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Thema Vergebung Ghost Bikes erinnern an getötete Radfahrer

Ein Moment der Unachtsamkeit, ein toter Winkel, ein ausgelöschtes Leben. Vor dreieinhalb Jahren wurde Sylvia Schnürer in München-Moosach bei einem Abbiegeunfall von einem LKW überfahren. An ihrem 30. Geburtstag. Ihr Vater hat an der Unglücksstelle ein Fahrrad als Erinnerung und Mahnung aufgestellt. Kann er dem Fahrer vergeben?

Von: Elisabeth Möst

Stand: 24.03.2020

Ein weiß angesprühtes Fahrrad erinnert an ein Unfallopfer. | Bild: Moest/BR

Anton Schnürer bringt Blumen und steckt sie an das Fahrrad, das an der Ecke Lasallestraße und Triebstraße lehnt. Ein Ghost Bike, das er selbst weiß lackiert hat. Eigentlich wollte er Sylvia ein neues Fahrrad schenken. An einem Baum daneben stehen Blumen und Kerzen, am Stamm hängt eine Kordel mit Herzen. An dieser Kreuzung, an der das Ghost Bike steht, ist seine Tochter ums Leben gekommen. Anton Schnürer kommen heute noch die Tränen, wenn er an den unglückseligen Tag denkt, an dem sich sein Leben und das seiner Familie schlagartig änderte.

Tod auf dem Weg zur Arbeit

Sylvia war auf dem Weg zur Arbeit. Sie hatte Psychologie studiert und arbeitete bei der Diakonie Oberbayern in der Jugendhilfe. Seit kurzem war sie verlobt und wollte im nächsten Jahr heiraten. Mit ihrem Freund, ihren Eltern und ihren beiden Geschwistern verbrachte die junge Frau noch eine Woche vor ihrem Tod Ferien in Kroatien. „Als sie sich verabschiedet hat“, erinnert sich der Vater, „hat sie furchtbar geweint.“ Die Eltern blieben noch ein paar Tage länger im Urlaub.

Am Tag ihres 30. Geburtstags schicken Eltern und Geschwister Sprach- und WhatsApp Nachrichten an Sylvia. Sie wurden nicht mehr beantwortet. Der Todeszeitpunkt von Silvia wurde auf 9 Uhr 21 festgelegt. Ein LKW hatte sie beim Rechtsabbiegen übersehen, die junge Frau starb noch am Unfallort. Die Eltern, die sich noch im Urlaub in Kroatien aufhalten, erreicht die Schreckensnachricht am Abend.

Politischer Wille fehlt

Fahrradfahrer sind gefährdet, die Zahl der Unfälle mit tödlichem Ausgang steigt. Im ersten Halbjahr 2019 sind bundesweit 158 Radfahrer ums Leben gekommen, 2018 waren es insgesamt 445. Dabei könnten viele Unfälle verhindert werden, wenn LKW mit Abbiegeassistenten ausgestattet werden, so die Mission von Anton Schnürer. Seine Sylvia kann er nicht mehr retten, aber weitere Unfälle möchte er verhindern. Seiter kämpft er für verpflichtende Abbiegeassistenten für LKW. Am Geld könne es nicht liegen, wenn man Leben retten kann, sagt Schnürer, „aber der politische Wille fehlt.“

Keine Vergebung

Schnürer hat selbst in der Logistik-Branche gearbeitet. Er weiß, unter welchem Zeitdruck und Stress die Fahrer stehen. Trotzdem kann er dem Mann, der seine Tochter überfahren hat, nicht vergeben. Zu sehr leidet er unter dem Verlust seiner Tochter. „Kein Familienfest, kein Ostern, kein Weihnachten macht mehr Freude, das ist alles anders geworden.Seine Frau und er haben ihr Haus verkauft, sind weggezogen. Den Schmerz haben sie mitgenommen.

Den Fahrer hat er nie persönlich getroffen. „Ich hatte die Kraft dazu nicht“, sagt Anton Schnürer. Aber er hat erfahren, dass der Mann seinen Beruf nicht mehr ausüben kann und inzwischen als Gärtner arbeitet.

Eine Last fürs Leben

In München stehen rund 20 Ghost Bikes an Straßenecken, die an getötete Fahrradfahrerinnen und Fahrradfahrer erinnern. Alle sind Opfer eines LKW Unfalls. Die Angehörigen, die Freunde, die Unfallzeugen, die medizinischen Helfer, auch die Fahrer selbst tragen nach einem tragischen Unfall eine schwere Last. Nur wenige können wirklich vergeben und ihren inneren Frieden wiederfinden.

Beiträge der Sendung :
Unglückliche Trennung. Von Isabelle Kroth
Verschwiegene Adoption. Von Barbara Schneider
Vergebung eines Missbrauchsopfers. Von Agnieszka Schneider


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