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Allgemeinmedizin Wenn Einsamkeit krank macht

Keine Nähe, kaum Austausch: Viele Menschen fühlen sich einsam. Corona hat das Problem noch verschärft. Doch das Gefühl, einsam zu sein, kann krank machen. Warum Einsamkeit die Gesundheit beeinträchtigt und welche Hilfe es dagegen gibt, weiß "Wir in Bayern"-Allgemeinarzt Dr. Klaus Tiedemann.

Stand: 07.11.2022

Ältere Frau alleine im Wohnzimmer | Bild: BR / Julia Müller

Schätzungen zufolge sind in Deutschland bis zu 15 Prozent der Menschen einsam. Damit ist nicht das Alleinsein gemeint, denn auch jemand, der in einer Partnerschaft oder Familie lebt, kann sich einsam fühlen. Das Problem sind zu wenig echte Kontakte und soziale Isolation.

Kontakt und Geborgenheit sind für Menschen so wichtig wie Essen und Trinken. Das ist spätestens seit einer Studie aus den 1940er Jahren bekannt. Dabei fand ein österreichisch-amerikanischer Psychologe heraus, dass kleine Kinder in Waisenhäusern mental wie körperlich verkümmern, wenn sie zu wenig Nähe bekommen und sich niemand mit ihnen beschäftigt. Seitdem weisen immer mehr Daten auf den Zusammenhang von sozialer Interaktion und körperlicher Gesundheit hin.

Einsamkeit ist keine Frage des Alters

Die Häufigkeit und Intensität, sich einsam zu fühlen, hat sich durch die Corona-Krise verstärkt. Während der Pandemie gab es eine deutliche Zunahme an einsamen Menschen. Zwar sind ältere Menschen von Einsamkeit besonders betroffen, aber auch immer mehr jüngere leiden darunter. Aktuell leben rund 17 Millionen Menschen in Deutschland in Ein-Personen-Haushalten, so viele wie nie zuvor. Wenn Menschen weniger soziale Kontakte haben, als sie eigentlich möchten, wenn sie kaum sozial interagieren, niemanden zum Reden oder Anlehnen haben, entsteht Einsamkeit - und damit ein gesundheitlicher Risikofaktor.

Warum Einsamkeit körperlich krank machen kann

Der Mensch ist ein soziales Wesen und nicht auf Einsamkeit ausgelegt. In der Urzeit war er darauf angewiesen, in einer Gemeinschaft zu leben, um Gefahren abzuwehren und das Überleben zu sichern. Aus dieser Zeit stammt vermutlich der Mechanismus, dass der Körper unter Stress gerät, wenn er den Schutz der Gruppe verliert.

Untersuchungen zeigen, dass bei einsamen Menschen der Spiegel des Stresshormons Cortisol im Blut dauerhaft erhöht ist. Auch der Blutdruck und Blutzuckerspiegel steigen an, das Immunsystem ist geschwächt. Infolgedessen nimmt die Wahrscheinlichkeit für viele Krankheiten zu, beispielweise Depressionen und Angsterkrankungen, aber auch Herzinfarkt, Schlaganfall, Krebs oder Demenz.

Umgekehrt stärken soziale Interaktionen das Immunsystem. Wenn der Mensch sozial interagiert, steigt die Anzahl der sogenannten Killerzellen, die unter anderem verhindern können, dass Krebs entsteht. Cortisol dagegen schwächt die Bildung von Killerzellen und gilt als Marker für das Immunsystem.

Was die Forschung weiß

In der Forschung werden drei Einsamkeitsphänomene beschrieben:

  • Einsamkeit korreliert mit anderen gesundheitsschädlichen Verhaltensweisen. Wer einsam ist, ernährt sich beispielsweise ungesünder.
  • Einsamkeit löst Stress aus. Wer einsam ist und sich isoliert fühlt, schläft zum Beispiel schlechter.
  • Einsamkeit korreliert mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen und Angsterkrankungen.

Die große Frage dabei ist die von Ursache und Wirkung. Hat jemand womöglich weniger soziale Kontakte, weil er krank ist? Forschern zufolge kann es bei älteren Menschen beides sein: Sie sind krank und deshalb einsam – oder sie sind einsam und werden deshalb krank. Bei jüngeren Menschen dagegen ist es meist die Einsamkeit, die krank macht.

Gemeinsam gegen Einsamkeit

Was kann die Gesellschaft oder auch jeder Einzelne tun? In Großbritannien zum Beispiel gibt es seit 2018 einen Regierungsposten, der für die Bekämpfung von Einsamkeit zuständig ist. So können Ärzte Rezepte gegen Einsamkeit ausstellen, auf denen sie beispielsweise soziale Aktivitäten verschreiben. In den Niederlanden hat eine Supermarktkette "Plauderkassen" eingeführt, an denen man beim Einkauf ganz bewusst ein paar Worte wechseln darf. In Baden-Württemberg wurden bei einem Aktionstag "Schwätzbänkle" aufgestellt, um Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen.

Das kann helfen

Versuchen Sie, Signale von anderen zu erkennen und darauf zu reagieren, indem Sie die Person beispielsweise einbinden. Manchmal reicht es auch, einfach nur für den anderen da zu sein. Vielen Betroffenen ist ihr Leiden nicht anzusehen oder sie schämen sich, ihre Einsamkeit zuzugeben.

Beim Tod einer nahestehendenden Person, insbesondere, wenn im Alter plötzlich die Partnerin oder der Partner stirbt, sollten Betroffene nicht warten, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ein guter Weg ist auch, nach örtlichen Initiativen zu schauen, die zum Beispiel die Nachbarschaft fördern oder Aktivitäten für Singles oder Senioren anbieten. Auch der Beitritt in einen Verein oder das Belegen eines VHS-Kurses kann helfen, mit anderen Menschen im Kontakt zu bleiben.

Hilfe in Krisen und Notsituationen:

Beistand und Unterstützung erhalten Sie zum Beispiel bei der Telefonseelsorge: Tag und Nacht kostenlos erreichbar unter 0800 111 0 111 (evangelisch) und 0800 111 0 222 (katholisch), auch via Mail oder Chat (www.telefonseelsorge.de). Weitere Hilfsangebote finden Sie hier.

Tipp zum Weiterlesen:

Bleiben Sie gesund! Das wünschen Dr. Klaus Tiedemann und "Wir in Bayern"!


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