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Studierende in der Pandemie Psychische Probleme im digitalen Semester - Wer bietet Hilfe?

Seit der Bologna-Reform ist die Zahl psychisch erkrankter Studierender um 25 Prozent gestiegen. Angesichts der sozialen Einschränkungen und Belastungen jetzt in der Corona-Zeit sind viele noch gefährdeter. Wo finden sie Hilfe? Campus Magazin stellt Hilfsangebote vor.

Von: Anna Bath

Stand: 27.12.2020

Studierende: Vulnerable Gruppe

Bedingt durch die Corona-Maßnahmen kann sich die Überforderung im Studium noch um ein Vielfaches verstärken. Denn psychische Krisen können entstehen, wenn die eigene Handlungsfähigkeit wie jetzt im Lockdown stark eingeschränkt ist. Die Anrufzahlen bei den psychosozialen Beratungsstellen der Studentenwerke steigen derzeit an.

Auch Jonathan leidet unter der Situation: Er studiert Geschichte in München und muss seine Bachelor-Arbeit bald abgeben. Der präsenzlose Unterricht und die Kontaktbeschränkungen machen ihm zu schaffen. Er kann sich zu Hause nicht so gut konzentrieren, lässt sich leicht ablenken. Der Abgabestress setzt ihm auch psychisch zu. Gerade im Lockdown sollten Betroffene möglichst frühzeitig entsprechende Hilfsangebote in Anspruch nehmen – unkompliziert per Telefon.

Studierende leben zunehmend isoliert

Auch viele Studentenjobs sind jetzt nicht mehr möglich, der Erhalt manch präsenzbasierter Studienabschlüsse plötzlich unsicher, der Zugang zu non-digitalem Wissen erheblich erschwert und durch die Kontaktbeschränkungen an Hochschulen sind Studierende zunehmend in die Homestudy-Isolation verbannt.

Unter diesen Bedingungen kann der Leistungsdruck steigen, trotz aller Erschwernisse alles fürs Studium zu geben. Doch was, wenn man den selbstgesteckten Zielen nicht gerecht werden kann, wenn die Motivation sinkt und die Ablenkungen zu Hause vom Lernen abhalten? Psychische Krisen haben viele Ursachen, aber für junge Menschen, die noch am Anfang ihrer Lebensplanung und -entwicklung stehen, können Belastungen wie jetzt in Corona Zeiten zu psychischen Krisen führen, Studierende als vulnerable Gruppe.

"Die Studierenden wissen ja auch gar nicht, ob Corona die Studienzeit verlängert, und was geschieht, wenn sie krank werden? Wenn sie sich mit anderen treffen, besteht immer die Gefahr, dass Familienmitglieder angesteckt werden können, wenn sie sie doch mal besuchen? Aber im Moment müssen wir auch in gewisser Weise daran arbeiten, zu akzeptieren, dass die Dinge so sind, wie sie sind. Und das, finde ich, ist eine Einsicht, die besonders schwer für junge Leute ist, deren ganzes soziales Leben sich ja noch mal ganz anders abspielt als vielleicht für Familien, die sowieso ihre sozialen Kontakte und ihre Einheit zu Hause haben."

Dr. Petra Brandmaier, Stellv. Ärztliche Leiterin der Leitstelle des Krisendienstes Psychiatrie für Oberbayern

Psychische Probleme sind behandelbar

Individuelle, persönliche Voraussetzungen spielen bei psychischen Problemen die größte Rolle, sie bestimmen auch darüber, wie wir uns vor Überforderung schützen können. Studentische Beratungseinrichtungen arbeiten daher mit Sozialpädagog*innen, Sozialarbeiter*innen und Psycholog*innen, die Studierende dabei coachen, auf ihre jeweilige Persönlichkeitsstruktur zugeschnittene Zielvorstellungen zu entwickeln und diese auch umzusetzen. Und sie bieten schnelle, professionelle Hilfe bei seelischen Krisen.

