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Campus Reportage Digital Natives - Alarm im Kinderzimmer

„Jetzt leg‘ doch mal dein Handy weg!“, diesen Satz sagen viele Eltern täglich mehrmals zu ihren Kindern. Denn digitale Medien sind in vielen Familien oft ein Streitthema. Autorin Barbara Weber wagt den Selbstversuch und versucht das Problem in ihrer eigenen Familie zu klären.

Von: Barbara Weber

Stand: 15.08.2022

Campus Reportage "Digital Natives - Alarm im Kinderzimmer" | Bild: BR

Kinder als digitale Versuchskaninchen

Kinder und Jugendliche nutzen Smartphones, Tablets und Computer bis zu sechs Stunden am Tag. Sie sind die Versuchskaninchen der digitalen Zeitenwende, geübt im Umgang mit allem Elektronischen, ob Medien, Apps oder Endgeräte, und Eltern, Lehrern, ja überhaupt allen anderen im Gebrauch deutlich überlegen. Was aber macht das mit ihnen? Wie verändern digitale Medien junge Menschen körperlich, geistig, im Sozialverhalten und in der Familie? Und was „ziehen“ sich unsere lieben Kleinen überhaupt stundenlang im vermeintlich geschützten Kinderzimmer rein?

Ein Selbstversuch

Meine eigenen Töchter haben mit dem Übertritt ins Gymnasium alte Handys von uns bekommen, wegen der Erreichbarkeit. Nur, sie telefonieren kaum damit, sondern Facetimen mit Freunden, anstatt sich persönlich zu treffen, gucken stundenlang Tutorials auf Youtube anstatt Hausaufgaben zu machen, und versinken auf Snapchat anstatt zum Sport zu gehen. Was tun, wenn die eigenen Kinder immer weiter aus der realen Welt ins Internet abdriften?

"Eine gefährliche Entwicklung. Eltern müssen Verantwortung für ihre Kinder und ihr Medienverhalten übernehmen und das tun sie derzeit häufig nicht. Niemand würde seinem Sohn mit dreizehn ein Pornoheft kaufen. Im Internet hat er jederzeit Zugriff darauf, bekommt irgendwann durch Algorithmen auch Werbeclips zugespielt. Nicht selten der Einstieg in die Erwachsenenwelt lange bevor Sexualität und Liebe im realen Leben passieren, nur eine der Gefahren, die im Netz lauern."

(Daniel Wolff, Digitalcoach)

Erwachsen werden im Internet

Pubertät und Jugend spielt sich längst im Internet ab, es wird geliked und subscribed oder disliked, das gilt nicht nur für die Stars im Netz. Wer statt Millionen Follower nur sieben Likes hat, denkt schnell, er sei nichts wert. Auch Internetmobbing entwickelt sich fast so rasend schnell wie die Branche selbst. Instagram, Snapchat und WhatsApp sind Orte der Selbstfindung, des sich Ausprobierens, aber eben auch Orte der Grenzüberschreitungen.

Eine meiner Töchter ist auf WhatsApp von einer Mitschülerin in einem Battle mit einer Freundin verglichen worden: Aussehen, Art etc. und hat in allen Kategorien verloren. Sie war völlig außer sich. Niemand würde ihr so etwas ins Gesicht sagen. Im Internet sind wüste Beschimpfungen, Beleidigungen und Ausgrenzungen inzwischen Teil der Jugendkultur geworden.

"Das macht etwas mit den Kindern und die Hemmschwelle sinkt permanent völlig unbemerkt von Erwachsenen. Die haben keine Ahnung, wie gravierend solche Erfahrungen das Sozialverhalten einer ganzen Generation prägen und verändern."

(Daniel Wolff, Digitalcoach)

Übertriebene Ängste

Hirnforscher Manfred Spitzer warnt vor Internet und Smartphone.

Die Liste möglicher negativer Folgen exzessiven Medienkonsums ist lang: Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme, Kurzsichtigkeit, Handy-Hals, Depressionen, Essstörungen Niemand möchte das für die eigenen Kinder. Im Coaching wird allerdings schnell klar, meine Töchter kennen die Chancen und Risiken im Netz, suchen das Gespräch mit uns und wehren sich gegen unsere überspitzten und übertriebenen Ängste.

"Ihr bezieht immer alle Probleme auf die digitalen Medien. Bei Schule, wenn man zu viel isst, alles, sagt ihr, sind die Medien. Wenn man nicht gut genug in der Schule ist, dann heißt es gleich, ja das ist wegen deiner Handynutzung. Ich treffe mich auch noch mit Freunden und ich habe auch noch Freunde und dann verstehe ich nicht, warum du immer so ein großes Drama daraus machst. Vor allem, weil du selbst genauso lange am Handy bist. Also…"

(Lulu)

Recht hat sie! Auch wenn ich Digitalmedien beruflich nutze, arbeite ich stundenlang am Handy, Tablet und Computer. Kein gutes Vorbild, oder? Und wie können wir von unseren Kindern erwarten, was uns selbst kaum gelingt? Weglegen, abschalten, verzichten. Müssen nicht alle erst lernen dieses Medium zu nutzen, ohne seinem Sog zu erliegen?

Medienkompetenz – voneinander lernen

Die vielleicht größte Herausforderung der nächsten Jahre, die Lücke zwischen den Digital Natives, unseren Kindern, und uns, den Digital Immigrants (vor 1980 Geborene) zu schließen. Wir müssen im Umgang mit Medien von unseren Kindern nachlernen, sie aber gleichzeitig begleiten und schützen vor den Auswüchsen des Internets. Denn die großen Internetkonzerne wie Google, Apple und Facebook wollen mit ihrer Marktmacht unser Leben durchdringen und beeinflussen.

Fazit

Nach hochemotionalen Diskussionen und zwei abgebrochenen Vertragsverhandlungen einigen wir uns im Familiencoaching doch noch auf ein Zeitlimit für elektronische Medien. Mit der Familienfreigabe auf unseren iPhones bekommen wir einen Überblick, wie lange wir wo im Netz sind. Der Handykonsum meiner Töchter ist dadurch deutlich zurück gegangen. Sie finden allerdings, dass ich noch zu lange am Handy bin. Das heißt, nach der Arbeit das Gerät ganz wegzulegen. Demnächst wollen wir das Zeitlimit für einzelne Apps aufheben, nur so können die Kinder eine freiwillige Selbstkontrolle lernen.


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