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Literatur Buch-Neuerscheinungen im Frühjahr 2023

Für alle Leseratten hat Buchhändlerin Sabine Abel vier brandneue Lesetipps, von denen wir je ein Exemplar verlosen. Bei diesen Neuerscheinungen handelt es sich um leicht zu lesende und zugleich spannende Bücher. Vielleicht kommt bei diesen literarischen Tipps ja auch der ein oder andere "Lesefaule" auf den Geschmack…

Published at: 21-2-2023

Ein Bücherstapel am Bett. | Bild: BR/Lisa Hinder

Janet Lewis: Draußen die Welt

Sabine Abel: "Hauptfigur und Herzstück des Romans, der in Amerika bereits Mitte der vierziger Jahre erschienen ist, ist Mary Perrault. Mary ist Anfang Fünfzig, verheiratet und Mutter von vier erwachsenen Kindern.
Sie lebt mit ihrer Familie in einem kleinen, beschaulichen Ort in Kalifornien. Dort kümmert sie sich mit viel Liebe um ihre Familie und den Haushalt. Auch im Gemeindeleben ist sie aktiv und oft ist sie begehrte Ansprechpartnerin, wenn im Ort jemand in Schwierigkeiten ist. Der Ernährer der Familie ist Marys Ehemann, der Angestellter im örtlichen Wasserwerk ist und eine Kaninchenzucht betreibt, die zusätzliches Einkommen bringt. Dieses Zusatzeinkommen ist für die Perraults extrem wichtig, denn der Roman spielt in den dreißiger Jahren, also der Zeit der großen Depression in den USA und dem großen Börsenkrach. Doch trotz der politischen Lage, die das einfache Leben der kleinen Leute schier unmöglich macht, verliert Mary nicht ihre positive Einstellung und ihre grundsätzlich gute Laune.
Als Marys engste Freundin bei einem Autounfall ums Leben kommt, droht Marys trotz der angespannten politischen Lage beschauliches Leben aus den Fugen zu geraten. Mit großer Selbstverständlichkeit nimmt sie sich dem Witwer ihrer Freundin an und gerät nicht nur dadurch immer wieder in Situationen, in denen sie sich entscheiden muss. Verhält sie sich so, dass es für sie und ihre Familie zum Vorteil ist, oder so, dass sie allgemeingültigen und so auch ihren eigenen moralischen Ansprüchen genüge tut? In schwierigen Zeiten ist das keine leichte Aufgabe.

Auf den ersten Blick ist dieser Roman sicher keine ganz leichte Kost. Große und kleine Katastrophen brechen über Mary herein. Was für mich diese Geschichte aber so positiv macht, ist, dass Janet Lewis mit Mary Perrault eine unerschütterliche Hauptfigur geschaffen hat, die sich immer auf ihren moralischen Kompass verlassen kann. Außerdem ist der Roman mit seiner bedächtigen Sprache und der entschleunigten Erzählweise ein großer Lesegenuss."

Tony Hillerman: Tanzplatz der Toten - Ein Fall für die Navajo-Police (Erster Teil der Krimireihe)

Sabine Abel: "In seinem neuen Frühjahrsprogramm widmet sich der Schweizer Unionsverlag einer Krimireihe, die schon vor Jahren vor allem in den USA sehr erfolgreich war und auch als TV-Serie von den Machern von ‚Game of Thrones‘ sehr erfolgreich verfilmt wurde. Im deutschsprachigen Raum waren die Kriminalromane um Lieutenant Joe Leaphorn von der Navajo-Police lange nicht lieferbar. Ab sofort können wir wieder in die Welt der Navajos in den Weiten Arizonas eintauchen.
Gleich bei seinem Auftakt zur Reihe holt Toni Hillerman alles raus, was ein gut erzählter Krimi braucht. Ernesto, ein Junge aus dem Stamm der Zuñi ist verschwunden. Eigentlich ist Joe Leaphorn für diesen Fall gar nicht zuständig, darum kümmert sich die Polizei der Zuñi. Doch bald stellt sich heraus, dass außer Ernesto auch George verschwunden ist. George ist Ernestos bester Freund und ein Mitglied des Navajo Stammes. Also wird Joe Leaphorn zu dem Fall hinzugezogen. Kompetenzgerangel unter den Polizisten ist vorprogrammiert.
Die Polizisten finden schnell heraus, dass die beiden Jungs von den rachsüchtigen Göttern der Zuñi fasziniert waren. Auf deren Ankunft bereitet man sich im Reservat der Zuñis auch gerade vor. Der Legende nach zeigen sich die Götter aber nur denjenigen, die auf ihren baldigen Tod warten. Als man Ernestos Fahrrad findet, ist ein großer Blutfleck daneben nur schwer zu übersehen. Georg bleibt weiterhin verschwunden. Was ist also mit den beiden Jungs passiert?
Wer spannende Krimis liebt, ist bei dieser Reihe bestens aufgehoben.
Abgesehen davon taucht man beim Lesen in eine andere Welt ein. Ohne Effekthascherei und ohne die üblichen Klischees zu bedienen, erzählt Toni Hillerman vom Leben der indigenen Bevölkerung der USA. Der Konflikt zwischen der modernen Industrie- und Konsumgesellschaft und den traditionellen Werten und Bräuchen steht dabei im Mittelpunkt. Die präzise Schilderung der Landschaften und des Lebens im Reservat sind aber nicht bloß eine großartige Kulisse. Nur wenn die Überlieferungen und Traditionen der Diné (Navajo) in die Lösung der Kriminalfälle mit einbezogen werden, sind die Rätsel zu entschlüsseln.

