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Vernetzung & Veränderung Der WFD-Kongress in Paris

Über 2.400 Gehörlose sind Ende Juli aus 130 Ländern für mehrere Tage nach Paris gekommen, um sich hier über Bildung, Sprache und Kultur auszutauschen – beim Weltkongress der Gehörlosen. Alle vier Jahre findet dieses Treffen statt, 2019 bereits zum 18.Mal.

Stand: 09.08.2019

Das Motto des Kongresses vom 23.-27. Juli lautet „Sign Language Rights for all“ (= Recht auf Gebärdensprache für alle). Organisiert wird die Veranstaltung vom WFD – dem Weltverband der Gehörlosen.

Einige Fakten zum Weltverband der Gehörlosen (WFD)

Der WFD wurde 1951 gegründet.

Der WFD ist ein Dachverband mit Gehörlosenverbänden aus 127 Ländern als Mitglieder.

Der WFD setzt sich für die Rechte und Bedürfnisse von Gehörlosen ein und hat Beobachterstatus bei den Vereinten Nationen.

Eine große Errungenschaft des WFD war, dass der Internationale Tag der Gebärdensprachen von der UN ausgerufen wurde.

-       Der WFD pflegt Kontakte zu allen großen Mitgliedsorganisationen der UN: der Weltgesundheitsorganisation WHO, der UNESCO (Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation.), der Internationalen Arbeitsorganisation ILO, dem Kinderhilfswerk UNICEF. Durch diese Kontakte ist ein starkes Netzwerk entstanden.

Alle vier Jahre organisiert der WFD den Weltkongress der Gehörlosen.

Beim Weltkongress werden Ideen ausgetauscht und entwickelt. So hatte der WFD in seiner Geschichte viel Einfluss auf seine Mitgliedsländer gehabt.

WFD-Versammlung samt Wahlen

Zeitgleich zum Weltkongress, findet auch die WFD-Versammlung statt. Hierher schicken alle 127 Mitgliedsländer bis zu zwei Delegierte, wobei jedes Land nur eine Stimme hat. Auch aus Deutschland sind zwei Vertreter dabei: DGB-Vizepräsidentin Elisabeth Kaufmann und DGB-Vizepräsident Steffen Helbing. Und auch „Sehen statt Hören“ reist mit: Thomas Zander ist in Paris dabei.

Ein Kandidat aus Deutschland

Für Steffen Helbing ist es eine besondere Versammlung: Er bewirbt sich auf einen Platz im WFD-Vorstand.

"Ich bin schon sehr gespannt auf die Wahlen. Es wäre schön, wenn auch ein Deutscher im Vorstand sitzt. Das wäre für uns in Deutschland ein Vorteil, denn dann könnten wir direkt zur Arbeit des Weltverbands beitragen und auch international zusammenarbeiten. Das wäre schön!"

 Steffen Helbing

Steffen Helbing ...

... ist seit 22 Jahren in Gehörlosenvereinen aktiv. In Berlin im ZfK, dem Zentrum für Kultur und visuelle Kommunikation der Gehörlosen oder im Landesverband der Gehörlosen Brandenburg. Und vor einem Jahr ist er zum Vizepräsident des Deutschen Gehörlosenbunds gewählt worden. Seit 2012 ist Steffen Helbing auch politisch aktiv: Er ist CDU-Mitglied. Wegen seiner Kenntnisse und persönlichen Erfahrungen als Mensch mit Behinderung wurde er von der UN-Kommission beauftragt, auf landespolitischer Ebene tätig zu werden. Er besucht verschiedene Länder, klärt zum Thema Behinderung auf und referiert.

"Wir müssen politisch für die Rechte von Menschen mit Behinderungen kämpfen: Für mehr Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen oder dass die Belange Gehörloser wieder in den Fokus genommen werden. Das alles ist ja in der UN-Behindertenkonvention verankert."

Steffen Helbing

Die Bewerbung von Steffen Helbing verläuft erfolgreich: Er ist nun Beisitzer im WFD. Nach 56 Jahren sitzt mit Steffen Helbing erstmals wieder ein Deutscher im WFD.