Beratungsnetzwerk des Studentenwerks München

Im Beratungsnetzwerk des Studentenwerks München arbeiten derzeit insgesamt 21 Berater*innen, davon 7 in der Psychotherapeutischen und Psychosozialen Beratung. Viele der Berater*innen sind in Teilzeit tätig. Von Januar bis September 2020 fanden im gesamten Beratungsnetzwerk 10.400 Beratungen statt. Hilfesuchende Studierende erreichen die psychosoziale und soziale Beratungsstelle des Studentenwerks München zurzeit nur telefonisch. Alle Gespräche können auf Wunsch auch anonym stattfinden – damit die Hemmschwelle von psychisch belasteten Studierenden, Hilfe in Anspruch zu nehmen, möglichst gering ist.

"Die Beraterinnen und Berater beim Studentenwerk hören bei jeglichen Problemen oder Themen zu. Dafür sind sie da. Da ist kein Thema zu klein oder zu unwichtig, die Beraterinnen und Berater haben immer ein offenes Ohr."

Sophie Plessing, Studentenwerk München

Bitte keine Hemmungen, anzurufen!

Die Psychiaterin Dr. Petra Brandmaier von der Leitstelle des telefonischen Krisendienst Psychatrie für Oberbayern versichert zwar, dass sich in den letzten Jahren viel getan habe, was die Vorurteile gegenüber psychischer oder psychiatrischer, professioneller Hilfe angehe – doch insbesondere Studierende hätten oft noch zu viele Hemmungen, sich diese auch zu holen.

"Hilfe in Anspruch zu nehmen, wird auch in unseren gesellschaftlichen Bezügen ja oft als Schwäche interpretiert. Also das abzubauen und eher zu betonen, dass das Annehmen von Hilfe ja im Grunde eine Ressource und eine Stärke darstellt – das halte ich für ganz besonders wichtig. Dann glaube ich auch, dass gerade junge Leute denken: Ich nehme jetzt nicht den Platz oder die Zeit des Krisendienstes in Anspruch, andere brauchen das vielleicht viel dringender und notwendiger. Also das ist auch sicher ein Beweggrund nicht anzurufen."

Dr. Petra Brandmaier

Unter der Rufnummer 0180/6553000 erhalten Menschen in seelischen Krisen, Mitbetroffene und Angehörige qualifizierte Beratung und Unterstützung. Wer möchte, kann als Anrufer anonym bleiben. Dr. Brandmaier versichert, dass kein subjektives Leid zu gering sei, um nicht professionellen Rat zu suchen und dass die Mitarbeiter*innen des Krisendienstes erfolgreicher helfen können, je früher sich Betroffene bei ihnen melden. 

"Wenn jemand nicht mehr schlafen kann, wenn er oder sie jeden Abend im Bett sitzt und grübelt: wie schaffe ich das Studium? Wie mache ich weiter, wie schaffe ich die Bachelorarbeit, ich werde den Termin nicht einhalten können… All diese Dinge also, wenn die Erholung nicht mehr funktioniert. Das ist auch ein Warnsignal, dann bitte unbedingt melden. Dann geht es darum: finden wir irgendeine Art von Lösung, können wir die Situation, in der jemand gerade steckt, deeskalieren? Oft hilft es ja schon, gemeinsam ein Problem anzuschauen. Also den Blick, der erstmal ganz eng ist, wieder weit zu machen und die verschiedenen Aspekte einer Situation gemeinsam zu sehen. Das kennt ja jeder, jede von uns, dass man, wenn man nur noch auf Eines schaut, links und rechts einfach nicht mehr erkennt, was doch alles noch gut klappt und was noch geht und wo man auch Dinge bewältigt und gut geschafft hat."

