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Univ.-Prof. Dr. Eva Odzuck Bürgersein in der digitalen Demokratie

Die Digitalisierung verändert demokratische Prozesse und beeinflusst die repräsentative Demokratie. Den Bürgern gibt die Digitalisierung aber auch Mittel an die Hand die Demokratie aktiv mitzugestalten. Wie aber glückt digitale Demokratie?

Stand: 07.10.2022 16:19 Uhr

Für die Digitalisierung gilt, dass diese als Kontext zur Weiterentwicklung der Demokratie durchaus ambivalent betrachtet werden kann:

Auf der einen Seite erlauben digitale Technologien die Verbindung von Menschen und die Verbreitung von Informationen, sie ermöglichen es Menschen kollektiv zu handeln - über Grenzen und Entfernungen hinweg, die vorher unüberwindbar schienen: Der sogenannte arabische Frühling, die Regenschirm-Revolution in Hongkong oder Fridays for Future wurden wesentlich getragen von sozialen Netzwerken. In der Corona-Pandemie ermöglichen digitale Strukturen - zumindest in bestimmten Grenzen - die Aufrechterhaltung von Bildung, Arbeit, Austausch und können zur Bewahrung der öffentlichen Gesundheit beitragen (Apps).

Auf der anderen Seite stehen Risiken des Suchtpotenzials digitaler Devices, Risiken der umfassenden Überwachung und diskriminierender Algorithmen sowie die Gefahr der Desinformation, der Polarisierung und der Verrohung des öffentlichen Diskurses in digitalen Strukturen. Der Verlust einer geteilten Öffentlichkeit durch Fragmentierungstendenzen und der Verlust der bürgerlichen Präsenz in der Öffentlichkeit durch Verlagerung ins Private und Digitale kommen hinzu. Die Pandemiesituation eignet sich in dieser Hinsicht sehr gut zur Reflexion auf Bestandsvoraussetzungen einer funktionierenden Öffentlichkeit und einer lebendigen Demokratie.

Digitale Demokratie ist kein Selbstläufer

Während digitale Strukturen noch zu Beginn des neuen Jahrtausends zum Teil euphorisch als demokratieförderlich gepriesen wurden (Stichwort: Liquid Democracy), sind 20 Jahre später skeptische Töne, Besorgnis und Krisendiagnosen an der Tagesordnung:

Hassrede, Filterblasen, Echokammern und die Spaltung der Gesellschaft sind nur einige Stichworte, mit denen die Probleme beschrieben werden. Ereignisse wie der Sturm auf das Kapitol oder die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke sind dabei oftmals Anlass, eine Verbindung zwischen einer Radikalisierung im Netz und physischer Gewaltbereitschaft und Rechtsverletzungen im analogen Raum zu ziehen.

Digitale Demokratie muss verantwortungsvoll gestaltet werden

Ohne in einseitige Verantwortungszuschreibungen oder einseitige Ideen eines Technikdeterminismus zu verfallen, muss aus einer nüchternen Perspektive nach Voraussetzungen und Konsequenzen des Bürgerseins in der digitalen Demokratie gefragt werden. Hierzu wird in einem ersten Schritt die deliberative Demokratietheorie und ihre Antwort auf die Frage, was ein guter Bürger ist, vorgestellt. In einem zweiten Schritt wird gefragt, vor welchen Herausforderungen die deliberative Demokratie und die Praxis öffentlicher Beratungen und öffentlicher Begründungen in der Digitalisierung steht. Der Vortrag endet mit einem Plädoyer für klare demokratietheoretische Maßstäbe zur Gestaltung der Digitalisierung und mit einem Aufruf zur aktiven Gestaltung der deliberativen Demokratie unter digitalen Bedingungen.

Kurzvita: 

Eva Odzuck vertritt seit Oktober 2020 den Lehrstuhl für Politische Philosophie, Theorie und Ideengeschichte an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg. 2015/16 forschte Odzuck ein Jahr lang als Postdoc an der University of California, Berkeley. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen systematisch im Bereich der politiktheoretischen Analyse emergierender Technologien (Biotechnologie, Digitaltechnologie), historisch in der Ideengeschichte und politischen Philosophie des Liberalismus (Hobbes, Rawls, Kontraktualismus insgesamt) und der Antike (Platon). Odzuck wurde 2020 mit dem Preis für herausragende Forschung von Frauen der Philosophischen Fakultät der FAU ausgezeichnet und 2017 im Rahmen der Emerging Talents Initiative der FAU gefördert. 2019 wurde ihr Seminar zur ethischen Politikberatung vom Innovationsfonds Lehre der FAU ausgezeichnet. Odzuck ist Vorstandsmitglied der European Hobbes Society, Mitherausgeberin der Zeitschrift Politisches Denken und Co-Leiterin des Bayerischen Promotionskolleg Politische Theorie.


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