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Prof. Dr. med. Vera Regitz-Zagrosek, Internistin und Kardiologin Warum brauchen wir Gendermedizin?

Männer und Frauen erkranken unterschiedlich, Medikamente wirken teilweise anders. Denn Frauen unterscheiden sich biologisch von Männern. Dem sollte auch die Medizin Rechnung tragen. Rheuma und auch Osteoporose zum Beispiel haben vor allem Frauen.

Stand: 26.05.2023

Am Herzinfarkt vor 60 sterben überwiegend Männer, und auch der plötzliche Herztod bei Sportlern trifft fast immer die Männer. Medikamente können bei Frauen und Männern anders wirken. Einmal unterscheiden sich die Organe von Frauen und Männern in ihrer Feinbauweise. Zum andern werden Arzneimittel bei Frauen und Männern unterschiedlich aufgenommen und abgebaut, haben Wechselwirkungen mit Geschlechtshormonen und werden anders ausgeschieden. Aber Arzneimittel zum Beispiel für Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden fast nur an jungen männlichen Tieren entwickelt. Mit diesem Vorgehen können Substanzen, die vor allem bei Frauen wirksam wären, gar nicht gefunden werden, kritisiert Vera Regitz-Zagrosek, Direktorin des Instituts für Geschlechterforschung der Charité Berlin. Möglicherweise kommen viele Probleme in der Übertragung tierexperimenteller Befunde auf den Menschen dadurch zustande, dass das Geschlecht der Versuchstiere nicht adäquat berücksichtigt wird.

Am ihrem Institut für Geschlechterforschung in der Medizin wird untersucht wie Geschlechterunterschiede zustande kommen, wie sie sich auswirken und welche Erkenntnisse man daraus für Therapie und Behandlung ziehen kann. So haben Frauen etwa durch das doppelte X-Chromosom einen biologischen Vorteil, weil ein X-Chromosom wesentlich mehr Gene trägt als ein Y-Chromosom. Männliche und weilbliche Geschlechtshormone wirken unterschiedlich und in der Regel können weibliche Zellen besser mit Stress wie Kälte, Hitze oder Sauerstoffmangel umgehen. Welche Mechanismen sind es, die weibliche Zellen besser schützen, und kann man diese auf männliche Zellen anwenden?

Die Internistin und Kardiologin Vera Regitz-Zagrosek ist Direktorin des 2004 von ihr gegründeten Instituts für Geschlechterforschung in der Medizin (GiM) an der Charité, Universitätsmedizin Berlin. Außerdem hat Regitz-Zagrosek die deutschlandweit einzige Professur für Frauenspezifische Gesundheitsforschung mit Schwerpunkt Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Sie erforscht Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Männern und Frauen bei kardiovaskulären Erkrankungen und die Verbesserung der Therapie für beide. Sie ist Heraus­geberin zweier europäischer Standardwerke zur Gender-Medizin und zur geschlechtsspezifischen Arzneimitteltherapie und Gründungspräsidentin der „Deutschen und der Internationalen Gesellschaft für Geschlechts­spezifische Medizin“. Für ihre herausragenden Verdienste auf dem Gebiet der Gender-Medizin wurde Vera Regitz-Zagrosek 2014 mit einem Ehrendoktorat der Medizinischen Universität Innsbruck geehrt. 2015 war sie einem Vortrag zu Gendermedizin in der Académie Francaise eingeladen, der ersten Veranstaltung zu diesem Thema in 300 Jahren.


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