BR Fernsehen - Vereinsheim


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Mathias Tretter im Interview "Ich hab's sehr gerne, wenn's durchknallt"

Auf der Bühne liebt der neue Gastgeber im Vereinsheim Schwabing die Ekstase, privat darf es auch mal etwas nachdenklicher sein. Im Interview verrät er, warum im Ausland Hitler-Witze nicht mehr gefragt sind und was sich im Vereinsheim ändern wird.

Von: Jessica Lepke

Stand: 28.01.2016

Mathias Tretter im "Vereinsheim Schwabing" | Bild: BR / Ralf Wilschewski

Matthias Tretter - vom Notnagel zum Gastgeber

Mathias Tretter ist ein waschechter Franke, geboren und aufgewachsen in Würzburg, wo er auch sein Studium begann. Ein Freund von ihm gründete damals die Würzburger "Comedy Lounge", allerdings ohne für ausreichend Comedians zu sorgen. In seiner Not fragte er Mathias - und der merkte gleich: das ist mein Ding. Sein Germanistik-Studium setzte er dennoch fort, wurde für ein Jahr als Aushilfslehrer nach Schottland geschickt und entdeckte dort seine Sympathie zu Schottland und seinen Bewohnern ("die Schotten sind die Franken Großbritanniens"). Nach dem Abschluss konzentrierte er sich voll auf seine Kabarett-Bühnenkarriere, ist Mitherausgeber des "Titel"-Kulturmagazins und war viele Jahre zusammen mit Philipp Weber und Claus von Wagner Teil des "Ersten Deutschen Zwangsensembles". Im Februar 2016 übernimmt er die Moderation des Vereinsheim Schwabing von Hannes Ringlstetter.

Du bist bekannt für deine politische Unkorrektheit. Was ist deine Philosophie dahinter?

Ich finde es interessant und auch schmeichelhaft, dass ich für meine politische Inkorrektheit mitunter bekannt bin. Das ist jetzt gar nicht beabsichtigt von mir in dem Sinn. Meine Philosophie dahinter ist, dass ich lieber komisch bin als korrekt.

Wie würdest du dich beschreiben?

Ich bin grundsätzlich menschenfreundlich und werde darin sehr, sehr oft enttäuscht. Das heißt, ich bin ein doch eher ein bisschen pessimistischer Typ. Deswegen auch der Humor, weil das für mich die Form ist, der Welt standzuhalten.

Ich glaube, ich bin relativ introvertiert, zumindest privat. Sich auf der Bühne zu öffnen, das war ein langer Prozess. Ich bin ein einigermaßen nachdenklicher Mensch, aber ich bin dem Rausch auch sehr gut zugetan. Und da meine ich jetzt nicht nur Rauschmittel, sondern eben auch Sachen wie Kunst oder Natur, da kann man das auch erfahren. Ich hab’s sehr gerne, wenn’s durchknallt. Ja, die Ekstase, genau. Und die kann dann auf verschiedene Arten und Weisen herbeigeführt werden. Manchmal ist das gesund, manchmal nicht so gesund. Ich mag beides.

Was ist deine beste Eigenschaft- und welche deine schlechteste?

Meine beste Eigenschaft ist glaube ich, dass ich nicht geizig bin. Mir ist Geld ziemlich egal, so lange ich genug davon habe, um davon einigermaßen anständig leben zu können. Meine schlechteste Eigenschaft ist die zum Teil sehr große Ungeduld und manchmal die Unleidlichkeit auch den Leuten gegenüber, die mich mögen, meiner Familie gegenüber. Ich bin manchmal ganz schön verknarzt und kann meinen Zorn manchmal auch nicht verbergen.

Woher kommt dein besonderes Gefühl für Sprache?

Das kommt vielleicht aus meiner Familie. Meine Mutter hat immer sehr darauf geachtet. Sie hat als Fränkin die Kinder großgezogen, war aber gleichzeitig auch Sekretärin und hatte die Kontrolle über die Explosivlaute P, T und K - was der Franke normalerweise nicht hat. Da hat sie sehr darauf geachtet, dass wir das auch lernen, dass wir nicht "Dangstelle" sagen. Ansonsten ist auch Arbeit dabei. Und das Germanistikstudium hat mir dann doch einiges gebracht.

Wie kam es damals in Würzburg zu den ersten Poetry Slams?

Die Idee des Poetry Slams war Mitte der 90er Jahre ganz neu. Soweit ich weiß, gab es in München einen, aber ansonsten war das damals weit weg von der Infrastruktur, die es dafür heute gibt. Und in Würzburg war das dann aus dem Nichts heraus eine reine Trash-Veranstaltung, weil eine entsprechende Szene erstmal gar nicht da war.

