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Akademiker ohne Sicherheit Befristete Jobs an der Uni

Geringes Einkommen, befristete Arbeitsverträge für zwei, maximal drei Jahre, kaum Aussicht auf Festanstellung. Keine beruflichen Perspektiven – auch nicht für bestens qualifizierte Wissenschaftler. Viele Jobs an der Uni sind befristet.

Author: Jan Kerckhoff

Published at: 28-11-2018

Geringes Einkommen, befristete Arbeitsverträge für zwei, maximal drei Jahre, kaum Aussicht auf Festanstellung. Keine beruflichen Perspektiven – auch nicht für bestens qualifizierte Wissenschaftler. Viele Jobs an der Uni sind befristet. So jedenfalls ist die Situation für die 41 Jahre alte Juliane Bräuer aus Jena:

"Kürzlich war so ein Tag, da bekam ich eine Anfrage als Expertin in einer Sendung des Fernsehens aufzutreten und zugleich einen Brief vom Arbeitsamt, weil ich demnächst arbeitslos werde."

Juliane Bräuer, Biologin, Verhaltens- und Kognitionsforscherin

Eine gefragte Expertin arbeitslos?

Bräuer ist promovierte Biologin und arbeitet an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und dem dortigen Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte. Sie erforscht das Verhalten von Hunden und deren Verhältnis zum Menschen. Eine sehr spezielle Forschung, eine ganz neue Kombination aus Psychologie, Biologie und Verhaltensforschung, für die es wenig Stellen gibt. Aber Bräuer hat bekannte Bücher und dutzende Artikel in einschlägigen Wissenschaftsjournalen veröffentlicht. Ihre Chefs an der Universität Jena, der Psychologe Stefan Schweinberger und am dortigen Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte, der Evolutionsbiologe Russell Gray, loben sie für ihre kreative und gute Arbeit. Und müssen ihr zugleich kündigen. Denn ihr Vertrag läuft aus und darf nicht verlängert werden.

Der Grund liegt im Wissenschaftszeitvertragsgesetz, das die Beschäftigung von Wissenschaftlern und Akademikern zeitlich beschränkt. Laut Gesetz darf so eine Stelle maximal auf 6 Jahre vor und 6 Jahre nach der Promotion befristet sein. Die Idee dahinter: Danach wird man fest übernommen. Doch der Sparzwang an Universitäten und der Mangel an Stellen führen stattdessen häufig zur Kündigung. Wie bei Juliane Bräuer. Und sie ist nur ein Beispiel von vielen.

Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz – Problem statt Hilfe

In den 90er Jahren kürzte man rigoros die Stellen im sogenannten akademischen Mittelbau. Also Stellen für Akademikerinnen und Akademiker mit Abschluss, aber ohne Professorenstelle. Als akademische Räte konnten sie forschen, Vorlesungen und Seminare halten. Heute heißt es: "Hop oder Top“ - entweder Professor oder Student – dazwischen gibt es (fast) nichts. Die Folge: Viele, wie Juliane Bräuer, versuchen, sich mit Stipendien und befristeten Verträgen über Wasser zu halten, haben kaum Einkommen und keine regelmäßige Sozialversicherung und stehen im mittleren Alter ohne Stelle da.

"Brain Drain" - die Flucht der Forscher ins Ausland

Viele wandern ins Ausland ab, wo ihnen Stellen angeboten werden – ein Verlust an wissenschaftlichen Know-How ist somit ebenfalls eine Folge, geradezu "ein furchtbarer Kreativitätsverlust", konstatiert Russell Gray, der solche Beschränkungen weder aus seiner Heimat Neuseeland noch aus von anderen wichtigen Forschungsstandorten her kennt. Bräuers deutsche Kollegin Juliane Kaminski, ebenfalls eine renommierte Forscherin, hat die Konsequenzen gezogen und ist gegangen.

"Ich habe mich relativ schnell entschieden, mich in Großbritannien zu bewerben, da ich Europa nicht verlassen wollte, um möglichst nah an meiner Familie zu sein, aber schnell war klar, dass Deutschland keinen realistischen Arbeitsmarkt für Akademiker hat. Das liegt meiner Meinung nach an dem, was Großbritannien hat und Deutschland fehlt - eine akademische Mittelschicht."

Juliane Kaminski, Biologin

Die Flucht nach England oder in die USA ist für viele – auch aus familiären Gründen – nicht möglich. Aber ohne feste Stelle ist die Perspektivlosigkeit deprimierend. Bräuer klagt bereits über psychosomatische Beschwerden. Der Frust über die Ablehnung hunderter Bewerbungen für Stellen, Förderprogramme und Stipendien belaste sie. Die Situation sei demotivierend und halte sie von ihrer Forschung ab. Der Soziologe Olaf Jann von der Universität Jena pflichtet ihr bei:

"Man muss entweder jahrelang unbefristet arbeiten oder ins Ausland, etwa nach England oder in die USA, gehen -  das ist quasi ein Berufsverbot bei uns!"

Olaf Jann, Soziologe

Mehr Professoren statt Mittelbau-Akademiker?

