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Zuwanderung - Gewinn oder Verlust?

RESPEKT Zuwanderung - Gewinn oder Verlust?

Stand: 07.08.2020

  • Zuwanderung heißt, dass Menschen in ein Land kommen und dort bleiben.
  • Laut Statistischem Bundesamt wanderten im Jahr 2019 ca. 327.100 mehr Menschen nach Deutschland ein als umgekehrt auswanderten.
  • Überdurchschnittlich viele Einwanderer:innen haben einen Hochschulabschluss, ein Drittel hat keine beruflichen Abschlüsse.
  • Zuwanderung ist umstritten. Befürworter:innen argumentieren, dass sie Unternehmen dringend benötigte Fachkräfte bringt. Gegner:innen fürchten "Überfremdung", Überlastung der Sozialsysteme und einen Verdrängungswettbewerb im Niedriglohnsektor.

Ist Zuwanderung gut oder schlecht für Deutschland?

Zig Millionen Menschen kamen allein in den letzten 70 Jahren nach Deutschland: Vertriebene, Gastarbeiter:innen, Spätaussiedler:innen, EU-Ausländer:innen, Kontingent- und Kriegsflüchtlinge. Viele verließen das Land wieder, viele blieben. Deutschland ist ein Einwanderungsland. Zumindest in diesem Punkt herrscht weitgehend Einigkeit. Ansonsten prallen die Ansichten von Zuwanderungsbefürworter:innen und -gegner:innen aufeinander wie bei wenigen anderen Themen: Während die einen sich durch Migration eine Lösung für den Fachkräftemangel und andere Probleme unserer schrumpfenden und alternden Bevölkerung erhoffen, befürchten andere Verdrängungseffekte auf dem Arbeitsmarkt, Überlastung der Sozialsysteme oder Verlust von nationaler Identität.

Die "Gastarbeiter" - Familie Günler

Deutschland war in den 60er-Jahren ein Gastarbeiterland. In den 80er-Jahren kam Selen Günlers Mutter als Türkischlehrerin nach Bayern. Lehrkräfte wurden hier gut bezahlt. Es war auch ihr Traum, nach Deutschland zu kommen. Sie lernte vorher Deutsch und ließ dann alles zurück, um neu anzufangen, zusammen mit ihrem Mann. Das war nicht immer leicht, denn schon damals kamen die typischen Vorurteils-Fragen: "Warum tragen Sie kein Kopftuch? Essen Sie denn Schweinefleisch? Sucht die Familie die Person aus, die Sie heiraten müssen?" Doch sie hat sich gut zurechtgefunden - und ihre Tochter Selen auch.

"Auf dem Gymnasium war ich die Ausnahme. Es gab Kinder, die kamen aus gemischten Familien. Da war die Mutter spanisch und der Vater deutsch. Oder vietnamesisch und deutsch. Aber dass beide Elternteile türkisch sind, mit Migrationshintergrund, das war die absolute Ausnahme dort. Ich habe jedes Mal gemerkt, dass ich anders bin. Ich bin dann türkisch, das hat man immer gespürt, ab einem gewissen Punkt."

Selen Gürler

Einwanderung

  • Arbeitsmigrant:innen kommen nicht nur auf eigene Faust, sie werden auch millionenfach angeworben.
  • Ab 1955 tragen gezielt angeworbene Gastarbeiter:innen aus Griechenland, Italien und Spanien viel zum wirtschaftlichen Aufstieg der Bundesrepublik bei.
  • 2004 bekommen EU-Bürger:innen das Recht, in allen EU-Ländern zu arbeiten. Das nutzen nach den Finanzkrisen auch viele Ost- und Südeuropäer:innen. Seit 2012 wird es für gesuchte Fachkräfte auch ohne EU-Pass leichter.
  • Fluchtbewegungen und Mobilität nehmen zu, weltweit. Es fliehen immer mehr Menschen, vorwiegend aus arabischen und afrikanischen Ländern.
  • Die Fluchtbewegung nach Deutschland erreicht 2015 ihren Höhepunkt. Seitdem sinkt die Zahl der Asylanträge, obwohl die weltweite Flüchtlingskrise anhält.

Nehmen Ausländer:innen uns die Jobs weg?

Migrationsforscher Herbert Brücker sagt: Das stimmt so nicht. Gegenwärtig wächst in Deutschland überdurchschnittlich die Beschäftigung in sogenannten Helferberufen. Das sind etwa einfache Dienstleistungen, Security, Gastronomie, Reinigungsgewerbe oder Änderungsschneidereien. Für freie Stellen in diesen Bereichen finden sich nicht genügend Deutsche. Deshalb sind Betriebe und Unternehmen froh, wenn Zuwanderer:innen diese Jobs übernehmen.

Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz vom März 2020 regelt, nach welchen Kriterien Fachkräfte nach Deutschland einwandern dürfen. Es will sicherstellen, dass gezielt die Menschen kommen, deren Ausbildung gerade gebraucht wird. Das Zuwanderungsgesetz von 2005 regelt und steuert allgemein, wer nach Deutschland einwandern darf.

"In Wahrheit wird mehr investiert, die Löhne bleiben gleich und wir sehen keine Verdrängungseffekte. Wir haben im Moment so viel Zuwanderung wie noch nie in Deutschland, gleichzeitig sinkt die Arbeitslosigkeit so stark wie auch noch nie. Diese beiden Bilder muss man zusammenbekommen. Gerade die deutschen Arbeitskräfte sind die Profiteure der Zuwanderung. Wenn es Konkurrenz gibt, dann bei Migranten. Die konkurrieren in denselben Arbeitsmarktsegmenten."

Herbert Brücker, Migrationsforscher

Wer wird unsere Renten zahlen?

Ein weiterer Aspekt, der für Zuwanderung spricht, ist die Überalterung der Bevölkerung. Denn die deutsche Bevölkerung schrumpft und wird immer älter. Heute leben in Deutschland 83 Millionen Menschen. Im Jahr 2060 werden es geschätzt nur noch 68 bis 73 Mio. Menschen sein. Die resultierenden Probleme kann man laut Expert:innen nicht stoppen. Doch Zuwanderung jüngerer Menschen könnte sie abmildern. Denn wenn mehr Leute in Rente sind als Leute in Arbeit, kommt weniger Geld in die Rentenkassen als diese ausgeben müssen. So würden irgendwann die Sozialsysteme zusammenbrechen.

Mehr Zahlen und Fakten finden sich im Migrationsbericht des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. Sehr informativ ist auch die interaktive Karte des Statistischen Bundesamts zu Migration und Integration. Hier kann man über den Reiter "Karteninhalt" rechts oben nach vielen Kriterien filtern, zum Beispiel: Wie viele Zuwanderer:innen sind arbeitslos? Aus welchen Staaten kommen die meisten?

Ist Zuwanderung an allem Schuld?

Wer pauschal Zuwanderung ablehnt oder als DIE Ursache für soziale Probleme ansieht, macht es sich zu einfach. Vor allem in Krisenzeiten, wo viele Menschen in Not geraten, suchen sie nach "Schuldigen". So wächst die Ausländerfeindlichkeit. Gerade auf dem Land, in wirtschaftschwachen Regionen, ist die Ablehnung von Migrant:innen besonders groß. Aber nicht, weil die reale Bedrohung, etwa durch Konkurrenz am Arbeitsmarkt, so stark ist. Denn Migrant:innen gibt es auf dem Land kaum welche. Sondern weil sich dort viele abgehängt und von der Politik ungerecht behandelt fühlen.

Autorin: Monika von Aufschnaiter

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