BR Fernsehen - Sehen statt Hören


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Eine Sache aus der Kindheit - Folge 1 Peter Funke und sein weißes Aufziehauto

Das habt ihr doch auch, oder? Eine Sache, einen Gegenstand aus eurer Kindheit, von dem ihr euch nie trennen würdet. Andere können meist überhaupt nicht verstehen, warum gerade diese Sache gehütet wird wie ein Schatz. Deshalb möchten wir den Geschichten nachspüren, die diese Lieblingsdinge so wertvoll machen.

Von: Iris Meinhardt und Stefan Brainbauer (Film), Steffi Wolf (Onlineseite)

Stand: 25.03.2022

Sehen statt Hören-Moderatorin Iris Meinhardt hat auch so ein Lieblingsding, das auf den ersten Blick unspektakulär aussieht: Eine Maschine, die so in einem Museum stehen könnte, sichtlich alt - nicht für jeden sofort erkennbar, wofür sie wohl gut war.

Denn gerade jüngere werden vermutlich noch nie einen Filmprojektor gesehen haben.

"Meine Oma hat ihn meiner Mutter geschenkt. Sie wollte ihrer gehörlosen Tochter, also meiner Mutter, damit Stummfilme zeigen, weil Fernsehfilme für sie nicht zu verstehen waren. Später bekam ich ihn. Als ich Kind war, haben wir immer die Nachbarskinder eingeladen und die Rollläden heruntergelassen – das war dann wie im Kino! Wenn meine Eltern alles vorbereitet haben, war ich immer schon so aufgeregt und es war schön, gemeinsam die Filme zu schauen."

Iris Meinhardt, Sehen statt Hören-Moderatorin

Zufallsbekanntschaft gesucht

Nun ist es Iris' Ziel, eine gehörlose Person zu finden, die auch so eine Sache aus der Kindheit aufbewahrt hat - nicht, weil nur die Sache interessant wäre. Wir wollen vor allem die Geschichte erfahren, die dahintersteckt!

Nach dem Gottesdienst für Gehörlose im Münchner Stadtteil Haidhausen, hofft Iris, jemanden zu treffen, den sie einfach mit nach Hause begleiten darf.

Wie viele Leute sie wohl anspricht, ehe sie jemanden finden wird, der einerseits noch alte Dinge aus seiner Vergangenheit aufbewahrt - und andererseits so spontan und offen ist?

Mit Peter Funke auf einer Reise fast 90 Jahre zurück durch sein Leben

Peter Funke vor der Kirche in Haidhausen

Peter Funke hat alte Sachen, sagt er - na klar! Aber jetzt sofort bei ihm filmen? ... er zögert kurz: "Habt ihr ein Auto"?, möchte er wissen. "Ja" - und los geht's!

Er führt Iris in sein Arbeitszimmer, denn hier steht seine "Sache aus der Kindheit" in einem Schrank. Ehe er sie uns zeigt, erzählen der Raum und die Bilder darin eine weit jünge Geschichte seines Lebens:

Der Sohn von Peter Funke wurde nur 26 Jahre alt.

Sein eigener Sohn starb mit 26 Jahren an einem Hirntumor. Eigentlich war das bis zu seinem Tod sein Zimmer. Und auch Peter Funkes Frau ist nun schon seit zwei Jahren tot. Hier hängen auch Erinnerungen an unzählige Reisen mit ihr - das war lange Jahre eine gemeinsame Ablenkung von der tiefen Trauer. Und es waren Erlebnisse, die neuen Lebensmut brachten.

Peter Funke holt schließlich seine Sache aus der Kindheit hervor: ein kleines weißes Aufziehauto. Das hat er 1939 – da war er sechs Jahre alt – von seinem Vater geschenkt bekommen.

Zu dieser Zeit begann der Zweite Weltkrieg - diese Erinnerungen werden zuerst wach. Peter Funke erzählt so, dass wir uns den Bombenangriff auf das Haus seiner Familie in Leipzig bildlich vorstellen können. Wie er in den Keller rannte, den Angriff dort unbeschadet überlebte und den Wasserrohrbruch, der unmittelbar folgte, und ihn Stunden im brusthohen Wasser hat stehen lassen, ebenfalls.

Noch ein zweites Mal ist er nur knapp dem Tod entkommen: Damals auf der Flucht vor den Russen hat eine Kugel die Frau am Kopf getroffen, die ihm helfen wollte.

"Ich erinnere mich sehr genau. Sowas kann man nicht vergessen. Ich hatte wirklich einen Schutzengel, der mich zweimal vor dem Tod gerettet hat."

Peter Funke

Mit dem kleinen Auto verbindet Peter Funke bis heute die Liebe zu seinen Eltern – und eine Leidenschaft, die mit dieser Sache aus seiner Kindheit begann:

"Ich habe im Laufe der Zeit bestimmt 20 verschiedene Autos gehabt und viele Modelle ausprobiert. Ich habe auch 15 Jahre bei BMW als Modellbau-Techniker gearbeitet – ich bin Auto-verrückt."


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