Holger Schönherr, Dekan Uni Siegen

Weil Stellen gestrichen sind, Akademiker und Akademikerinnen entlassen werden oder ins Ausland abwandern, fehlen auch kompetente Wissenschaftler im Lehrbetrieb. Denn der sogenannte Mittelbau, also die akademischen Räte, hat früher ein Großteil der Vorlesungen, Seminare und auch Prüfungen gehalten. Jetzt müssen das die Professoren größtenteils mit übernehmen. Was dazu führt, so klagt Bräuers Chef an der Universität Jena, der Psychologe Stefan Schweinberger, "dass ich kaum noch zum forschen komme, anders als in England, wo ich früher auch geforscht und gelehrt habe.“ Sein Kollege, der Chemiker Holger Schönherr, zugleich Dekan der Uni Siegen, beklagt ebenfalls, dass „wir nur zeitlich begrenzte Mittel haben. Damit können wir keine langfristigen oder gar unbefristete Stellen schaffen. Dabei hängen aber viele Aufgaben am Mittelbau – ein Stärkung wäre da wünschenswert.“

Auch der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Martin Stratmann, beklagt die fehlenden Stellen an den Unis:

"Heute haben wir doppelt so viele Studenten, wie vor 20 Jahren. Die finanziellen Mittel der Universitäten haben da nicht mitgehalten. Wir brauchen kleinere, aber mehr Lehrstühle, wo das Personal eine Perspektive hat."

Martin Stratmann, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft

Sein Vorschlag: statt mehr Stellen im Mittelbau, soll es mehr Professoren-Stellen geben. Das würde den Akademikern mehr Perspektive und Möglichkeiten bieten. Klingt zunächst gut, würde aber noch mehr Geld kosten als Stellen im Mittelbau.

Eine harte Auswahl

Seine Institution, einer der größten Wissenschaftsbetriebe Deutschlands, sieht er nicht in der Pflicht. Er versteht die Max-Planck-Gesellschaft als „Leuchtturm“ der Forschung. Unbefristet festangestellt werden hier nur die absoluten Top-Leute. Aber selbst Juliane Bräuer, die von ihren Chefs das Prädikat „top“ erhält, profitiert nicht davon. Auch nicht von den Förderprogrammen der Max-Planck-Gesellschaft, denn auch die sind nur befristet. Dadurch bleibt das Problem vieler Wissenschaftler: sich von befristetem Vertrag zu befristetem Vertrag hangeln, jahrelang hoffen und schließlich mit Ende 30 oder Anfang 40 feststellen, dass man nicht weiter in der Forschung arbeiten kann. Stratmann gibt zu, dass die Auswahl hart ist.

"Es kann nur einer von 10 in die Wissenschaft gehen. Da muss sich jeder rechtzeitig fragen, ob dieser Weg für ihn der richtige ist."

Martin Stratmann, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft

Letztlich kann sich also kein Wissenschaftler, der nur einen befristeten Vertrag hat, auf eine weitere Anstellung verlassen, egal wie gut er ist.

Wirtschaft statt Wissenschaft

Solange die Politik das Wissenschaftszeitvertragsgesetz nicht ändert und die Zahl der Stellen der Universitäten erweitert, sollte ich sich jeder gut überlegen, ob er die akademische Karriere wählt. Und selbst dann sollte man immer auch die freie Wirtschaft als Alternative im Blick haben. Viele, vor allem Geisteswissenschaftler werden wohl wegen fehlender Perspektiven der Uni den Rücken kehren. So ist befürchten, dass dort künftig kreative Köpfe fehlen werden. Für Russell Gray, den Jenaer Evolutionsbiologen und Chef des dortigen Max-Planck-Instituts steht fest: die Struktur deutscher Unis ist veraltet und führt dazu, dass kreative Forschung wie die Bräuers verhindert wird: „Sie passt nicht in die deutsche Forschungsstruktur und das ist ein schrecklicher Verlust.“

Juliane Bräuer erforscht die Intelligenz von Tieren.

Immerhin: Zur Zeit ist der Arbeitsmarkt so gut, dass er auch Geisteswissenschaftlern viele Stellen anbietet, Naturwissenschaftlern sowieso. Für Juliane Bräuer bedeutet das zumindest ein Einkommen, aber eben auch den Verlust ihres „Traumberufs“ als Verhaltens- und Kognitionsforscherin: „Das will ich eigentlich weitermachen, denn das habe ich gelernt, da bin ich gut, daran habe ich jahrelang hart gearbeitet und daran habe ich Spaß!“

Der Kampf um die Stellen

Die Gewerkschaft GEW hat das Problem längst erkannt und fordert im „Templiner Manifest“ 50.000 neue Dauerstellen für die Universitäten von der Politik. Und Akademiker um den Soziologen und Kulturwissenschaftler Peter Ullrich von der TU Berlin haben sich im „Netzwerk für gute Arbeit in der Wissenschaft“ zusammengetan, um mit Aktionen auf die prekäre Lage der Akademiker aufmerksam zu machen. Getreu dem Motto: gute Arbeit in der Wissenschaft braucht gute Beschäftigungsbedingungen. Andere haben gleich eine neue Gewerkschaft – die „unterbau“ gegründet und fordern nicht nur bessere Arbeitsbedingungen, sondern auch eine neue Organisation der Universitäten. Doch selbst wenn diese kommen, Juliane Bräuer wird Ende 2018 ihre Arbeit als Forscherin wohl beenden müssen, obwohl das von Seiten international tätiger Wissenschaftler bedauert wir -  ein persönliches Schicksal und ein Verlust für Wissenschaft und peinlich für den Forschungsstandort Deutschland.


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