Dr. Petra Brandmaier

Lernen aus der Krise - Tipps in Zeiten von Corona

Auch wer noch nicht in einer akuten persönlichen Krise steckt – die Corona-Krise, die nicht nur unsere sozialen Kontakte stark einschränkt und zu Vereinsamung führen kann, sondern auch gewohnte Lebensweisen verändert, ist keine geringe psychische Herausforderung, die es zu meistern gilt. Als Studentin oder Student unter Prüfungsdruck zu stehen, jetzt unter Kontaktbeschränkungen auf wenigen Quadratmetern Wohnfläche isoliert zu leben, zu lernen, zu essen, zu schlafen, sollte man bestimmte Maßnahmen unbedingt einhalten:

"Die Therapeutinnen und Therapeuten vom Studentenwerk empfehlen eigentlich ganz grundlegende Sachen wie zum Beispiel, dass man Kontakt zu Freunden oder Verwandten hält und sich trifft, wie es eben möglich ist, um sich nicht total zu isolieren. Und auch regelmäßig rauszugehen, gut und ausreichend zu schlafen, sich gesund zu ernähren und auch zu versuchen eine gewisse Tagesstruktur einzuhalten. Zum Beispiel auch im Homeoffice."

Sophie Plessing, Studentenwerk München

Wichtig sei, sich jetzt selbst Tagesordnungspunkte zu setzen – fürs Lernen, aber auch für die Freizeit: ab einer bestimmten Uhrzeit Feierabend zu machen und sich dann mit anderen Dingen als dem Studium zu beschäftigen. Auch sollte man sich in dieser Ausnahme-Situation nicht selbst zu sehr unter Druck setzen:

"Da geht es jetzt eher darum, für sich einen guten Weg zu finden und vielleicht nicht primär daran zu denken, welche Leistungen man unbedingt erbringen möchte, sondern zu schauen: Ok, mit meinen Mitteln, mit meinem Weg schaue icht, dass es so gut wie möglich wird und so, wie es wird, so wird's – und genau zu schauen, welche Bedingungen da die Universitäten vorgeben, ob sie noch einmal mehr Zeitraum lassen. Da kann man sich vielleicht auch mit seiner Fakultät oder seinem Fachschaftsrat auseinandersetzen und gucken: was kann man da für sich bewirken?"

Dr. Petra Brandmaier

Warum wir zu selten über Gefühle sprechen

Das Barometer für die eigene, seelische Gesundheit ist die Stimmung. Wenn die – beispielsweise bei anhaltender Überforderung – längerfristig fällt, können Psychotherapeut*innen im gemeinsamen Gespräch die psychologischen Hintergründe erforschen, die dem Betroffenen selbst oft völlig unbewusst sind. Erst wenn diese betrachtet werden, können entsprechende Maßnahmen eine Verbesserung der allgemeinen Lebenssituation bewirken. Hierbei spielt der Umgang mit Gefühlen eine große Rolle:

"Ich glaube, es hat schon auch damit zu tun, wie wir aufwachsen, welche Werte wir in unserer westlichen Gesellschaft haben. Dass auch die Anforderungen an junge Menschen, an Menschen überhaupt, Leistung zu erbringen, sachlich zu sein, Emotionen eher auszusparen, sondern sich an den Fakten zu orientieren, dass das Dinge sind, die mit eine Rolle spielen. Und dann die Modelle, die wir als Kinder von unseren Eltern vorgelebt bekommen haben: Wenn dort Emotionen zu zeigen, erwünscht war und verstärkt wurde, dann ist es natürlich für diese Menschen auch leichter, das zu tun. Und wo es eher sanktioniert wurde und immer darauf beharrt wurde, dass das nicht adäquat ist und dass das eben nicht erwünschtes Verhalten ist, da tun sich Menschen natürlich auch schwerer, über ihre Emotionen zu sprechen, oder auch Emotionen einzuordnen und zu erkennen."

Dr. Petra Brandmaier

Hier gibt es Hilfe:

Nightlines in Deutschland | Bild: BR zum Artikel Erste Hilfe! Nightline Sorgentelefon für Studierende

In der Nightline sind Studenten für Studenten da. Wenn Du dort anrufst, ist da jemand, der, wie du studiert und deine Lebenswelt kennt. Du kannst du anrufen, wenn du reden mit jemand musst, aber nicht weißt mit wem. Hier Nummern: [mehr]



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