BR Fernsehen - Sehen statt Hören


18

Alleinerziehend Rund um die Uhr gefordert!?

Nachts aufstehen, Trösten und Herumalbern, Kochen, Zähneputzen, Anziehen, Taschen packen, Brotzeiten vorbereiten, Kindergarten- und Schulthemen bearbeiten, den Haushalt schmeißen, Geld verdienen, Wünsche erfüllen – einfach mehrere Leben organisieren: Kinder sind für Eltern immer eine Herausforderung. Was aber, wenn alles an einem Elternteil hängen bleibt?

Stand: 01.03.2023

Alleinerziehende sind rund um die Uhr gefordert. Da bleibt wenig Zeit für sich selbst. Und es gibt zusätzliche Sorgen: Alleinerziehend zu sein, birgt ein hohes Armutsrisiko. Über 40 Prozent der Alleinerziehenden fühlen sich finanziell unter Druck. Mehr als jeder dritte Haushalt von Alleinerziehenden mit minderjährigen Kindern ist auf staatliche Leistungen angewiesen

Knapp 1,5 Millionen Alleinerziehende gibt es in Deutschland. In neun von zehn Fällen sind das die Mütter. Sehen statt Hören begleitet drei von ihnen in ihrem Alltag.

Christine

Christine am frühen Morgen - mit Sohn Levian

Morgens um 6,30 Uhr beginnt für Christine der Alltag: Ihre beiden Kinder - Levian ist drei, Emilie neun Jahre alt – müssen für den Tag vorbereitet werden. Und das geht vom Zähneputzen und Haare kämmen über die Pausenbrote, die geschmiert werden müssen bis hin zur Diskussion, welche Kleidung angezogen wird. Da ist viel Struktur angesagt, denn schließlich erledigt sie diese Aufgabe ganz alleine – seit Sommer 2022.

Wenn alle versorgt und aus dem Haus sind, macht Christine dann aber auch etwas für sich – denn Schönheit ist ihr wichtig, auch beruflich: Christine ist Influencerin. Auf Instagram hat sie inzwischen über 43.000 Follower. Dabei hat alles nur als Hobby angefangen. "Irgendwann wurde Gehörlosigkeit mein Thema, schließlich wurde ich schwanger und dann kamen immer mehr Themen dazu. So bin ich dann als Influencerin durchgestartet und mach das bis heute." Für Christine ist es der optimale Job, denn sie ist mit ihm sehr flexibel: Sie entscheidet, wann und wie viel sie arbeitet. Trotzdem: Kinder und Beruf parallel zu managen, bringt sie schon manchmal an ihre Grenzen. "Aber ich schaffe das, wenn ich im Vorfeld alles organisiere und vorbereite", sagt sie. Unterstützung erhält sie von ihren Eltern, manchmal auch vom Vater des Kindes. Mit ihm hat sie erst kürzlich wieder Frieden geschlossen – ein großer Vorteil für alle. Die kleine Auszeit, wenn die Kinder beim Vater sind, tut Christine gut.

"Ich kann Alleinerziehenden nur empfehlen, sich auch Zeit für sich zu nehmen. Das ist wichtig. Es hilft beim Stressabbau und um zur Ruhe zu kommen. Immer nur Stress, Beschäftigung und Aufregung geht nicht. Zur Ruhe kommen und auf sich selbst schauen ist wichtig. Ebenso wie positives Denken und Sport."

Christine

Marina

Marina schreibt Bewerbungen - und kümmert sich um ihre Kinder

Auch Marina kennt diesen Alltag: Ihre Kinder - Nelio fünf Jahre, die dreijährige Melina und Levio mit zwei Jahren – halten die alleinerziehende Mama auf Trab. Dabei besucht sie tagsüber dann auch noch einen Qualifizierungskurs für Hörgeschädigte, da ist sie schon müde, wenn sie abends heimkommt. "Und am Abend – wenn die Kinder im Bett sind – muss ich immer auch noch den restlichen Haushalt machen, obwohl ich müde und kaputt bin. Das gehört halt auch dazu." Eine enorme Belastung. Seit fünf langen Jahren.