Für seine Romane wurde Hillerman mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter auch der Special Friend of the Dineh, den er 1987 von dem Navajo Tribal Council erhalten hat, eine Art Ehrenmitgliedschaft bei den Navajos."

Markus Orths: Mary & Claire

Markus Orths: Mary&Claire | Bild: Hanser Verlag

Sabine Abel: "In seinem neuen Roman erzählt Markus Orths von der berühmten Erfinderin Frankensteins, Mary Shelley und ihrer Stiefschwester Claire. Die beiden treffen zusammen (zusammenkommen klingt nach Päarchen) nachdem Marys Vater nach dem frühen Tod der Mutter eine Verbindung mit der verwitweten Mutter Claires eingeht. Obwohl sich die beiden Mädchen ursprünglich nicht viel zu sagen hatten, werden sie bald enge Freundinnen und Vertraute.
Als Claire gerade 16 Jahre alt ist, macht sie im Buchladen ihrer Mutter die Bekanntschaft des deutlich älteren, bereits verheirateten Lyrikers Percy Shelley. Kurze Zeit später lernt auch Mary Percy kennen und auch sie verliebt sich in den Paradiesvogel. In Claires und Marys Elternhaus ist man entsetzt. Kurzerhand reißen Mary und Percy aus, wollen auf den Kontinent und dort ihr Glück finden. Diese Reise treten die beiden Verliebten allerdings nicht zu zweit an, sondern sie nehmen Claire kurzerhand mit. Zu stark ist eben auch die Verbindung zwischen den beiden Frauen. Zu dieser Liebe zu dritt gesellt sich bald noch ein vierter, der berühmte Dichter Lord Byron.
Doch die komplizierten Liebesbeziehungen mit ihren großen Gefühlen, den großen und kleineren Dramen, stehen nicht allein im Mittelpunkt des Romans. Vielmehr erzählt Markus Orths die Lebensgeschichte zweier Frauen, die sich in einer Zeit behaupten müssen, in der für Frauen nur der Platz im Haus und bei der Familie vorgesehen war.

Schon immer hat mich die Zeit der Romantik fasziniert und dabei besonders die Lebensgeschichte Mary Shelleys. Als Autorin des berühmten Frankenstein-Romans blieb sie lange Zeit völlig unbeachtet. Erst als der Verlag eine zweite Auflage drucken musste, weil das Buch ein so großer Publikumserfolg war, trat Shelley aus der Anonymität in die Öffentlichkeit. Mary Shelley und ihre Freunde versuchten neue Wege in der Liebe und in der Kunst und wollten damals schon ein Leben, das Hippies, Künstlerinnen und Avantgardisten unserer Zeit als ihre Erfindung deklarieren."

Rachel Elliott: Flamingo

Sabine Abel: "Nach ihrem Überraschungserfolg mit 'Bären füttern verboten' aus dem Jahr 2020 ist Rachel Elliott mit diesem Roman wieder ein großer Wurf gelungen. Voller Gefühl und Wärme erzählt sie uns die Geschichte von Daniel Berry, seiner Mutter Eve und deren Nachbarsfamilie. Der Roman spielt auf zwei Zeitebenen. Einmal im Jahr 2018, als es für Daniel ziemlich düster aussieht. Er hat gerade alles verloren, was ihm etwas bedeutet hat. Seine Verlobte hat ihn von heute auf morgen verlassen, ihm nicht mal einen Grund dafür genannt. Kurz darauf wird ihm auch noch die Wohnung gekündigt und Daniel steht sprichwörtlich auf der Straße. Außerdem lernen wir 2018 auch noch Rae kennen, die sich bei einer Agentur namens ‚Fremde auf Zeit‘ eine Begleitung zu einer ungeliebten Familienfeier gebucht hat. Leider eskaliert die Situation auf dieser Familienfeier und Rae ohrfeigt ihren bezahlten Begleiter. Ärger liegt auch bei Rae in der Luft.
Bei einem Sprung zurück in die 1980er Jahre treffen wir auf den sechsjährigen Daniel, der gerade mit seiner jungen Mutter nach Norfolk gezogen ist. Schnell wird deutlich, dass die beiden nur einander haben und seit Daniels Geburt dauernd umgezogen sind. Als die beiden im Garten spielen, lernen sie Sherry kennen, die ihnen vom Nachbargrundstück aus Schokoladenkuchen anbietet. Sherry lebt mit ihrem Mann und den zwei Töchtern Rae und Pauline nebenan. Trotz anfänglicher Scheu fassen Eve und Daniel Vertrauen zu den neuen Nachbarn und vor allem zwischen den beiden Frauen entspinnt sich eine ganz besondere Freundschaft.
Vielleicht ist Norfolk auch 2018 in Daniels größter Not ein guter Zufluchtsort? Daniel steigt in den Zug und probiert es aus.

Ich habe dieses Buch mit großem Vergnügen gelesen. Es steckt voller Tiefe und Wärme. Rachel Elliot zeichnet ihre Figuren genau und liebevoll. Außerdem findet man in diesem Roman unzählige lebenskluge Sätze verpackt in viel Situationskomik und Humor."

Literarische Neuerscheinungen Frühjahr 2023

Leider zu spät, die Aktion ist beendet. Aber schauen Sie bald wieder vorbei, wir rufen regelmäßig zum Mitmachen auf.

Viel Freude beim Lesen wünschen Sabine Abel und "Wir in Bayern"!


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