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Psychologie Es muss nicht alles perfekt sein!

Perfektionisten haben es gerade an den Weihnachtsfeiertagen oft nicht leicht. Das Haus erstrahlt in vollem Glanz, aus der Küche duftet das Essen, die Kinder sind rausgeputzt, die Stimmung ist bestens, die Plätzchen selbstgebacken und man selbst strahlend schön und tiefenentspannt. Klingt zu schön, um wahr zu sein? Stimmt! Familientherapeutin Birgit Salewski gibt Tipps, wie der Perfektionismus nicht zur Stressfalle wird.

Stand: 14.12.2020

Es muss nicht alles perfekt sein! Familie in weihnachtlich geschmücktem Wohnzimmer mit Vater, Tochter, Sohn und Geschenken. | Bild: Colourbox

Ist Perfektionismus Fluch oder Segen?

Birgit Salewski: "Perfektionismus ist tatsächlich beides und kommt sehr auf die Person, den Kontext und die Aufgaben an. Prinzipiell ist nichts Schlechtes daran, nach dem Besseren, dem Schöneren, der besseren Qualität zu streben. Nur wenn Menschen 'mehr wollen' als das Bestehende bereit hält, passiert schließlich Entwicklung.


Leider wird aber für viele Menschen ihr eigener Anspruch zur Stressfalle, da sie selbst oft nicht mehr den Punkt erkennen, an dem es gut sein darf. Das heißt, man verbessert, feilt und optimiert ständig weiter, ohne noch das Warum, Wozu und Weshalb zu erkennen. Vermeintliche Fehler zu vermeiden ist oberstes Ziel! So wird der Perfektionismus zu einem permanenten Antreiber, der die Menschen nicht mehr zur Ruhe kommen lässt.
Ein anderer Antreiber für Perfektionismus kann auch der Wunsch nach Bewunderung und Anerkennung sein. Hier vermischt sich dann der Wunsch nach positiver Zuwendung mit Leistung, was ebenfalls ungesund sein kann. Es entwickeln sich möglicherweise Überzeugungen wie: Nur wenn ich Höchstleistung bringe, werde ich geliebt und respektiert."

Bin ich schon ein Perfektionist, wenn ich meiner Familie ein perfektes Essen servieren möchte?

Birgit Salewski: "Nein, seinen Liebsten ab und zu ein schönes und besonderes Essen und vielleicht auch Erlebnis bereiten zu wollen, ist kein Perfektionismus in diesem Sinne, sondern vielmehr der Ausdruck, einen schönen Moment schaffen zu wollen. Dies ist eher ein Weg, Liebe, Wertschätzung und Aufmerksamkeit zu zeigen. Schon Kinder sollten lernen, dass es in manchen Momenten mal eine besondere Geste oder eine besondere Aufmerksamkeit braucht, die einen deutlichen Unterschied zum Alltag macht, z. B. wenn auch die Kinder den Eltern ein Geschenk zu Weihnachten basteln oder den Großeltern Plätzchen backen."

Wo ist die Grenze zum ungesunden bzw. krankhaften Perfektionismus?

Birgit Salewski: "Manche Menschen merken, dass Sie selbst aus diesem Kreislauf aus Anstrengung, dem Gefühl, es noch besser machen zu müssen und der Angst vor Fehlern oder einer Blamage, nicht mehr aussteigen können. Wenn diese Abläufe sie im Job oder im Privaten so sehr fordern, dass sie permanent grübeln, schlecht schlafen, gereizt sind, an sich selbst zweifeln, sie Angst haben, kritisiert zu werden, dann wird es Zeit, sich Unterstützung zu holen. Und damit meine ich nicht, dass es nicht auch einmal anstrengende Phasen im Job oder zu Hause geben darf. Doch Perfektionismus kann auch das Ergebnis einer psychischen Erkrankung sein. Diese kann behandelt werden."

Welche Tipps hast Du für Perfektionisten?

Birgit Salewski: "Wir müssen, wie bereits erwähnt, unterscheiden zwischen Menschen, die möglicherweise an einer psychischen Erkrankung leiden und denjenigen, die eher eine Neigung zum Perfektionismus haben.
Erstere sollten sich durch ausgebildete Psychotherapeuten begleiten lassen, da es hier um die Behandlung einer Erkrankung geht.