Zudem schreibt Marina gerade Bewerbungen für einen Teilzeitjob. Sie hatte eine dreijährige Ausbildung als Beiköchin begonnen; als sie schwanger wurde musste sie im letzten Jahr abbrechen. Büroassistenzhelferin, Verpackungshelferin, Schleiferin oder ähnliche leichte Berufe – das könnte sie sich jetzt vorstellen. Immer im Hinterkopf: Die Kinder müssen versorgt sein. Da Marina taubblind ist, hat sie zweimal pro Wochen eine Taubblinden-Assistentin. Mit ihr geht sie Einkaufen, absolviert Arztbesuche oder unternimmt Wochenend-Ausflüge. Zum Vater der Kinder hat sie seit zwei Jahren keinen Kontakt mehr. Auch finanziell ist sie auf Unterstützung angewiesen: Mit Bürgergeld, Unterhaltsvorschuss, Kindergeld kommt sie über die Runden. Im Notfall kann sie finanziell auch auf ihre Eltern und Familie zählen.

"Viel Unterstützung habe ich nicht – die Taubblinden-Assistenz und im Notfall helfen mir auch meine Eltern. In unserer Familie sind alle berufstätig, viel Unterstützung habe ich da leider nicht. Aber es klappt schon."

Marina

Lina

Lina und ihr Tony

Lina hat einen vierjährigen Sohn – Tony. Dass sie mit ihm alleine ist, spürt sie in vielen Situationen: Finanziell ist es schwierig, und sie kann nie abschalten und Ruhe finden. Besonders aber, wenn sie krank ist. "Da gibt’s nur eins: Zähne zusammenbeißen und durch!" Und das bereits seit über zwei Jahren.

Lina versucht Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Angefangen hat sie mit einem Freiwilligen Sozialen Jahr – der soziale Bereich passt gut zu ihr. Sie wurde Individualpflegekraft, wollte eine Ausbildung zur sozialpädagogischen Assistenz machen. Danach arbeitete Lina drei Jahre lang als Guide in einer Ausstellung. Anschließend gründete sie eine Familie – auf einen Beruf hat sie in dieser Zeit verzichtet. Bis sie alleinerziehend wird. "Jetzt möchte ich beruflich noch mal neu anfangen – als Gebärdensprachdozentin. Dafür nehme ich im Moment an einem Online-Kurs teil." Unterstützung erhält sie in ihrer Familie – vor allem ihre Mutter springt ein und unterstützt. Familie und Freunde geben nicht nur Zeit, sondern unterstützen auch finanziell, kaufen Kleidung für ihren Sohn. "Ich bekomme Bürgergeld, Unterhalt vom Vater und Kindergeld. Das war’s. Mehr habe ich nicht! Damit alle Ausgaben zu bestreiten ist schon schwierig", sagt sie. Gerade in Zeiten der Energiekrise und der Inflation ist ihr Geld viel zu schnell aufgebraucht. Das macht Lina Sorgen.

"Wenn man alleinerziehend ist, sind viele Alltagssituationen schwieriger. Manchmal weiß ich einfach nicht weiter. Ich wünsche mir individuelle Beratung, wo man Tipps bekommt, sich Rat holen kann. Aber mein Empfinden ist, dass wir bei vielen Angeboten immer wieder auf Barrieren stoßen."

Lina

Alleinerziehende haben ein aufreibendes Leben – viele Alltagssituationen sind schon deutlich schwieriger zu meistern. Trotz allem: Im Fokus steht für sie ihr Nachwuchs. Und dessen Glück und Zukunft. Denn wenn es den Kindern gut geht, sind auch die Mamas zufrieden – wenn auch erschöpft. 


18