Neuer Präsident, große Ziele

Neuer WFD-Präsident ist Dr. Joseph Murray aus USA. Sein wichtigstes Ziel:

"…die UN-Menschenrechte für alle gehörlosen Menschen zu erreichen. Unser Ziel ist auch über die verschiedenen UN-Politiker Stellungnahmen zu bekommen, die sich zwar mit Menschenrechten beschäftigen, aus denen wir aber das Recht auf Gebärdensprache ableiten können. Die verschiedenen Gehörlosenverbände weltweit sollen in ihrer Arbeit für die Umsetzung ihrer Rechte unterstützt werden. Denn die Gehörlosengemeinschaft auf der ganzen Welt bildet die Basis, durch die der WFD lebt und starke politische Arbeit leisten kann. Dies ist unser wichtigstes Ziel."

Dr. Joseph Murray, WFD-Präsident

Vernetzung als Ziel

Und auch der Kongress selbst läuft hervorragend: Es gibt viele interessante Vorträge zu den unterschiedlichsten Themen, Berichte und Fragen aus allen Ländern – und ganz „nebenbei“: Vernetzung und Kommunikation.

"Der WFD-Kongress ist sehr wichtig, weil hier viele Gehörlosenverbände aus aller Welt mit ihren Delegierten vertreten sind. Also ein Ort, wo viele Informationen zu ganz unterschiedlichen Themen ausgetauscht werden können – das ist das Besondere hier beim WFD-Kongress."

Prof. Dr. Christian Rathmann Professor HU Berlin, Deaf Studies

Gebärdensprache für alle?

Und was wird schließlich aus dem Motto „Gebärdensprache für alle“? In jedem Land ist man dabei an einem anderen Punkt. In Deutschland ist die Gebärdensprache seit dem Jahr 2002 gesetzlich verankert - allerdings nur im Sozialrecht und im Bundesgleichstellungsgesetz. Gefordert wird von vielen, dass die DGS einen eigenständigen Sprachstatus bekommt. Das könnte über einen speziellen Weg auch funktionieren…

"Als Sonderberichterstatter für Minderheitenfragen kann ich klar anerkennen, dass die Nutzer von Gebärdensprachen Mitglieder von sprachlichen Minderheitengruppen sind. Das Besondere daran ist, dass sie als Mitglieder sprachlicher Minderheitengruppen mit einer Reihe von Schutzrechten versehen sind: Für den Gebrauch ihrer Minderheitensprache, also ihrer Gebärdensprache – was die Nutzung von Gebärdensprache in ihrem gesellschaftlichen Umfeld, in ihrer Familie angeht – wären sie durch internationale Menschenrechte geschützt, wenn sie diesen Status hätten."

Prof. Dr. Fernand de Varennes (Frankreich), UN-Sonderberichterstatter für Minderheitenfragen

Es wäre nicht der erste Erfolg, der im WFD seinen Grundstock gefunden hätte:

"Ich erzähle dir einige Beispiele: die Anerkennung der Gebärdensprache, die Professionalisierung der Dienste von Gebärdensprachdolmetschern, die Unterrichtung von Gehörlosen durch wirklich flüssig gebärdende, nicht stockend-gebärdende Lehrkräfte. Und es gäbe da noch so viel mehr. Nach dem Inkrafttreten der UN-BRK war ich in verschiedenen Ländern und habe mir die Unterrichtssituation für Gehörlose angeschaut. Da wurde keine Gebärdensprache benutzt und immer noch lautsprachorientiert unterrichtet. Ich habe dann darauf hingewiesen, dass die Regierung des Landes die UN-BRK ratifiziert hat und dass da das Recht auf Unterricht in Gebärdensprache verankert ist. Da sagten die Pädagogen: Das hat uns die Regierung nicht mitgeteilt. Wir wissen nichts davon – außerdem können wir sowieso keine Gebärdensprache. Es bleibt also für den WFD noch viel zu tun in allen vorhin angesprochenen Bereichen. Der neue WFD-Präsident hat also schon eine Fülle von Aufgaben, die es zum Wohl der Gehörlosen zu erledigen gilt."

Liisa Kauppinen, WFD-Ehrenpräsidentin und WFD-Präsidentin von 1995 bis 2003


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