Für alle anderen kann vielleicht folgendes hilfreich sein:

  • Verändern Sie in kleinen und leichten Schritten etwas: Die Bügelwäsche darf mal zwei Tage liegen, den Kindern wird nicht mehr so viel bei den Hausaufgaben geholfen wie bisher, möglicherweise wird nur einmal am Tag frisch gekocht und der Kindergeburtstag fällt einfach etwas ruhiger aus.
  • Planen Sie bewusst ihre Freizeit im Sinne von Pausen: An einem Tag am Wochenende und zwei Abenden in der Woche wird nicht mehr gearbeitet oder im Haushalt gewerkelt, sondern Sie tun Dinge, die Sie beruhigen und entspannen. Nehmen Sie ein Bad, lesen Sie, hören Sie Musik oder werden Sie kreativ oder handwerklich. Tappen Sie dabei nicht in die Freizeitstressfalle, sondern achten Sie bewusst auf Entspannung als Gegengewicht zu ihrem Stresspegel. Dabei müssen Sie lernen, Entspannen nicht als Untätigkeit abzuwerten, sondern Ruhe als ein wichtiges Stadium für Regeneration zu schätzen.
  • Geben Sie an manchen Punkten die Kontrolle bewusst ab und ermöglichen Sie sich und Ihrem Umfeld damit neue und positive Erfahrungen. So machen Sie die Erfahrung, dass Sie nicht für alles alleine die Verantwortung übernehmen müssen. Sie können z. B. im Haushalt auch schon an jüngere Kinder Aufgaben verteilen. Lernen Sie auch im Beruf, nicht alles an sich zu reißen, sondern auch andere Menschen ihre Arbeit und möglicherweise auch ihre Fehler machen zu lassen.
  • Fangen Sie an, Ihren Selbstwert auch unabhängig von Leistung und Höchstleistung zu sehen: Sie sind anerkennens- und liebenswert, auch ohne Leistung. Fangen Sie an, mit lieben und vertrauenswürdigen Menschen aus Ihrem Umfeld darüber zu sprechen, wie Sie gesehen werden. Lassen Sie sich sagen, wofür Sie gemocht werden und hinterfragen Sie selbst bewusst Themen wie Leistung und Perfektionismus. Sie werden sehen, Sie werden auch gemocht und geliebt, wenn Sie deutlich weniger perfekt sind. Manchmal sind Sie 'unperfekt' Ihren Liebsten sogar noch näher."

Achtung

Sollten Sie mit diesen Themen nicht weiterkommen, lohnt sich eine Beratung oder ein Coaching. Perfektionisten sind leider prädestiniert für Erschöpfung, depressive Stimmungen, Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit, Schlafstörungen und Selbstzweifel. Das kann letztlich zu Folgeerkrankungen führen.

Die Feiertage stehen vor der Tür: Wie kann sie ein Perfektionist entspannter genießen?

Birgit Salewski: "Meine Tipps für die Feiertage:

  • Machen Sie sich vorab einen Plan für die Feiertage und priorisieren Sie die Aktivitäten. So findet eine erste Differenzierung statt, die Perfektionisten sonst so schwerfällt. Streichen Sie ganz bewusst weniger wichtige Dinge radikal von der Liste.
  • Suchen Sie dann das Gespräch mit Partner und Kindern und überlegen Sie, was für die anderen Familienmitglieder an den Feiertagen schön oder besonders wichtig wäre und finden Sie Platz dafür im Plan. Erschrecken Sie nicht, wenn Ihr bisheriges Engagement nicht mehr in dem Maße 'gewünscht' wird. Partner und Kinder haben oft ganz andere Bedürfnisse, wie gemeinsames Spielen, Spaziergänge, mal zusammen einen Film ansehen, Ausschlafen. Das kann man alles unter einen Hut bekommen, wenn man gemeinsam über die Prioritäten nachdenkt. Natürlich haben unterm Strich die Erwachsenen das letzte Wort, doch für Perfektionisten ist es gut, mal zu hören, was den anderen Familienmitgliedern wichtig wäre, statt immer selbst anzunehmen, was für alle richtig und wichtig ist.
  • Nun muss die ganze Familie gemeinsam planen und jeder sollte Aufgaben und auch Verantwortung übernehmen. Das entlastet den Perfektionisten und gleichzeitig entsteht so mehr Gemeinschaft, nach der sich Perfektionisten oft sehnen, aber denken, sie müssten immer alles alleine machen.
  • Nachdem Sie es nun ruhiger haben angehen lassen, haben Sie hoffentlich etwas mehr Zeit und können sich als Familie zusammensetzen und sich fragen, wie es Ihnen allen geht und was heute für jeden Einzelnen schön, bereichernd oder auch doch zu viel oder zu wenig war. So bleiben Sie im Gespräch miteinander. Die Familie und jeder einzelne lernt, über sich und seine Bedürfnisse zu sprechen. Gleichzeitig kann so auch gemeinsam wieder geplant werden, wer welche Aufgaben übernimmt. So werden die Lasten, Pflichten und der gemeinsame Stolz auf alle Schultern verteilt."

Viel Erfolg beim Umsetzen der Tipps wünschen Birgit Salewski und "Wir in Bayern"!


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