatherzen – Wissenschaft für’s Web

Vorm umdekorierten Klamottenregal daheim oder im Heizzentralen-Foyer improvisieren Marlene und Klaus ihre Studios für den YouTube-Dreh. Ihr Ziel: Aus Leidenschaft für ihre Themen das Wissen für die Netzgemeinde aufbereiten.

Von: Gunnar Mergner

Stand: 09.04.2021

Zwanzig Minuten nördlich von Münster hat die Bundeswehr quasi das Fundament für ein Energiewende-Projekt gelegt. 74 Munitions-Bunker stehen auf einem Gelände nahe des Ortes Saerbeck. Die Armee hat ihr Depot vor einigen Jahren geräumt, die Gemeinde ist mit einer besonderen Idee eingezogen. Heute stehen auf dem grasigen Tarnbewuchs der Bunkerhügel tausende Solar-Panels. Außenherum: Sieben Windräder. Sie sammeln grüne Energie für einen Bioenergie-Park, der inklusive zweier Biogas-Anlagen die Stadt bis 2030 bilanziell komplett klimaneutral versorgen soll.

YouTuber ist Klaus aus Leidenschaft

Der Ingenieur Klaus Russell-Wells hat beim Bioenergie-Park Saerbeck ein Studiums-Praktikum gemacht. Als Testzone für die Energiewende fasziniert der Park ihn auch heute noch. Hier wird ausprobiert, was er für unverzichtbar hält. Eine krisensichere, emissionsfreie Energieversorgung aus Sonne, Wind, Biomasse. Und weil nicht jeder hier in NRW bei ihm vorbeischauen und sich die Vorzüge erklären lassen kann, hat Klaus sich Equipment zugelegt, viel herumprobiert und erklärt Facetten der Energiewende jetzt im Videoformat auf seinem eigenen YouTube-Kanal JOUL.

In YouTube ist Klaus Energiewende-Kommunikator

Klaus geht es um seine Inhalte, nicht um seine Eitelkeit oder Internet-Fame. Er ist überzeugt, dass Auf- und Erklärarbeit die Energiewende entscheidend vorantreiben können. Dafür schreibt er seine Texte, sucht geeignete Locations, zeichnet Infografiken und stellt sich vor die Kamera, obwohl er sich selbst in seinen Videos kaum zuschauen kann. Hauptberuflich ist er Energiewende-Berater. Nebenberuflich: Energiewende-Kommunikator.

"Je mehr Text ich vorher wirklich im Kopf hab, desto weniger muss ich während des Drehens zwischendrin nachgucken. Jedes Mal zwischendrin Nachgucken klaut einem immer so ein bisschen Motivation und Energie und Begeisterung vor der Kamera. Und dann wird man irgendwie viel zu ernst und stellt hinterher fest: Der Funke springt nicht über."

Klaus Russell-Wells

Fast Forward Science Wettbewerb

Beim Fast Forward Science Wettbewerb werden einmal im Jahr die besten Wissenschaftsvideos für’s Web ausgezeichnet. Klaus Russell-Wells hat von der diesjährigen Verleihung in Bonn gleich zwei Preise mitgenommen. Einen gab es auch für die Münchner Medizin-Studentin Marlene Heckl. Marlene und Klaus beackern inhaltlich unterschiedliche Felder – trotzdem verbindet sie eine ganze Menge.

Marlene YouTuberin für Medizin-Wissenschaft

Auch Marlene hat einen gemeinschaftsdienlichen Hauptberuf gewählt – sie ist Medizin-Studentin und schreibt bereits an ihrer Doktor-Arbeit über Gebärmutter- und Eileiter-Krebs. Und auch sie hat ein Faible für die Wissensvermittlung, das sie in YouTube-Gefilde und letztlich auch vor die Kamera getrieben hat. Ihr erstes Video kam zwar noch ohne Gesicht aus – aber einer besseren Verständlichkeit zuliebe hat auch Marlene danach den Schritt vors Objektiv gewagt.

"Ich hab öfters mal so Blackouts vor der Kamera. Also beziehungsweise einfach Angst davor dass ich nicht mehr weiß, was ich sagen soll. Und das Ganze nochmal drehen muss, was ich vielleicht schon stundenlang versucht habe zu drehen."

Marlene Heckl

Youtuber brauchen ein Thema, etwas Talent und gute Ideen

Anders als Klaus, der sich mit Lampen und Stativen, Reflektoren und seiner Kamera bei der Videoprojektion schon im Profi-Bereich bewegt, dreht Marlene sich selbst mit dem Handy. Angestrahlt von einer Lampe, die sie sich vom Fast-Forward-Science-Preisgeld geleistet hat. Und das zuhause, in der ersten Etage vom Elternhaus, vor ihrem als Kulisse aufgehübschten Kleidungs-Regal. Wer auf YouTube Wissen vermitteln will, braucht außer seinem Thema nur etwas Talent, gute Ideen und Zeit. Von letzterer allerdings eine ganze Menge. 

"Ich hab immer jeden Tag vielleicht ein, zwei Stunden da dran gesessen. Um das zu schneiden und Ton unterzulegen und passende Bilder oder sowas auszusuchen. Also es ist eine Menge Arbeit und das habe ich vorher auch nicht geahnt, dass das so viel Arbeit ist."

Marlene Heckl

In ihrem nächsten Video will Marlene erklären, welche Möglichkeiten die Krebs-Immuntherapie bietet. Ein schweres Thema, wenn auch locker aufgearbeitet, und das auf einer Plattform voller Pranks und Oberflächlichkeiten. Ob das funktioniert? Marlene ist sich da selbst nicht so sicher. Sie will die Reaktionen auf das Video abwarten, bevor sie sich Gedanken zu ihrer YouTuber-Zukunft macht. Derzeit hat ihr Kanal 48 Abonnenten.

"Also, am liebsten würde ich beides verbinden können später. Das heißt, ein bisschen ärztlich tätig sein und ein bisschen in der Wissenschaftsvermittlung mich engagieren. Ich finde, dass es auch unsere Aufgabe ist als Arzt oder Wissenschaftler oder Forscher, dass wir das Wissen, das wir haben oder erwerben oder auch weitergeben."

Marlene Heckl

Auszeichnung

Gerade hat Marlene den Georg von Holzbrinck Preis für Wissenschaftsjournalismus gewonnen, allerdings für Textbeiträge in Wissenschaftsmagazinen.

Wissenschaft auf YouTube kommt an

Bei Klaus steht die Abonnentenzahl bei knapp über 16.000 zu. Vor allem ein Video über Heizungsthermostate ist zu Beginn der kalten Jahreszeit extrem erfolgreich gewesen. Trotz Unbehagens über sich selbst als Hauptdarsteller – in seine Rolle als Vermittler der Energiewende hat er sich schon gut eingefunden. Eine Rolle, die auf YouTube funktioniert, aber auf Videos und die Plattform nicht beschränkt bleiben muss. Die Energiewende wird nicht von heute auf morgen kommen. Und so lange sie sich anbahnt, da ist sich Klaus sicher, wird sie Jobs für einen thematisch versierten Ingenieur wie ihn abwerfen.

"Wenn ich so die Kommentare durchgehe oder auch andere Rückfragen die ich kriege dann merke ich halt schon, dass die Leute sich auf einmal mit Themen auseinandersetzen und Fragen stellen, die normalerweise nicht gestellt worden wären. Und das finde ich schon erfolgreich, ja."

Klaus Russell-Wells


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