Wenn man aus dem Nichts damit anfängt und Leuten eine Bühne bietet, dann kommt jeder, der sich irgendwie produzieren will. Mitunter auch Leute, die direkt aus der Psychatrie kamen – das ist jetzt nicht übertrieben, es war tatsächlich so. Das heißt, es war eine ziemliche Freak-Show, aber ohne Vorführen der Leute, es ging um den Spaß für alle. Als dann die ersten Slammer aus anderen Städten kamen, waren die sehr verstört, weil sie das so nicht kannten, denn eigentlich wurde die Wettbewerbsform nicht ernst genommen. Wir haben einfach eine Revue der Durchgeknallten der Stadt gemacht.

Warum ein englischsprachiges Programm?

"Als Kraut hat man einen Ausländerbonus."

Ein englischsprachiges Programm war immer ein kleiner Traum von mir. Die Form ist eine andere, englische Standup-Comedy macht keine Unterschiede zwischen Polit-Kabarett und Erzählungen über Supermarktkassen oder Mikrowellen. Da geht’s immer nur darum, ob der, der da vorne steht, komisch ist, ob er intelligent ist, möglicherweise auch ein bisschen surreal. Auf jeden Fall geht es darum, dass man es noch nicht gehört hat.

Das hat mich sehr angefixt und ich wollte das unbedingt mal ausprobieren - und eben auch auf Englisch, nachdem ich ein Jahr in Schottland war und mein Englisch einigermaßen gut genug für die Bühne war. Man hat auch immer einen großen Ausländerbonus, vor allem als „Kraut“. Ich habe das festgestellt, als ich zwei Abende in Kanada, in Ottawa und Toronto gespielt habe. Dort hat sich das Deutschlandbild über die letzten 10, 15 Jahre sehr gewandelt. Man kommt nicht mehr automatisch gut an mit Hitlerwitzen. Ich habe das Gefühl, dass das vorbei ist. Die Leute waren z.B. viel interessierter an meinen Pointen über West- und Ostdeutschland. Ich lebe ja in Ostdeutschland und darüber zu erzählen hat sie offensichtlich viel mehr interessiert, als wenn ich jetzt wieder mit der alten Nazinummer angefangen hätte.

Warum Leipzig? Was ist das Besondere an der Stadt?

Leipzig kannte ich schon von Anfang der 90er-Jahre, als ich ein paar Mal dort war. Damals, mit 19, war der Schritt noch zu groß, dort hin zu ziehen und zu studieren. Das habe ich mich damals nicht getraut, aber die Stadt war immer in meinem Hinterkopf. Irgendwann hat es sich einfach irgendwann ergeben, hinzuziehen, weil es für mich zu dem Zeitpunkt, vor neun Jahren, die interessanteste Stadt war. Ist sie eigentlich immer noch. Man gewöhnt sich sehr schnell an den sächsischen Dialekt. Es dauert drei Monate und dann fängt man an, ihn wirklich zu mögen. Natürlich gibt es da große Unterschiede, wie das ja in Bayern ähnlich ist. Es gibt Leute, die sprechen ganz, ganz breit und ordinär Sächsisch, aber es gibt auch ein sehr, sehr kultiviertes Sächsisch. Ich mag das sehr gerne, das hat tatsächlich was „gemietliches“. Ich kann es so gut, dass ich sagen kann: „für’n Westen reischts“.

Was haben wir von dir als Moderator zu erwarten? Was möchtest du anders machen?

Vielleicht wird es ein bisschen politischer als beim Hannes, weil meine Programme ja grundsätzlich auch eher in die Politrichtung gehen. Die Sendung hat natürlich das Problem, dass sie nach der Aufzeichnung zeitversetzt ausgestrahlt wird, deswegen kann man Tagesaktualität nicht mitbringen. Aber ich werde vielleicht ab und zu ein paar "Helikopterthemen" ansprechen. Und es gibt auch ein neues Element in der Sendung: Phillip Weber als studierter Chemiker und Biologe wird mir Antwort geben auf wissenschaftliche Fragen, bzw. ein großes Überthema, über das ich kurz mit ihm sprechen werde, auch an die Aktualität angebunden, gesellschaftliche Fragen sollen wissenschaftlich beantwortet werden.

Wie würdest du deinen Kollegen Philipp Weber beschreiben?

Philipp Weber bringt die Köpfe zum Rauchen und leistet Mathias Tretter im Vereinsheim Gesellschaft

Mein Kollege Phillip Weber ist der Derwisch des deutschen Kabaretts. Wenn man ihn auf der Bühne sieht, kann man ihm kaum mit den Augen folgen, weil er so schnell ist. Bei seinen Texten müssen sich die Leute zum Teil auch sehr konzentrieren, um dieser Gedankenflut folgen zu können. Die er hat, weil er einfach wahnsinnig viel weiß und das auch sehr gut zu verpacken versteht. Und dabei ist er ein Clown ist.


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