Debütroman von Annabel Wahba "Chamäleon" - Vom Freilegen der anderen Heimat
Stück für Stück legt Annabel Wahba mit ihrem Buch "Chamäleon" ihre Familiengeschichte frei, geht der eigenen Sehnsucht nach ihren ägyptischen Wurzeln nach und sucht Antworten. Warum ist die andere Heimat so in den Hintergrund getreten?
Am Sterbebett ihres Bruders André erinnert nur das Bild des Totengottes Anubis an seine ägyptische Herkunft. Er war nie in seine Geburtsstadt Kairo zurückgekehrt, nachdem die Familie 1968 vor dem Sechstagekrieg nach München geflohen war.
"Wenn ein geliebter Mensch stirbt, dann fängt man an zurückzugucken. Man guckt auf seine Herkunft, wo komme ich her, wer bin ich eigentlich? Das war für mich dann der Auslöser, ein Buch zu schreiben. Und ich hatte dann auch so das Gefühl, ich tu's auch für ihn. Ich will auch ihm unsere Geschichte noch mal erzählen."
Annabel Wahba
In ihrem autofiktionalen Roman "Chamäleon" erzählt die Zeit-Journalistin Annabel Wahba ihre Kindheit zwischen Anpassung an die bayerische Provinz und dem zeitweisen Verlust der anderen Heimat Ägypten.
Die Eltern lernen sich 1961 in München kennen. Der Vater, ein koptischer Christ, promoviert hier in Physik mit einem Stipendium des ägyptischen Staates. Die beiden verlieben sich, heiraten und bekommen Kinder.
Der Abschiebeordner
Nach Abschluss der Promotion ziehen sie nach Kairo, wollen sich dort ein Leben aufbauen, doch der Sechstagekrieg zerstört ihre Pläne. Der Vater nutzt ein Forschungsprojekt in Deutschland, um sich und die Familie in Sicherheit zu bringen, weder er noch die Kinder haben einen deutschen Pass. Als das befristete Visum abläuft, droht die Abschiebung.
"Es gibt noch diesen Abschiebeordner und den habe ich mir dann angeguckt und habe gesehen, ein Ausweisungsbescheid nach dem anderen. Das hat die natürlich irrsinnig mitgenommen damals, die haben sehr gelitten. Meine Mutter konnte kaum mehr schlafen. Und es hat mich mit Sicherheit auch ein Stückchen weiter dann auch entfernt von Deutschland."
Annabel Wahba
Kaum angekommen in Deutschland hören die Geschwister auf arabisch zu sprechen. Die anderen Kinder gucken dann immer so komisch. Vielleicht besser sie lernen eine Sprache richtig, denken die Eltern und lassen sie gewähren. All das bekommt Annabel nicht mit als Nachzüglerin. Ein Jahr nach ihrer Geburt zieht die Familie in eine Reihenhaussiedlung ins bayerische Erding.
"Wenn ich in die Häuser von Freunden gekommen bin, die so sehr deutsch waren, die hatten ganz andere Tagesabläufe. Ich hatte immer das Gefühl, ich bin anders, aber ich konnte das nicht festmachen. Ich konnte nicht sagen mein Vater ist Ägypter, ihr Papa ist deutsch und deshalb sind wir anders, sondern das ist was Unterschwelliges."
Annabel Wahba
Die andere Heimat verschwindet im Schrank
An Ägypten erinnern im Hause Wahba irgendwann nur noch Souvenirs an den Wänden, die Dias im Schrank und die dunklen Haare der Kinder.
"Also in der Schule gab es mal so einen bayerischen Lehrer, der zu mir mal so gesagt hat, schwarzer Deifi. Ich fand das damals ganz lustig, aber im Nachhinein ist es eigentlich überhaupt nicht lustig. Wenn man halt aber auch die einzige ist in der Gruppe, dann ist es auch so, dass man das dann auch einfach weglacht und dann halt so 'ach, ist doch wurscht, leg's zur Seite'."
Annabel Wahba
Sich nicht fremd fühlen und doch anders sein. Auf dem Weg zum Einwanderungsland ordnet Deutschland Menschen wie Annabel Wahba einer Kategorie zu: Deutsche mit Migrationshintergrund.
"Und plötzlich wurde ich da so drauf gestoßen, du bist anders. Und das hat natürlich schon was mit mir gemacht, weil ich so ein bisschen das Gefühl hatte 'wozu das jetzt?'. Das schiebt mich so ein bisschen nach draußen und führt dann natürlich auch dazu, dass ich mich schon stärker dann auch mit anderen Leuten identifiziert habe, die die gleiche Herkunft haben wie ich."
Annabel Wahba
Anpassung bis zum Verlust einer Heimat?
Sich angepasst haben an die deutsche Kultur, bis zum fast vollständigen Verlust der ägyptischen Herkunft und sich trotzdem nach draußen geschoben fühlen. Geht so Integration?
"Ich glaube, dass diese Art der Integration, dass man in dem Land ankommt und sich komplett anpasst, dass das nicht notwendig ist, sondern notwendig ist, dass man die Regeln anerkennt und die Gesetze achtet und auch natürlich die Kultur wertschätzt und achtet. Aber ich glaube nicht, dass man verlangen muss von Leuten, dass sie ihre Kultur aufgeben, das ist völliger Unsinn und das tut auch niemand. Und ich glaube nicht, dass zur Integration gehört, dass man Dinge über Bord wirft, die einem wichtig sind."
Annabel Wahba